"Der neue Fitness-Trend Faszientraining soll zehn Jahre jünger machen / Übung 1: Faszienrolle / Faszien Fitness / Das Blackroll-Training / Dabei sind Faszien die wahren Drahtzieher im Körper."
Faszien: das neue Zauberwort der Physiotherapie- und Fitness-Branche. Im Internet wird heftig dafür geworben. Fast alle Beschwerden des Bewegungsapparates, Rückenschmerzen und vieles mehr sollen durch Training der geheimnisvollen Faszien verschwinden. Und verjüngen und Cellulite "glätten" soll es gleich auch noch.
"Faszien sind Bindegewebsstrukturen, die die Muskeln einhüllen, man kann sich das tatsächlich wie eine Haut des Muskels vorstellen, und ihm Halt gibt, auch einen gewissen Widerstand, wenn er sich anspannt, und auch wichtig ist, für die Kraftübertragung. Und wir wissen das Sinnesrezeptoren in diesen Faszien enthalten sind, die wiederum dem Gehirn Rückmeldung über die Anspannung und Position des Muskels geben", sagt Dr. Ralf Doyscher, Orthopäde und Unfallchirurg von der Charité Berlin. Der Behauptung, das Wissen um Faszien und ihre Bedeutung sei revolutionär neu, kann er so nicht zustimmen. Schon in alten Anatomiebüchern finden sich entsprechende Beschreibungen.
Farben stehen für unterschiedliche Härtegrade der Schaumstoff-Rollen
"Es ist mit Sicherheit so, dass die neuesten Forschungsergebnisse noch mal ein neues Licht darauf geworfen haben und wir jetzt einen neuen Zugang dazu haben und vielleicht die Bedeutung jetzt anders einschätzen, grundlegend bahnbrechende Erneuerungen sind es in aller Regel nicht."
Aber immerhin: Die Zuwendung zu diesem Teil des Bindegewebes scheint schon den einen oder anderen Vorteil zu haben. Faszien können, so die Vorstellung, schmerzhaft verkleben, und mit Massage oder entsprechendem Training wird das womöglich gelöst. Im Mittelpunkt stehen dabei Übungen mit Faszienrollen. Durchgesetzt hat sich die Bezeichnung "Blackroll", wenngleich mehrere Farben für unterschiedliche Härtegrade der Schaumstoff-Rollen stehen. Ein Hauptziel der Faszientherapie ist es, Verklebungen und Flüssigkeitseinlagerungen auszustreichen.
"Sie können sich die Faszie vorstellen wie einen Teppich aus Fasern, die vor allem aus Kollagen, aber auch aus elastischen Fasern bestehen, die sozusagen miteinander verschlungen und durchwoben sind, und in den Zwischenräumen sind Proteine eingelagert, aber auch Flüssigkeit, und so eine Faszie kann zu einem gewissen Grad Flüssigkeit aufnehmen und auf Druck wieder abgeben, das kann man natürlich mechanisch von außen beeinflussen. Man muss den Muskel mit seiner Faszie als Funktionseinheit verstehen, man kann auch die Faszie nicht therapieren, ohne den Muskel dabei mit zu therapieren, also, es ist schwierig, das zu trennen, und ich würde auch davor warnen, das zu dogmatisch zu tun."
Allerdings heiße das nicht, dass die Beachtung der Faszien vollkommen unsinnig sei: "Was mit Sicherheit möglich ist, dass man durch gezielte Reize Regelkreise im Körper ansprechen kann, die zu einer Unterdrückung des Schmerzes führen, die zu einer Entspannung der Muskulatur führen können, man kann Dehnungsreize setzen, um damit wieder eine bessere Flexibilität und Beweglichkeit zu erreichen, ein Faszientraining in dem Sinn, dass die Faszie jetzt wirklich als aktives, eigenständiges Organ trainiert werden kann, ist aus meiner Sicht schwierig möglich."
