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Faszinierende Behandlung der Lichtreflexe

Willibald Sauerländer, der ehemalige Direktor des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München, hat einen schön bebilderten Essay zu einem sommerlichen Gipfeltreffen von Edouard Manet und Claude Manet geschrieben.

Von Andrea Gnam |
    Harmlos klingen die Titel der beiden Lithografien von Honoré Daumier, aber als um so schockierender erweisen sich die Inhalte: "Eine Landschaft im Jahr 1870" zeigt eine Kanone vor Ruinen und "Weitere Kandidaten" von 1871 die leblos am Boden niedergestreckte Personifikation Frankreichs. Düster sind auch die Zeichnungen Édouard Manets aus der gleichen Zeit: "Die Schlange vor der Metzgerei" und "Die Barrikade".

    Willibald Sauerländers Essay "Manet malt Monet. Ein Sommer in Argenteuil" - ein Thema, das zunächst an Sommerfrische und die Leichtigkeit des Daseins denken lässt - setzt ein mit der Schilderung der desolaten Zustände im vom Krieg gezeichneten Paris. Frankreich hatte den deutsch-französischen Krieg verloren und Paris fiel mit dem Aufstand der "Pariser Commune" in den Bürgerkrieg. Im kollektiven Gedächtnis ist dieser zeitgeschichtliche Hintergrund, die Not der "Hauptstadt des 19. Jahrhunderts", welche die Maler des Impressionismus geprägt hat, ziemlich verblasst:

    "Hier sind wir unendlich weit entfernt von jenem Glanz und Luxus, der Frivolität und der Verheißung sinnlichen Glücks, welche man nach einer nur teils berechtigten, teils aber oberflächlich verblendeten Gewohnheit mit der modernen französischen Malerei zwischen dem letzten Jahrzehnt des 2. Kaiserreichs und den ersten Dezennien der Dritten Republik verbindet."

    Manet hatte, wie Sauerländer weiter schreibt, "als ganz gewöhnlicher bürgerlicher Patriot" in der Nationalgarde gedient, Hunger, Kälte und Angst ausgestanden, Claude Monet hingegen habe "das Weite" gesucht und war zeitweilig nach London emigriert.

    Folgt man Sauerländers Bildinterpretation, ist die Situation auf den Ölbildern, die Manet unmittelbar nach dem Krieg schuf, wenig entspannt. Manets "Zimmer in Arcachon" zeigt eine für den heutigen Betrachter nicht allzu düster anmutende Szene. Kurz nach dem Krieg kann Familie Manet Ferien machen, Madame Manet und der schon erwachsene Sohn sitzen am Tisch in einem nicht allzu ärmlich eingerichteten Zimmer mit Meeresblick. Der junge Mann hat ein Buch auf den Knien liegen, die Mutter Schreibzeug, nachdenklich blicken sie einander an, vielleicht im Gespräch über das Gelesene oder Geschriebene:

    "Den Kopf leicht zurückgelegt, hängt der junge Mann seinen Träumereien nach. Das Bild heißt nüchtern Interieur à Arcachon. Treffender wären vielleicht Bezeichnungen wie Ennui oder Vacances. Die desolate Stimmung nach dem verlorenen Krieg, die Ungemütlichkeit der gemieteten Behausung, das zwiespältige Verhältnis der großstädtischen Gäste zur Natur - nostalgisch und zugleich versperrt -, all diese Aspekte hat Manet hier zu einem der aussagestärksten, aber ganz und gar unromantischen Fensterbilder des bürgerlichen Jahrhunderts zusammengezogen."

    Sauerländer sieht in Manet den Maler bürgerlicher Beziehungsunfähigkeit, Städter durch und durch. Als er 1874 seinen Freund Claude Monet, dessen finanzielle und familiäre Verhältnisse sich gerade etwas stabilisiert haben, auf dem Lande besucht, erlebt er ein, wenn auch mildes, Erweckungserlebnis, die "Bekehrung zum Licht". Manet ist fasziniert von Monets Behandlung der Lichtreflexe auf dem Wasser, nennt ihn den "Raffael des Lichtes" und malt den Freund, wie er in seinem Atelierboot auf der Seine mit seiner Frau Camille den Tag verbringt.

    Das Bild ist eine Hommage an Monets Kunst und Sauerländer zeigt, wo Manet im Farbauftrag die Malweise Monets paraphrasiert und wo er, ganz dezidiert, sich selbst treu bleibt, um schließlich fast programmatisch das "schwimmende Bild" stillzustellen. Édouard Manet verbindet auf anderen Bildern dieses Sommers den neu gewonnenen Blick auf die lichtdurchflutete Landschaft mit dem Interesse für Industrialisierung, Brückenbau, und Gesellschaftspsychologie.

    Es ist ein Genuss zu lesen, wie Sauerländer Farbschattierungen, Wasser und Licht zu beschreiben weiß. Ambivalenter wird es, wenn es um Gesellschaftliches geht: Der Begriff "langjährige Maitresse" entstammt dem Denken des 19. Jahrhunderts und bedeutet übersetzt ja auch nur "Geliebte", im heutigen Deutsch haftet ihm aber doch etwas Despektierliches an. Und auch wenn Sauerländer seinen Finger auf die Schieflage in den Geschlechterbeziehungen legt und herausarbeitet, wie auf den Manetschen Bootsszenen die jungen Herren aktiv am Rudern sind, die Damen passiv bis lasziv zuschauen: Manches könnte auch, wie im Fall der Schilderung von Camille Monet, vielleicht doch nicht nur Manets kritischem Blick geschuldet, sondern auch ein Effekt der Beschreibungskunst sein. "Während Monets glänzende Augen vom sinnlich gereizten Blick des Pleinair-Malers zeugen, bleibt Camilles blasses Antlitz ohne spezifisch mimischen Akzent", erläutert Sauerländer. Man hat manchmal den Eindruck, dass Camille einfach keine Chance hat, so, wenn von ihr gesagt wird, sie posiere auf einem Familienbild, das die junge Familie Monet im Garten zeigt, "damenhaft kokett auf dem Rasen". Hier schaut sie zumindest aufmerksam dem Betrachter entgegen, während ihr Mann Claude abseits werkelt. Claude jedenfalls hat sie anders porträtiert, als schöne, nachdenkliche Frau.

    Aber das sind Nebenströmungen – Sauerländers Essay schafft es leichthin, das Lebensgefühl jener Jahre mit etwas aus der Zeit gefallenem Blick nuancenreich abzuschattieren.

    Willibald Sauerländer: Manet malt Monet. Ein Sommer in Argenteuil.
    CH Beck Verlag, München, 89 S., 38 Abbildungen, 16 Euro