Im Jahr 1828, mitten in die Angstträume der deutschen Romantik, placiert der Künstler Carl Wilhelm Kolbe der Ältere eine Radierung: "Phantastische tote Eiche in einem Gehölz" ist das Blatt überschrieben. Eine aufgrund ihrer verschwindenden Kleinheit kaum wahrnehmbare menschliche Figur kauert da ahnungs- und angstvoll unter den blattlosen Ästen eines weit ausgreifenden Baumes. Der Baum - mehr Fabelwesen als Naturerscheinung. Astlöcher werden hier zu Augen, Äste zu Greifarmen, zu mächtigen dämonischen Gerätschaften des Bösen.
Ziemlich kühn befindet sich diese raunende Angstvision in der Ausstellung in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Arbeit der Dadaistin Hannah Höch, "Scene II", die zwischen 1936 und 1943 entstand, also mittendrin in dunkelster deutscher Zeit. Das Blatt mit seiner Mischtechnik aus Collage und Aquarell zeigt eine in blasses Rot getauchte Kunstlandschaft ganz anderer und doch in Komposition und Aussage vergleichbarer Art, aus der angstvoll die Augen einer Katze blicken.
"Tagträume - Nachtgedanken". Die faszinierende Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, die 130 Blätter aus fünf Jahrhunderten versammelt - grafische Arbeiten, Fotografien, Zeichnungen - von Martin Schongauer und Albrecht Dürer über Francisco Goya bis zu Max Ernst, James Ensor, Hans Bellmer, Raoul Hausmann, Salvador Dali und Pablo Picasso, sie lebt von solchen Brüchen, den enormen Zeitsprüngen, aufregenden Gegenüberstellungen.
Manchmal scheint es, als würde die Zeit kaum mehr eine Rolle mehr spielen vor dem Hintergrund der Fantasie. Denn die Fantasie ist wie der Traum ein zeitloser Ort, sie löst Grenzen auf. Und Träume und deren kreative Kraft haben schon lange vor der Traumdeutung Freuds die Künstler fasziniert.
"Dürer, da werden Sie auch in der Ausstellung Zitate von ihm finden, hat den Traum ja hoch geschätzt hat gesagt, im Traum hat er die besten Ideen. Im Traum ist alles erlaubt, was an sich in der Kunst nicht erlaubt ist, normalerweise."
Die Kuratorin Yasmin Doosry ist bei ihrer Arbeit auf der Suche nach bildrhetorischen Mustern und den Wurzeln von Surrealismus und Dadaismus weit zurück getaucht in die Kunstgeschichte, denn die Ausstellung, gemeinsam erstellt mit der "Fundación Juan March" in Madrid, untersucht die lange Tradition fantastischer Kunst, geistert geschickt durch Spätmittelalter über Manierismus und Barock bis in die klassische Moderne, betrachtet dabei die Konstruktion Mensch ebenso wie den Wechsel der Perspektiven.
Was verbindet Man Ray mit Albrecht Dürer? Der amerikanische Fotograf Man Ray hat im Jahr 1920 tatsächlich ein rätselhaftes, in eine Wolldecke eingewickeltes Gebilde fotografiert, ein Bild, das heute als eines der Gründungswerke des Surrealismus gilt und das zugleich wirklich Assoziationen zu Albrecht Dürers berühmter "Melencolia" herstellt. Beides nämlich sind Rätselbilder, die gezielt die Fantasie des Betrachters motivieren wollen.
"Ich denke, dass Künstler in diesen anderen Welten auch ne Wirklichkeit gesehen haben, es war für sie ne andere Wirklichkeit, die genau so berechtigt war, wie das, was wir sehen, also die Dinge hinter den Dingen."
Das menschliche Auge spielte bei der Entdeckung "der Dinge hinter den Dingen" stets eine wesentliche Rolle. Das Auge öffnet den Raum, die Tür zwischen äußerer und innerer Welt, es blickt nach außen und innen zugleich, meinten die Surrealisten. Für sie wird das Auge gar zur Leitmetapher für ungebändigte Fantasie.
Da ist etwa Francisco Goyas Brief an den Freund Martin Zapater, an dessen Rand er einfach, scheinbar bezuglos, ein riesiges Auge zeichnet. Die Wirklichkeit, wir wissen das, ist ein labiler Apparat. Und was Künstler durch die Jahrhunderte faszinierte, war nicht nur die Regellosigkeit der Fantasie, waren nicht nur die Inspirationsquellen der Träume, der imaginierten und sehr konkreten Ängste und Visionen, sondern auch, vor allem ab dem 19. Jahrhundert mittels ihrer Hilfe der radikale Bruch mit gesellschaftlichen Moralvorstellungen, die die Individualität des Einzelnen eingrenzten, der Bruch mit den Gesetzen der Logik sowie die Anerkennung von Widersprüchen. Die Dingwelt wurde zunehmend überprüft. Den Surrealisten diente die Wirklichkeit letztlich nur noch im Hinblick darauf, inwieweit sie taugte, die Fantasie in Gang zu setzen.
