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Fanbetreuer zu Sport und Integration
Erfahrungen im Breitensport wichtiger als "abgehobene" Özil-Debatte

Der Fanbetreuer Michael Gabriel appelliert an Sportvereine, Mitgliedern mit Migrationshintergrund den Rücken zu stärken. Im Zuge der Debatte um Rassismus beim DFB und den Rücktritt von Mesut Özil sei der Umgang mit dem Thema im Breitensport entscheidend, sagte er im Dlf. Der Sport habe eine große integrative Kraft.

Michael Gabriel im Gespräch mit Peter Sawicki |
    Sotschi, 23.06.2018 Mesut Özil beim WM-Spiel gegen Schweden in Sotschi/Russland.
    Özils Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft hat viele Diskussionen ausgelöst (picture alliance/augenklick/firo Sportphoto)
    Peter Sawicki: Der Rücktritt von Mesut Özil aus der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ist in diesen Tagen ein großes, ein emotionales Thema. Um Fußball an sich, um das, was auf dem Platz geschieht, geht es dabei weniger. Stattdessen rücken gesellschaftliche Aspekte in den Vordergrund, zum Beispiel die Integration von Deutschen mit ausländischen, speziell türkischen Wurzeln und die Frage, wie groß der Alltagsrassismus hierzulande tatsächlich ist.
    Wir wollen heute Morgen noch einmal auf den Fußball blicken und seine Rolle beim Thema Integration besprechen, und zwar mit Michael Gabriel. Er ist Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte. Sie unterstützt Faninitiativen auf sozialpädagogischer Ebene und sie ist bei der Deutschen Sportjugend in Frankfurt angesiedelt. Guten Morgen, Herr Gabriel.
    Michael Gabriel: Schönen guten Morgen.
    Sawicki: Hat der deutsche Fußball ein Rassismusproblem?
    Gabriel: Die deutsche Gesellschaft hat ein Rassismusproblem, und da der Fußball, der Sport auch natürlich ein Teil der Gesellschaft ist, spielt sich das auch im Sport ab. Wir haben aber, um von unserer Arbeit, der Arbeit der Fanprojekte zu reden, die ja Jugendarbeit mit jugendlichen Fußballfans machen, in dem Feld, in unserem Feld auch positive Entwicklungen. Wir können von positiven Erfahrungen berichten, nämlich dass in der deutschen Fanszene es im Vergleich zum Beispiel zu den 80er-Jahren viel mehr junge Fans gibt, die sich für eine Fankultur der Vielfalt, für eine offene Gesellschaft einsetzen, als es damals noch der Fall war. In den Stadien der Bundesliga, der zweiten Liga und der dritten Liga gibt es ein gutes Gegengewicht gegen den zunehmenden Rassismus in der Gesellschaft.
    Rechte Hegemonie in der Fankultur zurückgedrängt
    Sawicki: Was hat sich da konkret verbessert?
    Gabriel: Konkret verbessert hat sich tatsächlich, dass Leute sich stärker engagieren und Fans sich stärker engagieren und gleichzeitig vom Fußball, von den Vereinen, auch vom DFB und von der DFL unterstützt werden. In den 80er-Jahren war es so, dass die Kultur in den Kursen ganz stark dominiert war tatsächlich von einem Rassismus, von einem ganz dumpfen Männlichkeitsgehabe, das dann auch sehr offen war für ausgrenzende, diskriminierende, rassistische Verhaltensweisen, auch viele Nazis in den Stadien. Und alle, die sich tatsächlich dort anders positioniert hatten, hatten es schwer, weil sie in der Minderheit waren. Das waren sie eigentlich nicht; sie haben sich aber in der Minderheit gefühlt, weil die Hegemonie über das, was gesagt werden darf, bei den Rechten, bei den Rassisten lag.
