Fanprojekte
Das Dilemma mit der Sicherheit

Gewalt in und um Stadien belastet Vereine und die Polizei. Nachhaltig helfen können Fanprojekte. Auch die Polizei spricht sich für die Arbeit der Sozialarbeiert*innen aus. Die Finanzierung ist dennoch schwierig.

Von Daniel Theweleit |
Tausende Fans des VfB Stuttgart ziehen gemeinsam zu einem Bundesligaspiel.
Fanmärsche bleiben oft friedlich. Wie groß dabei der Einfluss der Fanprojekte ist, ist kaum nachvollziehbar. (picture alliance / Pressefoto Baumann / Julia Rahn)
Fanprojekte zählen seit mehr als 30 Jahren zu den zentralen Instrumenten, die Ausschreitungen rund um Fußballspiele verhindern sollen. Die sozialpädagogische Arbeit mit den Fanszenen wirkt Radikalisierungsdynamiken jeder Art entgegen und gilt als Erfolgsmodell.
Deswegen schlugen DFB und DFL im vergangenen Herbst im Rahmen einer prominent besetzten Gesprächsrunde mit Innenpolitikern zum Thema Sicherheit in den Stadien unter anderem vor, den Fanprojekten mehr Geld für ihre Präventionsarbeit zu geben. Darin liege eine gute Chance, den Besuch von Fußballspielen sicherer zu machen. Doch Sachsens Innenminister Armin Schuster von der CDU blieb skeptisch und fragte: 
„Sind unserer Fanprojekte, unsere Präventivarbeit, ist die eigentlich zielsicher angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen, die wir haben? Da haben wir auch so gewisse Zweifel, ob die noch à jour sind.“

Unsicherheit durch Forderung nach einer Auswirkungsanalyse

Schuster forderte eine Auswirkungsanalyse der Arbeit der Fanprojekte und löste damit ein starkes Gefühl der Verunsicherung aus, das bis heute nicht verflogen ist. Wird hier ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb der deutschen Fankultur beschädigt? Müssen Verbände, Vereine und auch die Mitarbeiter der 71 Fanprojekte um den Fortbestand dieser Einrichtungen fürchten?
Denn die Hälfte des Budgets kommt von den Ländern und Kommunen, DFB und DFL verdoppeln jeden Euro der öffentlichen Hand. Bevor der Fußball mehr geben kann, müssen also auch die Zahlungen aus dem Steuertopf steigen. Seine Aussagen seien nicht ganz richtig verstanden worden, sagt Schuster nun im Gespräch mit dem Deutschlandfunk:
„Ich bin da gar kein Gegner. Nur wenn wir mehr Geld reingeben, dann brauche ich Erklärungen für den Landtag, dann brauche ich Erklärungen für den sächsischen Rechnungshof. Und der hat in seinem Bericht geschrieben: Eine direkte Wirkung der Fanprojektarbeit auf die Sicherheitslage aufgrund der vorrangig sozialpädagogischen Methoden im Umfeld von Fußballspielen ist kaum nachweisbar.“

Langfristiger Ansatz, schwierige Nachweisbarkeit

Tatsächlich lässt sich nur schwer belegen, dass die Bereitstellung von Geld für die Fanprojekte die Effekte hat, die Innenpolitiker sehen wollen: weniger Pyrotechnikvorfälle, weniger Gewalt, geringere Kosten für Polizeieinsätze. Die Wirkungsweise ist komplexer, sagt Michael Gabriel, der die Koordinierungsstelle der Fanprojekte leitet:
„Der Arbeitsansatz der Fanprojekte ist auf Kontinuität angelegt und viel, viel umfassender, als sozusagen zu verhindern, dass es an der einen oder anderen Stelle eine Auseinandersetzung gibt. Unsere Aufgabe von Fanprojekten ist es, die jungen Menschen, so zu stärken in ihrer Persönlichkeitsentwicklung, dass sie Selbstverantwortung übernehmen und von sich aus sozusagen keine Gewalt ausüben.
Neben den ganz vielen anderen Aufgaben, die die Fanprojekte haben, da geht es um Suchtprävention, da geht es um Beratung bei Lebensentscheidungen, Berufsentscheidungen, wenn Menschen Probleme mit Schulden haben und auch andere Dinge.“

Oft sehr guter Zugang zu schwer erreichbaren Fans

Die Sozialarbeiter haben nicht immer und überall, aber sehr oft einen guten Zugang zu jenem schwer erreichbaren Teil der Fans, die immer wieder in Konflikte mit Polizei und Ordnungsdiensten hineingeraten. Sie nehmen an Auswärtsfahrten teil, stärken die vernünftigen Kräfte in den Kurven, tragen zur kritischen Aufarbeitung von Vorfällen bei. Der Polizeioberrat Michael Madre, der sich als stellvertretender Leiter der Zentralen Stelle für Sporteinsätze intensiv mit Ausschreitungen beim Fußball beschäftigen muss, empfiehlt, dass Skeptiker sich bei der Bewertung von Fanprojekten,
„nicht nur auf Sicherheitsstörungen an Spieltagen konzentrieren können, sondern auch auf die Lage davor und danach. Deswegen würde ich mich auch immer für die Arbeit von Fan-Projekten aussprechen, weil sie meiner Meinung nach ein ganz lohnenswerter Teil sind in diesem Gesamtkonglomerat.“
Madre weist auch darauf hin, dass es die von Sachsens Innenminister Schuster geforderte Überprüfung der Fanprojektarbeit längst gibt: ein Qualitätssiegel, das jedes Fanprojekt alle drei Jahre vom unabhängigen Centrum für Evaluation der Universität Saarbrücken erneuern lassen muss. Polizeioberrat Madre sagt: 
„Wir haben das Qualitätssiegel, was für Fan-Projekte sozusagen ausgegeben wird, sie sind zertifiziert damit, es ist ein standardisierter Vorgang. Es sind auch verschiedene Akteure dabei inkludiert, die eine Bewertung abgeben können. Wenn man sich das anschaut, ist das sehr professionell und auch strategisch ausgerichtet.“

Fanprojekte können keine Erfolge versprechen

Auch Sachsens Innenminister glaubt durchaus an die Sinnhaftigkeit der Fanprojekte, er kann sich sogar vorstellen, mehr Geld zu geben. Aber nur „wenn ich dafür einen richtigen Erfolg hätte beim Thema Sicherheit im Stadion.“
Es ist ein Dilemma: Denn diesen Erfolg kann niemand versprechen. Schließlich besteht der Erfolg von Fanprojekten nicht zuletzt darin, was nicht passiert und damit auch nicht beziffert werden kann. Immerhin kann Michael Gabriel auf Erfolge der Vergangenheit verweisen:
 „Den Fanprojekten ist es gelungen, die jungen Menschen in den Kurven zu stärken, die sich gegen Diskriminierungen wenden, die sich gegen Rassismus wenden, gegen Rechtsextremismus wenden, die für eine Gleichberechtigung von Frauen und Männern in den Kurven werben. Und das ist ein ganz, ganz riesiger Erfolg von Fanprojektarbeit.“
Doch vorerst herrscht Stillstand: Die Verbände wollen mehr geben, können aber aufgrund des paritätischen Finanzierungsmodells erst tägig werden, wenn auch die öffentliche Hand Gelder freigibt. Und die Länder müssen sparen und wollen Erfolge mit denen sie sich schmücken können: mehr Sicherheit, weniger Gewalt, weniger Pyrotechnik. Doch das kann kein Fanprojekt versprechen.