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Familientragödie in der Steinzeit

Anthropologie. - Ein Friedhof kann ein aufschlussreicher Ort sein, besonders wenn er 4600 Jahre alt ist. In diesem Fall liegt er in Sachsen-Anhalt und wurde vor drei Jahren entdeckt. Verblüfft waren die Anthropologen, als sie die Ergebnisse von Erbgut-Analysen an den Toten in Händen hielten. Einer der Wissenschaftler, Wolfgang Haak von der Uni Mainz, berichtet im Gespräch mit Monika Seynsche.

    Monika Seynsche: Herr Haak, was genau haben Sie in den Gräbern von Eulau gefunden?

    Wolfgang Haak: In einem speziellen Grab finden sich vier Individuen, zwei Erwachsene, die jeweils paarweise sich mit einem älteren Kind gegenüber liegen, und so wie es aussieht, sich an den Händen hielten und sich zumindest in die Augen schauten.

    Seynsche: Was sind das für Menschen gewesen?

    Haak: Das sind Menschen der Schnurkeramikkultur, die in das ausgehende Neolithikum datieren.

    Seynsche: Was ist denn die Schnurkeramikkultur?

    Haak: Die Schnurkeramikkultur ist ein archäologischer Horizont, der durch charakteristische Schnureindrücke auf der Keramik auffällt.

    Seynsche: Sie haben diese Skelette untersucht, was haben Sie dabei gefunden?

    Haak: Die Skelette wurden molekularbiologisch untersucht. Wir haben dabei ein Familiengrab gefunden, also wir konnten feststellen, dass zwei Erwachsene in einem Grab die Eltern zweier junger Individuen waren.

    Seynsche: Können Sie sich vorstellen, was damals passiert ist? Normalerweise werden Kinder erst später, wenn sie erwachsen sind und natürlich versterben, beerdigt.

    Haak: Im Fall von Eulau gehen wir davon aus, dass es sich um einen gewaltsamen Überfall auf das Dorf oder die Siedlung gehandelt hat. Wir schließen aus dem demografischen Profil, also der Zusammensetzung der Sterbealter der Individuen, dass es sich bei ihnen um möglicherweise die älteren und die Kinder des Dorfes handelte, wohingegen die möglicherweise kräftigen jungen Männer und Frauen auf dem Feld arbeiteten an diesem Tag. Wir können es nicht genau sagen.

    Seynsche: Ist es denn so ungewöhnlich, dass man Familien findet? Man würde eigentlich denken, Menschen bekommen Kinder und leben dann auch in dieser Familie zusammen. Von daher, warum ist es so verwunderlich, jetzt den ersten genetischen Hinweis auf eine Familie zu finden?

    Haak: Aus ethnografischen Vergleichen, die man teilweise auch polygam lebende Sammler-Jäger-Gesellschaften - man hat daraus geschlossen, dass es möglicherweise auch zu Zeiten vor der Sesshaftwerdung, solche soziale Strukturen neben möglicherweise der Kernfamilie gab.

    Seynsche: Jetzt haben Sie aber nachgewiesen, dass es diese Kernfamilie auf jeden Fall auch gab?

    Haak: Es gab die Kernfamilie zur Zeit der Schnurkeramik. Wir können nur insoweit in die Vergangenheit schauen, insofern wir uns auf die Schnurkeramik beschränken. Es erlaubt uns natürlich nicht, zu sagen, dass die soziale Organisation oder die soziale Struktur einer Siedlung seitdem immer so war und dass das für alle Zeit gültig war. Es ist nur ein Beispiel aus der Schnurkeramik. Wir wissen leider nicht, wie es davor ausgesehen hat und tatsächlich nicht, wie es in dem Zeitraum zwischen Schnurkeramik und heute ausgesehen hat.