Andreas Main: Christiane Florin, mehr Freiheit für die Ortskirchen, wie sie in Fragen von Sexualität und Familie verfahren, wäre das aus Ihrer Sicht ein befriedigendes Ergebnis dieser Familiensynode - oder wäre das alter Wein in neuen Schläuchen?
Christiane Florin: Das kommt natürlich immer wieder so auf: als Kompromiss-Idee. Man muss den Ortskirchen mehr Gestaltungsspielraum geben, es muss nicht alles in Rom entschieden werden. Für bestimmte Fragen ist das auch sicher richtig. Ich finde aber, wenn es um das Menschenbild geht – und bei Sexualität zum Beispiel da geht es um das Menschenbild – dann ist das keine Frage, die der Ortsbischof zu entscheiden hat, sondern dann ist das natürlich ein Thema, bei dem ich erwarte, dass das in einer Weltkirche auch weltweit gilt. Ja, das Menschenbild ist keine regionale Frage. Da, glaube ich, ist dieses Argument – ja, die Ortsbischöfe, die sollen mehr machen – ist das auch so ein bisschen ein Ausweichversuch, weil man eben weiß, zum Beispiel beim Thema Homosexualität, da klaffen die Meinungen der europäischen Bischöfe und die der afrikanischen Bischöfe doch sehr weit auseinander. Und da fehlt oft der Mut, in diese Auseinandersetzung zu gehen. Wir sehen es ja gerade im Moment, da hat sich ein afrikanischer Kurienkardinal, der so als Anführer des konservativen Lagers gilt, Robert Sarah, in der Hinsicht geäußert, dass er gesagt hat, wir werden uns doch nicht euren europäischen Wertvorstellungen anpassen, eurem Individualismus, der Zerstörung der Familie, das werden wir niemals gutheißen. Und er hat die europäische Position sogar mit dem Wort Neokolonialismus in Verbindung gebracht. Da sozusagen dieser Konfrontation auszuweichen und zu sagen, och – das sollen mal die Ortsbischöfe entscheiden, wie man Homosexualität sieht, wenn das in Europa anders ist als in Afrika, dann regeln wir das eben auf dieser Ebene, das halte ich nicht für richtig. Das ist bisher gerade in diesen Fragen sehr, sehr vieles über das Lehramt zentral entschieden worden. Und ich finde, wenn man da etwas ändern will, dann muss diese Änderung auch zentral sein.
Main: Es gibt Widerstände in der Kurie gegen Papst Franziskus. Es wird der Vorwurf erhoben, der Vatikan sei ein Schiff ohne Steuermann. Es kursiert auch das Bild vom Hochgeschwindigkeitszug, der auf einen Prellbock zurast. Und der Prellbock sei die Familiensynode. Wird es aus Ihrer Sicht einen Aufprall geben - oder ist das zu pessimistisch?
Florin: Das ist, glaube ich, zu pessimistisch. Klar, wenn ich mir die Situation anschaue, wie war sie vor einem Jahr und wie ist sie heute, dann sieht man natürlich schon, dass eine gewisse – ja – Radikalisierung oder Beschleunigung auch stattgefunden hat. Es wirkt ja wirklich so, als hätten sich da zwei Lager im Schützengraben, als hätten sie den Schützengraben noch etwas tiefer gezogen und hätten sich noch mehr bis an die Zähne bewaffnet. Und trotzdem glaube ich, dass eine solche Veranstaltung auch eine Eigendynamik entwickelt – in dem Sinne: es ist erst einmal konfrontativ, aber Konfrontation kann ja auch heilsam sein. Anderen zuzuhören, das kann ja auch dazu führen, dass man tatsächlich mal auch auf neue Ideen kommt. Also, ich bin jetzt noch nicht so im Stadium des Pessimismus angelangt, dass ich sage, es kann wirklich nur zu einem totalen Triumph des einen Lagers führen und zu einer totalen Niederlage des anderen. Das glaube ich nicht. Es ist eine dreiwöchige Veranstaltung, in der gibt es das Plenum, da gibt es kleine Gesprächskreise. In dem Verfahren kommt man vielleicht zu Erkenntnissen, zu Lösungen, die man vorher einfach nicht gesehen hat, weil man sich physisch nicht begegnet ist.
