"Prinzipiell finde ich die Möglichkeit des Social Egg Freezing vom Potential her sehr gut, weil es die Frau ein Stück weit eben von den biologischen Grenzen nicht entbindet, sie aber etwas freier macht. Sie hat eine Option mehr. Aber gleichzeitig heißt das auch, dass sie diese Option einkaufen muss und das nicht ganz billig ist", sagt Tewes Wischmann vom Heidelberger Institut für Medizinische Psychologie.
Die Kosten für das Einfrieren der Eizellen und die spätere künstliche Befruchtung belaufen sich auf mindestens 10.000 Euro. Ein Grund, warum Frauen sich erst relativ spät dazu entscheiden.
"Es ist fast schon dramatisch zu nennen, dass die Frauen im Durchschnitt mit 37 Jahren das Angebot in Anspruch nehmen, wenn es aus biologischer Sicht eigentlich schon zehn Jahre zu spät ist. Die höheren Schwangerschaftschancen, die sich durch das Verfahren ergäben, werden dadurch verwirkt, dass die Frauen diese Option erst sehr spät in Anspruch nehmen."
Verzerrte öffentliche Wahrnehmung
Gerade durch die Angebote von Unternehmen wie Facebook und Apple ist in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, Frauen würden aus Karrieregründen ihren Kinderwunsch mit dem Social Freezing nach hinten verschieben. Dem sei nicht so, meint Petra Thorn von der Deutschen Gesellschaft für Kinderwunschberatung:
"Das ist in den Medien so dargestellt worden. Aber ich glaube, das ist ein verzerrtes Bild. In der Beratung … ist es eher so, dass Frauen aus Partnergründen ihren Kinderwunsch nicht umsetzen können, nicht aus Karrieregründen."
Das sieht Martin Bujard, Fertilitätsforscher beim Wiesbadener Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, ganz ähnlich:
"Viele Frauen sind Mitte 30, meist Akademikerinnen und wissen, dass die Fruchtbarkeit in dem Alter schon deutlich nachlässt und wollen sich die Option offen halten, weil sie gerade keinen Partner haben, dass sie dann in ein paar Jahren doch noch Mutter werden können."
Der US-Popstar Janet Jackson erwartet mit 50 das erste Kind, die italienische Rocksängerin Gianna Nannini wurde mit 54 zum ersten Mal Mutter. Diese Schlagzeilen suggerieren: Alles ist möglich.
"Die Gefahr ist, dass in den Medien bestimmte Einzelfälle von prominenten Frauen berichtet werden. Dadurch haben viele jüngere Frauen den Eindruck, man könnte den Kinderwunsch hinauszögern, die Ärzte schafften das schon. Dem ist nicht so", sagt Martin Bujard.
Risiko ungewollter Kinderlosigkeit
Während der Tagung des Zentrums für Gesundheitsethik der Evangelischen Akademie Loccum kritisierte Petra Thorn, dass viele Frauen sich allein gelassen fühlen mit der Entscheidung, wann der beste Zeitpunkt sei, den Kinderwunsch zu verwirklichen:
"… und mit diesen Überlegungen immer wieder feststellen: Es ist sinnvoll, ihn erst mal auf später zu verschieben. Und wir wissen: Je länger Frauen den Kinderwunsch verschieben, desto eher sehen sie sich mit ungewollter Kinderlosigkeit konfrontiert oder sie sehen sich damit konfrontiert, dass sie vielleicht noch ein Kind bekommen können, aber nicht ein zweites, was sie sich aber gewünscht haben."
Social Freezing kann die Erfolgschancen für ein Kind oder auch ein zweites Kind erhöhen, allerdings dürfe man auch nicht zu viel von der Eizell-Konservierung erwarten, sagt Martin Bujard vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung.
"Social Freezing wird zunehmen in den nächsten Jahren. Ich kann mir auch vorstellen, dass sich die Technologie verbessern wird. Es kann durchaus ein Segen sein für einzelne Frauen, aber es ist auch eine gesellschaftliche Gefahr - und zwar dann, wenn es als vermeintliche Versicherung promotet wird, vielleicht auch von Firmen, die daran ein hohes ökonomisches Interesse haben. Denn es könnte im Endeffekt Frauen dazu bringen, ihren Kinderwunsch noch weiter aufzuschieben, was im Endeffekt zu einer ungewollten Kinderlosigkeit führen kann. … Dieses Aufschieben ist immer mit der Gefahr verbunden, kinderlos zu bleiben."