    Über die Arbeit der Fanprojekte, auch über ganz viele Initiativen aus der Fanszene selbst heraus, ist es gelungen, diese Hegemonie ein bisschen zu verändern. Man hört heute in den Bundesliga-Stadien kaum noch, höchstens punktuell rassistische Rufe, diese Urwaldgeräusche. Dem wird sofort widersprochen, weil nämlich klar wurde, dass es eigentlich die Mehrheit ist, die für eine offene Fankultur steht, auch für eine offene Gesellschaft steht und die sich nicht von den Rassisten den Fußball kaputt machen lassen will. Und das, was ganz bedeutsam war, war, dass die Fans, die sich in den 80ern noch alleine gefühlt haben, dass die gemerkt haben, dass es eine Unterstützung gibt, eine Unterstützung aus den Vereinen heraus gibt, auch vom Fußball gibt, und das hat dann dazu geführt, dass wir heutzutage eine bessere Situation haben, keine paradiesische Situation, beim besten Willen nicht, aber schon eine, die auch Rückschlüsse zulässt, was man vielleicht tun kann in anderen Bereichen der Gesellschaft.
    Das Stadion als sozialer Ort
    Sawicki: Sind die Fußballfans in gewisser Weise weiter bei diesem Thema als die Gesellschaft insgesamt?
    Gabriel: Das kann man so nicht sagen. "Die Fußballfans" ist ja auch so eine Hülle, in die man viel reinfüllen kann.
    Sawicki: Die, die ins Stadion gehen zumindest.
    Gabriel: Die, die ins Stadion gehen, auch die, die regelmäßig ins Stadion gehen, die sich auch zusammenschließen in den Stadien. Das Stadion ist ja ein Ort, wo es eine stabile Gemeinschaft gibt, weil die gehen ja immer, die sind ja bei allen 17 Spielen in den Stadien, die fahren auch noch zu den Auswärtsspielen, und da bilden sich tatsächlich soziale Beziehungen. Man muss ja miteinander diesen Ort auch irgendwie füllen und ordnen und auch definieren, was darin machbar ist und was nicht machbar ist. Das Allererste ist natürlich die Unterstützung der Mannschaft, aber dann wird vieles, vieles mehr noch dort verhandelt. Und weil man das gemeinsam tun muss, ist das auch eine Chance, um die Diskussionen mitzuführen, mitzubestimmen oder dort sich einzumischen, weil man weiß, man ist nächste Woche wieder zusammen und man muss dann das wieder machen.
    Die organisierten Fans – und da spreche ich insbesondere auch die Ultras an –, da ist es tatsächlich so, dass dort über viele Jahre Prozesse stattgefunden haben, auch Diskussionsprozesse stattgefunden haben, und die Ultras sind in nahezu allen Städten Träger von einer Fankultur, die sich gegen Rassismus wendet, die sich gegen Ausgrenzung wendet. Das Bedeutsame aus unserer Perspektive ist tatsächlich diese sozialen Beziehungen, die dort eine Rolle spielen, dass es um die Menschen in den Kurven geht, dass es nicht um irgendwelche abgehobenen Diskussionen geht, sondern um die realen Bedingungen, wie so ein Ort, wie so ein sozialer Ort auch gestaltet werden kann.
    Aufruf, sich in die Minderheitenperspektive zu versetzen
    Sawicki: Wenn wir jetzt noch mal auf das schauen, was Mesut Özil an Vorwürfen in Sachen Rassismus erhoben hat. Wenn man das auf den Fußball münzt, zielt er dann ins Leere? Kann man sagen, der Fußball müsste ausgenommen werden aus dieser Kritik?
    Gabriel: Nein, das würde ich beim besten Willen nicht sagen. Das, was das Bedeutende an den Vorwürfen von Mesut Özil ist, ist ja der Aspekt, dass das, was er von seiner Person schildert, dass das, glaube ich, alle Menschen mit Migrationshintergrund, mit Migrationserfahrung in Deutschland haben, dass man nicht selbst bestimmen kann, ob man dazugehört oder nicht, sondern dass das die Mehrheitsgesellschaft ist, die das definiert, und dass, wenn man einen Fehler gemacht hat, es ganz schnell passieren kann, dass man ausgegrenzt wird. Und ich finde, das ist tatsächlich ein bedeutsamer Hinweis, der da gegeben wird. Es ist einer, der uns alle auch in der Mehrheitsgesellschaft auffordern müsste, die Perspektiven auch zu wechseln und viel stärker sich reinzuversetzen in die Menschen, die sich an vielen Stellen auch nicht gewollt fühlen.
