"Bitte unterlasst das Abbrennen von Pyrotechnik!" Immer noch gehören solche eher wirkungslosen Durchsagen zum Alltag in den deutschen Fußballstadien. Meist sind es Gruppierungen in den Gästeblocks, die bengalische Feuer auf ihre Plätze schmuggeln und sich aufwändig vermummen, um ihre pyrotechnische Show aufzuführen. Und das wird auch so bleiben, sagt Alex von der Kölner Ultra-Gruppe Coloniacs. "Damit sind wir groß geworden, seit wir in den 80ern oder 90ern zum ersten mal ins Stadion gegangen sind, das gehörte dazu. Nur weil es auf einmal kriminalisiert wird und schärfer verfolgt wird, ist es trotzdem Teil unserer Kultur und wir werden das weiter machen."
Alex möchte seinen ganzen Namen lieber nicht im Radio nennen. Er hat Angst davor, in der mitunter hysterischen Debatte um Fußballfans mit Gewalttätern und Hooligans gleichgesetzt zu werden. Allerdings hat er wahrgenommen, dass der Deutsche Fußball-Bund, die Deutsche Fußball-Liga und viele Klubs die Fanszene differenzierter betrachten als je zuvor. Die Funktionäre wollen nicht mehr als verbohrte Dialogverweigerer wahrgenommen werden. Und das scheint zu gelingen. "Auf der einen Seite sehe ich eine Entwicklung, dass in den Vereinen und Verbänden erkannt worden ist, dass man mit uns reden kann. Wir fühlen uns ernster genommen, und das ist genau der richtige Weg. Über Dialog gemeinsam Konzepte zu finden, wie man das Problem abbauen kann."
Neun-Punkte-Plan
Nun hat der DFB in Zusammenarbeit mit der DFL einen Neun-Punkte-Plan ausgearbeitet, in den einige Erkenntnisse aus dem Prozess der Annäherung eingeflossen sind. Ordnungsdienste sollen besser geschult werden, konsequenter intervenieren, wenn sie verbotene Aktivitäten in den Kurven beobachten und effizienter bei der Täterermittlung helfen. Die Vereine sind aufgefordert, wirksamere Vorkehrungen zur Tataufklärung und zur Tätermittlung zu treffen. Außerdem werden Bewährungsstrafen ausgesprochen, erst bei Verstoß gegen Auflagen erfolgt ein Teilausschluss des Publikums. Vielleicht am wichtigsten ist aber die sogenannte „Täterorientierte Sanktionierung". Eine Studie hat den Klubs zu der Erkenntnis verholfen, dass das alte Vorgehen, nämlich die Bestrafung ganzer Gruppen, fatale Dynamiken in Gang setzen kann, sagt Thomas Schönig von der Kölner AG Fankultur. "Generalbestrafrungen führen in den seltensten Fällen zu einem Erfolg. Sie haben erstmal Ruhe, weil alle beeindruckt sind, und dann kommt es zu einem Solidarisierungseffekt, es kommt ganz schnell so eine Märtyrergeschichte, weil dann auch gesagt wird und zwar zurecht: Es waren ja nicht alle daran beteiligt, wir bestrafen aber alle. Und das hat immer Wirkung und die ist nicht positiv."
Daher wird jetzt intensiv nach den Einzeltätern gesucht. Und dabei spielt die akribische Auswertung der Daten, die von immer hochwertigeren Überwachungssystemen geliefert werden, eine zentrale Rolle. Andreas Rettig, der Geschäftsführer der DFL sagt: "Diese Kamerasysteme, das ist wirklich Hightech, das ist nicht mehr vergleichbar mit den alten Geräten. Mittlerweile haben acht Klubs diese Geräte, die vornehmlich im Gästeblock zum Einsatz kommen, weil die meisten Heimfans sich so verhalten, wie wir uns das alle wünschen. Viele andere Vereine schauen sich die Erfahrungen mit diesen Kameras an, und ich bin relativ sicher, dass da weitere nachfolgen."
Vermummungsverbote werden unterlaufen
Allerdings lauert an dieser Stelle ein neues Problem. Denn die Antwort einiger Fans auf die verstärkte Überwachung sind immer geschicktere Vermummungsstrategien. Es gibt zwar ein Vermummungsverbot für Versammlungen und Veranstaltungen, dessen Umsetzung ist jedoch kompliziert, meint Rettig: "Wir müssen unterscheiden, zwischen der Vermummung im Stadion, da können wir das relativ deutlich mit Gesetz und Ordnung im Rücken das verhindern. Fast alle haben die Stadionordnung so geändert, dass es auf einer rechtlich guten Grundlage fußt, diese Vermummungen zu verhindern. Außerhalb des Stadions haben wir ein größere Problematik, weil wir durch den Föderalismus in unserem Lande eine große Bandbreite der Auslegung haben."
Denn bislang gibt es kein bundesweit einheitliches Vorgehen, wenn Gruppen sich, außerhalb der Arenen, beispielsweise auf dem Weg vom Bahnhof zum Stadion vermummen. Einige Bundesländer sagen, so ein Marsch sei weder eine Versammlung noch eine Veranstaltung. Gegen seine Vermummung sei also nichts einzuwenden. Und im Stadion selbst, wo die Ordnungsdienste zuständig sind, droht beim Einschreiten eine Eskalation der Gewalt. "Ich kann die Ordnungsdienste verstehen, die da nichts machen, denn man muss eine gewissen Verhältnismäßigkeit waren. Und ich finde immer noch, das Vergehen der Pyrotechnik ist zu geringfügig, als dass dadurch Gewalt legitimiert werden könnte. Wenn die da Ordner in eine Gruppe von 200 Leuten reinstürmen, dann kommen die nicht einfach so mit dem Täter da raus, sondern kommen die da mit gebrochen Armen und Beinen raus, das ist das Problem", sagt Alex von den Coloniacs.
Der Neun-Punkte-Plan scheint also allenfalls ein erster Schritt zu sein. Zumal die Frage, ob Bewährungsstrafen den erhofften Selbstreinigungsprozess in den Kurven in Gang setzen, bislang unbeantwortet ist. Denn wenn einzelne gegen die Auflagen verstoßen werden wieder Unbeteiligte bestraft, und das sollte ja in Zukunft gerade nicht mehr passieren.