Immer ältere Eltern
Ob mit oder ohne Social Freezing - in Deutschland werden die Eltern immer älter. Lag das durchschnittliche Alter der Frauen bei der ersten Geburt in den 70er-Jahren noch bei 25, ist es heute auf 30 Jahre angestiegen - bei Akademikerinnen sogar auf 35. Auf der Tagung in Hannover wurde die Forderung erhoben, eine Mutterschaft jenseits eines bestimmten Alters - zum Beispiel 50 - gesetzlich zu verbieten. Für Tewes Wischmann ein vermessener Wunsch. Der Gesetzgeber könne Frauen nicht vorschreiben, wann sie ein Kind zu bekommen hätten:
"Die Argumentation geht ja in die Richtung: Was ist besser für das Kind: Wenn es geboren wird und einen Elternteil vielleicht vorzeitig verliert, als wenn es aufgrund solcher Limitationen gar nicht erst geboren wird. Und wir können davon ausgehen, dass die Lebenserwartung deutlich ansteigt, und Kinder sehr wohl auch mit älteren Eltern eine Perspektive haben, die bis zum 20. Lebensjahr trägt.
Kritik der katholischen Kirche
Die katholische Kirche hat ganz grundsätzliche ethische Einwände. Nach offizieller Lehrmeinung ist künstliche Befruchtung generell verwerflich, ein Kind sollte, so die Begründung, die Frucht der Liebe sein und nicht das Ergebnis eines medizinisch-technischen Eingriffs. Der Psychologe Tewes Wischmann berät seit 25 Jahren Paare, die ungewollt kinderlos bleiben. Er hat sich des Öfteren mit der Position der katholischen Kirche auseinanderzusetzen:
"Das ist insofern keine Minderheitenmeinung, als sie natürlich immer wieder Paare in der Beratung haben, die sehr stark dem katholischem Glauben anhängen und auf die Reproduktionsmedizin angewiesen sind. Sie kommen in enorme Glaubensnöte und Seelenpein, weil sie etwas machen wollen, wozu ihnen die Glaubensrichtung keine Erlaubnis gibt. Und da ist die Beratung nicht einfach."
Nicht nur die katholische Kirche problematisiert immer wieder das Thema, was mit eingefrorenen Embryonen und Eizellen passiert, wenn sie nicht mehr benötigt werden:
"Das ist ein sehr kritischer Punkt", sagt Wischmann. "Man weiß das aus Studien aus dem Ausland, wo Social Freezing schon länger etabliert ist, dass die Frage, was mit übrig gebliebenen Eizellen … geschieht, eine Grauzone ist."
Wie stark dieses Verfahren genutzt wird, ist nicht statistisch erfasst. Die Frauen werden jährlich angeschrieben, ob ihre Eizellen weiter konserviert werden sollen. Oft bekommen die Institute dann keine Antwort mehr. Die Folge - die Eizellen werden - wie es in der Fachsprache heißt - "verworfen".
Ermöglichen, früher Kinder zu bekommen
Das Social Freezing kann für Frauen eine medizinische Option sein, die Chance auf ein eigenes Kind zu erhöhen, sagt Petra Thorn. Aber für wirklich sozial hält sie etwas Anderes:
"Ich würde mir allerdings wünschen, dass wir breit diskutieren, wie junge Menschen in einem angemessenen Alter ihren Kinderwunsch umsetzen können. Dass wir gesellschaftspolitisch diskutieren, wie politische Maßnahmen besser greifen können. … wir brauchen sehr viel mehr politische Maßnahmen, um es jungen Menschen zu ermöglichen, den Kinderwunsch in einem angemessenen Alter umzusetzen. Und eben nicht Maßnahmen, die dazu führen, dass Frauen immer mehr überlegen müssen, wann ist ein günstiger Zeitpunkt, ein Kind zu bekommen?"