    Da ist der Fußball, um den Bogen zu schließen, auch ein Feld, weil wenn wir uns die großen Metropolen in Deutschland anschauen, Hamburg, Frankfurt, Stuttgart, Berlin, und uns die Fanszenen dort anschauen, dann finden wir nicht ansatzweise die prozentuale Entsprechung von Menschen mit Migrationshintergrund in den Stadien. Die sind gar nicht da. Und das ist tatsächlich auch etwas, was, glaube ich, ein Rückschluss ist, oder was zumindest ein Gedanke ist, den man weiterführen sollte, wo auch die Vereine vielleicht anfangen sollten zu überlegen, was sie in ihrer Politik, in ihrer Außendarstellung ändern könnten, damit sie als Vereine auch attraktiv werden für die Communities in ihren Städten, die noch nicht in die Stadien kommen.
    Bei WM-Spielen keine Pfiffe gegen Özil oder Gündogan
    Sawicki: Sie haben bei der Fußball-WM in Russland auch mit vielen deutschen Fans gesprochen. Hatten Sie das Gefühl bei den Gesprächen mit den Menschen dort, dass sie Mesut Özil abgelehnt haben?
    Gabriel: Nein, tatsächlich nicht. Im Vergleich zu den letzten beiden Vorbereitungsspielen in Klagenfurt und Leverkusen gab es in Russland in den drei Spielorten keine Missfallenskundgebungen von den deutschen Fans gegenüber einem einzelnen Spieler, auch nicht gegenüber Gündogan und nicht gegenüber Özil. Aber es war ein Thema, was die Leute natürlich beschäftigt hat, total beschäftigt hat. Da waren zwischen fünf und 7.000 deutsche Fans gewesen, und da war auch die ganze Bandbreite da. Da waren Leute da, die per se ähnlich wie die irrgeleiteten völkischen Teile der AfD, die die blonde, kämpfende, Gras fressende Nationalmannschaft wollen, die wirklich so rückschrittlich denken. Die waren sicher auch da. Aber die Mehrheit hat tatsächlich auch ganz intensiv diskutiert. Viele haben das Foto von Özil mit Erdogan als ein Zeichen von Illoyalität interpretiert und die Nationalmannschaft, die ja dann auch ein Symbol ist für Deutschland.
    Das hat dann dazu geführt, dass das tatsächlich als illoyal verstanden wurde. Und es gab auch viele Fans, die es tatsächlich geschafft haben, sich in die Situation von Özil reinzuversetzen und auch zu sehen, wie schwierig es für ihn als Person ist zu agieren. Der hat ja schon viele Fotos gemacht mit Erdogan. Das hatte nie diese Aufmerksamkeit bekommen. Da wird im Moment extrem viel reininterpretiert und man konnte schon auch verstehen, wie schwer es für diesen Menschen Özil ist, sich da richtig zu verhalten in diesen Kontexten, hin- und hergerissen zu sein zwischen dem Heimatland seiner Familie und dem Land, in dem er aufgewachsen ist und zu so einem großartigen Fußballer geworden ist.
    "Erfahrung in Vereinen wichtiger als abgehobene Diskussion"
    Sawicki: Er hat dann letztlich trotzdem diese Vorwürfe erhoben. Er ist zurückgetreten. Die Meinungen darüber sind gespalten. Trotzdem stellt sich die Frage, was das über die Integrationskraft des Fußballs aussagt. Glauben Sie, dass dieses Thema, dass dieser Aspekt jetzt beschädigt ist?