Main: Vollkommen losgelöst davon, was in den kommenden drei Wochen bei der Familiensynode passiert und was danach vom Papst beschlossen wird: Viele sagen, es weht ein frischer Wind in dieser Kirche. Die Basis wird befragt. Es wird auf Katholiken gehört. Ist das womöglich schon jetzt das wichtigste Ergebnis dieser Synode, die gerade begonnen hat?
Florin: Also wenn das das einzige Ergebnis wäre, dann wäre es zu wenig. Dass ein anderer Wind weht, dass es ein Aufatmen gibt, auch ein Gefühl der Befreiung, das sehe ich auch so. Es ist einfach nicht zu unterschätzen, was es in einer solchen Institution bedeutet, erst einmal frei reden zu können. Es ist natürlich auch klassisch, dass die Leute erst beginnen frei zu reden, wenn der Papst, also das Oberhaupt, sie explizit dazu auffordert. Es hat sich einfach sehr, sehr viel angestaut und das kommt jetzt raus. Aber wenn es das einzige Ergebnis wäre, dann wäre es mir zu wenig. Wir haben ja schon – obwohl es kein Konzil ist – so ein bisschen die Stimmung, es geht nicht allein um die Ehe, es geht nicht allein um die Familie, sondern es geht schon um den grundsätzlichen Kurs dieser Kirche, um die Frage: Kann sie sich der Moderne öffnen, kann sie überhaupt noch irgendetwas unternehmen, dass sie zum Beispiel hier in den westlichen Gesellschaften noch in diesen Fragen gesellschaftlich relevant ist? Wenn man die Situation im Moment mit der vom Zweiten Vatikanischen Konzil vergleicht – in den 60er Jahren, muss man ja sagen, damals war die Kirche tatsächlich noch in Fragen von Ehe und Familie, Partnerschaft eine gesellschaftliche Größe. Sie repräsentierte noch die Mitte der Gesellschaft. Das tut sie ja heute nicht mehr. Also es geht auch um die Frage, wie kann die Kirche ein interessantes Gegenüber sein, wie kann sie überhaupt noch Menschen eine Hilfe sein. Das ist für mich so etwas, was in diesen ganzen Kämpfen in den Schützengräben, in den Zügen, die aufeinander zu rasen, was so gut wie nie vorkommt: Wie kann die Kirche eigentlich die Erwartung von Menschen erfüllen, die tatsächlich noch auf Hilfe hoffen? Denn die gibt es ja auch. Und das hat Franziskus ja klar gesagt: Er möchte eine Kirche, die hilft. Er hat es etwas dramatisch ausgedrückt: die Wunden verbindet, die heilt, die ein Lazarett ist. Aber das ist ja ein ganz neuer Ton. Er möchte nicht nur eine Kirche, die sagt, wie Menschen leben sollen, sondern er möchte eine Kirche, die da ist, wenn Menschen Hilfe brauchen.
Main: Und es gibt auch Menschen, die überhaupt nichts mehr mit der katholischen Kirche zu tun haben. Aus dieser Perspektive kann sich die katholische Kirche – wenn ich mich da hinein versetze – eigentlich nur ein blaues Auge holen, wenn sie diskutiert, was in den Betten von Katholiken passiert. Also, lohnt es sich ein Thema breit zu debattieren, für das viele überhaupt kein Verständnis haben?
Florin: Wenn Sie sich anschauen, wozu der Papst spricht – der redet ja permanent, der redet ja mehr, als wir Journalisten überhaupt verdauen können – und sehr, sehr wenig handelt von dem, was in den Betten passiert. Er selber spricht ja wirklich kaum darüber, es sei denn wir Journalisten sprechen ihn darauf an, dann sagt er dazu schon mal was. Also ich glaube, dass er auch so groß jetzt über dieses Thema reden will und schon vergangenes Jahr dieses Thema auf die Agenda gesetzt hat - das ist auch bei ihm mit der Hoffnung verbunden, dass er es dann auch endlich mal vom Tisch hat und dass man sich den wirklich wichtigen Themen widmen kann. Und das wirklich wichtige Thema ist doch vermutlich nicht – ist nicht ein Kernthema des Christentums, ob man Kondome benutzt oder ob Frauen, die Pille nehmen. Was wohl ein Kernthema des Christentums ist, ist natürlich, wie Menschen Bindungen eingehen, was Liebe ist und so weiter. Das alles schon. Aber diese Detailfragen, die mit dem Blick in die Betten zu tun haben, die interessieren, glaube ich, Franziskus selbst nicht besonders, sonst hätte er schon häufiger darüber gesprochen.