Ziemlich kühn befindet sich diese raunende Angstvision in der Ausstellung in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Arbeit der Dadaistin Hannah Höch, "Scene II", die zwischen 1936 und 1943 entstand, also mittendrin in dunkelster deutscher Zeit. Das Blatt mit seiner Mischtechnik aus Collage und Aquarell zeigt eine in blasses Rot getauchte Kunstlandschaft ganz anderer und doch in Komposition und Aussage vergleichbarer Art, aus der angstvoll die Augen einer Katze blicken.
"Tagträume - Nachtgedanken". Die faszinierende Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, die 130 Blätter aus fünf Jahrhunderten versammelt - grafische Arbeiten, Fotografien, Zeichnungen - von Martin Schongauer und Albrecht Dürer über Francisco Goya bis zu Max Ernst, James Ensor, Hans Bellmer, Raoul Hausmann, Salvador Dali und Pablo Picasso, sie lebt von solchen Brüchen, den enormen Zeitsprüngen, aufregenden Gegenüberstellungen.
Manchmal scheint es, als würde die Zeit kaum mehr eine Rolle mehr spielen vor dem Hintergrund der Fantasie. Denn die Fantasie ist wie der Traum ein zeitloser Ort, sie löst Grenzen auf. Und Träume und deren kreative Kraft haben schon lange vor der Traumdeutung Freuds die Künstler fasziniert.
"Dürer, da werden Sie auch in der Ausstellung Zitate von ihm finden, hat den Traum ja hoch geschätzt hat gesagt, im Traum hat er die besten Ideen. Im Traum ist alles erlaubt, was an sich in der Kunst nicht erlaubt ist, normalerweise."
Die Kuratorin Yasmin Doosry ist bei ihrer Arbeit auf der Suche nach bildrhetorischen Mustern und den Wurzeln von Surrealismus und Dadaismus weit zurück getaucht in die Kunstgeschichte, denn die Ausstellung, gemeinsam erstellt mit der "Fundación Juan March" in Madrid, untersucht die lange Tradition fantastischer Kunst, geistert geschickt durch Spätmittelalter über Manierismus und Barock bis in die klassische Moderne, betrachtet dabei die Konstruktion Mensch ebenso wie den Wechsel der Perspektiven.
Was verbindet Man Ray mit Albrecht Dürer? Der amerikanische Fotograf Man Ray hat im Jahr 1920 tatsächlich ein rätselhaftes, in eine Wolldecke eingewickeltes Gebilde fotografiert, ein Bild, das heute als eines der Gründungswerke des Surrealismus gilt und das zugleich wirklich Assoziationen zu Albrecht Dürers berühmter "Melencolia" herstellt. Beides nämlich sind Rätselbilder, die gezielt die Fantasie des Betrachters motivieren wollen.
"Ich denke, dass Künstler in diesen anderen Welten auch ne Wirklichkeit gesehen haben, es war für sie ne andere Wirklichkeit, die genau so berechtigt war, wie das, was wir sehen, also die Dinge hinter den Dingen."
Das menschliche Auge spielte bei der Entdeckung "der Dinge hinter den Dingen" stets eine wesentliche Rolle. Das Auge öffnet den Raum, die Tür zwischen äußerer und innerer Welt, es blickt nach außen und innen zugleich, meinten die Surrealisten. Für sie wird das Auge gar zur Leitmetapher für ungebändigte Fantasie.
Da ist etwa Francisco Goyas Brief an den Freund Martin Zapater, an dessen Rand er einfach, scheinbar bezuglos, ein riesiges Auge zeichnet. Die Wirklichkeit, wir wissen das, ist ein labiler Apparat. Und was Künstler durch die Jahrhunderte faszinierte, war nicht nur die Regellosigkeit der Fantasie, waren nicht nur die Inspirationsquellen der Träume, der imaginierten und sehr konkreten Ängste und Visionen, sondern auch, vor allem ab dem 19. Jahrhundert mittels ihrer Hilfe der radikale Bruch mit gesellschaftlichen Moralvorstellungen, die die Individualität des Einzelnen eingrenzten, der Bruch mit den Gesetzen der Logik sowie die Anerkennung von Widersprüchen. Die Dingwelt wurde zunehmend überprüft. Den Surrealisten diente die Wirklichkeit letztlich nur noch im Hinblick darauf, inwieweit sie taugte, die Fantasie in Gang zu setzen.