Archiv

Fans in Russland
"Die WM ist nicht unsere Priorität"

Viele Russen werden sich kein Spiel der WM im Stadion ansehen, weil die Ticketpreise für sie zu hoch sind. Ausländische Fans zahlen noch mehr und müssen zusätzlich mit hohen Kosten für Reisen im Land rechnen.

Von Thielko Grieß |
    Eröffnung des FIFA-Fan-Fests in Moskau
    Eröffnung des FIFA-Fan-Fests in Moskau (imago sportfotodienst/Mikhail Japaridze/TASS )
    Federico sieht glücklich aus, seine Karte hält er in den Händen. Gerade ist er aus dem Ticket-Zentrum in Moskau herausgekommen und auf den Bürgersteig getreten. Er und seine vier Freunde sind aus Patagonien, dem Südteil Argentiniens, in die russische Hauptstadt geflogen. Erst einmal wollten sie Europa bereisen, Städte wie Berlin, Budapest, Amsterdam oder Brüssel. Schon jetzt hätten Flug und Ticket für das Spiel Argentinien gegen Kroatien mehr als 1.000 Dollar für jeden gekostet. Die Partie wird am 21. Juni in Nischnij Nowgorod gespielt.
    Insgesamt sind laut FIFA für die Weltmeisterschaft mehr als 2,5 Millionen Tickets verkauft worden. Davon haben etwa 36 Prozent Russinnen und Russen erworben, für die günstigere Preise galten. Ein gewöhnliches Gruppenspiel, von der Eröffnung am Donnerstag abgesehen, kostete umgerechnet zwischen 17,50 Euro und 172 Euro. Doch auch die günstigen Kategorien sind für Menschen in kleineren Spielstädten, wo monatliche Durchschnittseinkommen teils bei nicht sehr viel mehr als 200 Euro liegen, noch immer viel Geld, bestätigt zum Beispiel Oleg, 26 Jahre alt, der bei Saransk lebt.
    Oleg sagt: "Das ist so in meiner Situation, ich wohne 20 Kilometer von hier entfernt. Ich habe Zwillinge, zehn Monate alt. Wir haben einen Kredit für die Wohnung aufgenommen. Die WM ist da nicht unsere Priorität."
    Erst die zweite WM mit anderem Alphabet
    Die russischen Gastgeber erwarten nun hunderttausende Gäste aus dem Ausland. Wie Walentina, Mitarbeiterin der Metro in Moskau, sollen tausende Helferinnen und Helfer in allen Städten bereit stehen, um Ausländern auch auf Englisch den richtigen Weg zu weisen.
    Sie werden wohl gebraucht, denn nach der WM 2002 in Japan und Südkorea ist dieses Turnier in Russland erst die zweite Weltmeisterschaft in einem Land, in dem lateinische Schriftzeichen nicht der Standard sind. Schilder sind nicht überall zweisprachig, auch nicht etwa im Moskauer U-Bahn-Netz.
    Die Gäste und die Einheimischen über teils weite Distanzen zwischen den elf Spielstädten zu befördern, ist keine triviale Aufgabe. Zwar stehen die Stadien sämtlich im europäischen Teil Russlands, doch beträgt die Entfernung von Sankt Petersburg bis Jekaterinburg im Ural oder bis nach Sotschi mehr als 2.200 Kilometer.
    Sonderzüge und noch mehr Flüge
    Die russische Eisenbahn setzt deshalb Sonderzüge ein, darunter mehr als 730 Fan-Züge, die nach Anmeldung für Ticketinhaber kostenlos nutzbar sind. Stichproben aber zeigen, dass deren Kapazitäten so gut wie ausgeschöpft sind. Und für den Flugverkehr gilt: In vielen WM-Austragungsstädten wie in Samara oder Kaliningrad sind die Airports mit Neubauten versehen worden und die Fluggesellschaften haben deutlich mehr Starts eingeplant.
    Kirill Poljakow von der "Transportdirektion 2018" sagt: "Mehr als 600 zusätzliche Flüge mit 100.000 Plätzen. Aber uns ist klar, dass das möglicherweise nicht ausreicht, deshalb arbeiten wir daran, noch einmal rund 400 Flüge hinzuzufügen."
    Deren Preise sind inzwischen gestiegen, wenngleich nicht ins Unendliche. Ein Beispiel: Für das Spiel Deutschland gegen Schweden in Sotschi kosten die günstigsten Flüge von Moskau aus zurzeit mehr als 100 Euro. Zu normalen Zeiten können sie für gut die Hälfte erworben werden.
    Russische Behörden werten Reisedaten aus
    Die Daten, die Flugreisende und Fans bei ihren Käufen angeben müssen, werden von russischen Behörden gesammelt und ausgewertet. Laut deren Argumentation dient dies der Sicherheit der Weltmeisterschaft. Zu den Maßnahmen zählen nicht nur tausende Polizisten und Spezialkräfte, die in den elf WM-Städten aus allen Landesteilen zusammen gezogen worden sind, sondern eine sowohl für Einheimische als auch Fans strengere Registrierungspflicht.
    Wie eine Vertreterin des Innenministeriums erklärt, müssen sich alle Reisenden nach ihrer Ankunft in einer der elf WM-Städte innerhalb der ersten drei Tage bei der zuständigen Behörde mit Pass und Einreisedokumenten melden. Wer in einem Hotel unterkommt, für den wird das dort erledigt. Wer privat übernachtet, für den müssen die Gastgeber zur Behörde gehen. Freie Unterkünfte sind währenddessen noch zu haben – aber günstig sind sie vor allem an Spieltagen zumeist nicht mehr.
    Den vollständigen Beitrag können Sie mindestens sechs Monate in unserer Mediathek nachhören.