Die Faszientherapiestrategien werden momentan sehr stark beworben
Faszienbehandlung oder -training allein geht also gar nicht. Und ohnehin unterscheiden sich die Übungen eigentlich kaum von bisher bekannten wie "Rolfing" oder Yoga, bei denen es wie beim Faszientraining um Dehnung geht. Dr. Rainer Stange ist Naturheilkundler an der Immanuel-Rheumaklinik in Berlin. "Das ist natürlich mal ganz spannend: Warum kommt die Menschheit darauf, ihre Schmerzen mit relativ ähnlichen Techniken anzugehen. Dass jetzt die Inder natürlich mit dem Yoga das ausgefeilteste System haben, mit der Atemtechnik verbunden, also auch mit einer Ausdauer, das garantiert ja einen Zeitfaktor, und das ist neben den extremen Dehnungen wahrscheinlich ein ganz, ganz wichtiger Gesichtspunkt, dass man auch die Geduld hat, die Position auszuhalten."
"Willkommen zu meinem Pilates-Faszien-Programm. / Wade und Achillessehne / Nun rollen Sie etwas nach vorne …"
Insgesamt sieht Sportmediziner Doyscher, der selbst eine Ausbildung als Physiotherapeut hat, den Hype um die Faszie skeptisch: "Es gibt immer wieder Herangehensweisen, die von einzelnen Gruppen geprägt werden, die versuchen, ein neues Therapiekonzept zu erzeugen, und man muss immer kritisch im Verlauf der Zeit dann sehen, wie viel von diesen Therapiemethoden übrig bleiben, momentan werden diese Faszientherapiestrategien sehr stark beworben und immer dann, wenn ein gewisser Kommerzdruck dahinter steht, muss man sehen, wie viel davon ist tatsächlich durch Erfahrung, aber auch durch wissenschaftlichen Nachweis gesichert, wie viel davon ist nur ein guter Gedanke."
Dafür, dass hinter der Faszienmode viel Kommerz steht, spricht die Tatsache, dass ein Psychologe, Heilpraktiker und promovierter Biologe aus Ulm "Faszienforschung" betreibt, aber gleichzeitig seine Übungs-CDs höchst erfolgreich vermarktet. Und Dr. Ralf Doyscher räumt aus seiner Erfahrung als Unfallchirurg noch mit einer anderen Behauptung auf, dass nämlich bisher bei Operationen den Muskelumhüllungen keine Beachtung geschenkt worden sei: "Es ist schon immer darauf hingewiesen worden, dass man mit den Faszien vorsichtig umgehen soll, und dass viele Funktionsstörungen, Schmerzzustände nach Operationen eben durch Schädigungen an den Faszien hervorgerufen werden, was man vielleicht jetzt noch zusätzlich etwas besser versteht ist, wie auch die Narben innerhalb der Faszie auch das Funktionssystem mit beeinträchtigen können."
Weitere Forschung könnte vielen Patienten helfen
Auch der Arzt für Naturheilkunde, Dr. Rainer Stange, würde es zwar begrüßen, wenn Faszientherapie hilft, will aber erst wissen, ob sie wirklich besser als bisherige Methoden ist. "Das muss man erst mal im Vergleich zur klassischen muskulären Massage, wo natürlich die Faszie auch mit massiert wird, oder zu den Wärme oder Kälte-Therapien nachweisen, und wie ich diagnostizieren kann, dass die Faszie führend als Erklärung für den Schmerz ist, da bin ich eher etwas zurückhaltend. Man muss natürlich jetzt nicht eine neue Ära der Medizin am Horizont aufsteigen sehen, es ist immer schön, wenn wir neue Techniken haben, und es ist immer schön, wenn wir sie gezielt einsetzen können."
Weitere Forschung könne vielen Patienten helfen: "Es ist unbedingt zu begrüßen, dass in diesem Punkt, also gerade die Weichteile des Körpers, sehr viel mehr geforscht wird, die gegenüber den großen Organen – Leber, Herz, Lunge – ja lange Zeit doch sehr vernachlässigt wurden. Denken wir an die vielen Millionen Mitbürger, die am Fibromyalgiesyndrom leiden, Fibro, das sind ja Fasern, und hier kriegen wir dann vielleicht bessere Einblicke in das, was dort kausal, also wirklich lang anhaltend und tief eingreifend wirken kann. Bisher sind wir mit den Therapien, auch in der Naturheilkunde, beim Fibromyalgiesyndrom noch sehr unzufrieden."