    Gabriel: Das ist relativ schwer einzuschätzen. Özil hat, ich glaube, 30 Millionen Follower bei Facebook. Da ist er natürlich für viele eine Orientierung, ganz bestimmt auch für viele Muslime weltweit eine Orientierung. Ich bin mir aber nicht sicher. Der Fußball, der Sport insgesamt ist in meinen Augen eine starke gesellschaftliche Kraft, auch eine ganz starke gesellschaftliche integrative Kraft, die zu einem Zusammenhalt beiträgt.
    Ich weiß, wir wissen natürlich alle, die wir im Sport arbeiten, dass der Fußball oder der Sport auch gegenläufige Entwicklungen, ausgrenzende Entwicklungen haben kann. Wenn man dem Leistungsgedanken nicht entspricht, haben viele Menschen, die jetzt nicht so gut im Sport waren, auch negative Erfahrungen gemacht. Aber trotzdem hat er potenziell eine große Kraft und es wird sich alles weisen, wie die Vereine vor Ort jetzt mit der Situation umgehen, und es wird auch darum gehen, die Menschen, die in den Fußballvereinen, die in den Sportvereinen diese integrative Arbeit leisten, zu unterstützen. Ich bin überzeugt davon, dass die Erfahrungen, die Menschen machen in den Sportvereinen, viel wichtiger sind als jetzt so eine abgehobene Diskussion mit Özil. Wer kann sich denn noch an seine Lehrer erinnern, an seine Lehrerin oder an seinen Trainer, der in schwierigen Zeiten zu einem gestanden hat? Darum geht es!
    Verliert der DFB an Appeal für "Migranten-Kids"?
    Sawicki: Da möchte ich aber jetzt noch mal einhaken, Herr Gabriel, weil Sie sprechen die Vereine auf der untersten Ebene an. Für viele junge Spieler auch mit ausländischen Wurzeln war Mesut Özil ja ein großes Vorbild. Wie gehen die Vereine damit jetzt um? Was bedeutet das auch für diese jungen Spieler?
    Gabriel: Wenn wir in den Leistungsbereich gehen, kann ich mir vorstellen, dass das für die Spieler, die jetzt 15, 16 sind, in die U-Nationalmannschaften kommen, natürlich für den Deutschen Fußballbund jetzt eine problematische Situation ist, weil das ist ja die Phase, wo die sich entscheiden müssen, ob sie für die Türkei anfangen zu spielen oder für Deutschland. Es kann schon sein, dass der DFB da Schwierigkeiten haben wird, größere Schwierigkeiten haben wird, Leute mit Migrationshintergrund zu überzeugen, dass sie für den DFB spielen.
    Bei den kleinen Vereinen, die jetzt in der B-Klasse oder auf einem Ort Fußball organisieren und wo dann Migranten-Kids mitspielen, da bin ich tatsächlich überzeugt davon, dass die Rolle von Trainern, von Vereinsfunktionären von Bedeutung ist und dass es dort auch gelingen muss, zu einem Perspektivwechsel beizutragen, dass die sich reinversetzen in ihre Spieler, dass man das, was den Fußball ja ausmacht, einen Mannschaftssport fördert, dass man die Solidarität untereinander fördert, dass man auch zueinander steht, ganz egal wo man herkommt, und gemeinsam gewinnt und gemeinsam verliert. Und um den Bogen zur Nationalmannschaft zu schließen: Das, finde ich, ist auch ein Aspekt, den ich besorgniserregend finde, dass dieses Mannschaftsgefühl jetzt ja überhaupt nicht mehr spürbar ist, dass ich den Eindruck habe, dass Özil von seinen Mannschaftsmitgliedern aus Russland mehr oder weniger allein im Regen stehen gelassen wird und dass davon gar nichts mehr spürbar ist.
    "Man kann auch mit schlechten Beispielen lernen"
    Das ist, glaube ich, auch ein schlechtes Beispiel. Man kann auch mit schlechten Beispielen lernen und man kann schlechte Beispiele nutzen – das ist jetzt eine Aufgabe, finde ich, für Trainer und für diejenigen, die in der Fortbildung sind – zu zeigen, dass man das so nicht macht, sondern dass man es anders machen müsste.
    Sawicki: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Fanbetreuer Michael Gabriel. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Gabriel: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.