Archiv


Faszination Natur

Sie waren grundverschieden und doch einander nah: der Fotograf Albert Renger-Patzsch, Wegbereiter der "Neuen Sachlichkeit", und der Schriftsteller und Philosoph Ernst Jünger. Die Pinakothek der Moderne in München zeigt, wie sich die beiden in Text und Bild über Bäume und Gestein verständigten.

Von Christian Gampert |
    Das sind zwei, die auf den ersten Blick überhaupt nicht zueinander passen: Albert Renger-Patzsch, der neusachliche Fotograf, der kühle Formen-Erkunder, und Ernst Jünger, der Tiefgründler, der Mythomane, der Ekstatiker. Es ist nicht nur das andere Medium, das Renger-Patzsch von dem soldatischen Literaten trennt, es ist auch die Selbsteinschätzung: Renger-Patzsch hielt sich für einen Handwerker, der elitäre Jünger dagegen war von seiner Mission überzeugt, die letzten Gründe, das Überzeitliche hinter den Oberflächen in Worte zu bannen.

    Und doch haben die beiden einander Briefe geschrieben und in den 1960er Jahren zwei Bücher miteinander gemacht, über "Bäume" und "Gestein". Während Jünger in seinen Textbeiträgen aber gleich der Erd- und Menschheitsgeschichte auf der Spur ist, dem Mythos Baum, dem Baum als Ur- und Sinnbild, hat es der Fotograf ja nur mit konkreten und bisweilen auch banalen Bäumen zu tun, deren skurrile Verwachsungen er sorgfältig auswählt und tiefenscharf ins Bild zu setzen sucht.

    Wenn man in München nun vor diesen Abzügen steht und überlegt, wo Renger-Patzsch herkommt, von der Werbefotografie, von der Industrie-Reportage, dann wirken die Jüngerschen Orakel in diesen Fotobänden umso seltsamer. Um es mit Jünger zu sagen:

    "Noch heute, in der entgötterten Welt, fasst uns ein Bangen, wenn wir im Walde das Kommen und Gehen des Windes hören, das jetzt kaum die Blätter kräuselt und dann mit den hohen Stämmen wie auf den Saiten der Wetterharfe spielt. Da wacht, noch tiefer berührt als durch den Klang der Orgel, ein Altes und längst Vergessenes in uns auf."

    Auch in Albert Renger-Patzsch wachte da offenbar ein längst Vergessenes auf, denn er hatte als junger Mann, in den 1920er Jahren, für botanische Bücher Pflanzen fotografiert. Danach lichtete er, in der Obersicht, für die Kaffee-Firma Hag ein Tässchen Mokka mit Kaffeebohnen ab und setzte verwitterte Industriebauten als Skulpturen der Moderne in Szene – das heißt, er revolutionierte die Sachfotografie und zeigte auch die Spuren der Arbeit, während Kollege Jünger sich noch nationalistisch echauffierte.

    Die Bäume, die Renger-Patzsch in seinem Spätwerk zum Thema macht, setzen aber durchaus seine Industriefotografie fort – die später die gesamte Becher-Schule inspirierte. Wer genau hinschaut, der kann auch in den verknoteten Ästen seiner holsteinischen Eiche (von 1958) noch die strengen Senkrechten und Diagonalen der Industriebauten erkennen: Die Kadrierung, das Bezugsfeld ist ein Ähnliches, die Konzentration auf die Oberfläche, den Gegenstand, die Untersicht, die Arbeit mit Perspektive und Ausschnitt. Diese Aufnahmen haben nichts Mythologisches, das macht ja Jünger mit seinem Text. Renger-Patzsch zeigt nur vor, Naturformen, Steinadern, geologische Fältelungen, Schiefer, Basaltblöcke in Irland, glatt abgefräster Marmor in den Alpen. Und, im Sinne einer Bestandsaufnahme, die Wunder einer irgendwie doch anthropomorphen Baum-Natur: Rotbuchen mit wirr hängendem Geäst, das speerartig, lanzenartig herausstechende kahle Astwerk einer Solitärfichte, das Spiel zwischen glatten Buchen- und gegerbten Eichenstämmen, Birken in der Heide, das Blätterdach einer jungen Kastanie.

    Das hätte ein Atlas der Naturformen werden können, wenn Renger-Patzsch die Arbeit fortgesetzt hätte, auch ein Kompendium vor allem deutscher Landschaften – von der norddeutschen Tiefebene bis zu den Alpen, von der Donau bis zum Schwarzwald. Der Zufall will es, dass fast gleichzeitig in der Neuen Pinakothek, gleich gegenüber, eine Ausstellung über süditalienische Reisefotografie eröffnet wird, Landschaftsaufnahmen, Menschen- und Städtebilder aus Neapel und Sizilien, Eindrücke von immenser Armut und politischen Umbrüchen – das alles aus der Frühphase der Fotografie, ab 1840 bis etwa 1900, mit sehr langen Belichtungszeiten und zum Teil wie gezeichnet wirkenden Abzügen. Das ist ein fotogeschichtlich reizvoller Kontrast zu den skulpturalen einsamen Bäumen von Renger-Patzsch, die oft ja tatsächlich aus der Vorgeschichte der Menschheit zu stammen scheinen. Am Ende stehen da zwei knorrige, verwitterte alte Hainbuchen, die aussehen wie ein altes Ehepaar – oder auch wie zwei abstrakte Elemente vor einem Bachlauf, die ihre vielen Äste oder Hände klagend gen Himmel recken.