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Fatigue-Syndrom
Wenn Müdigkeit chronisch wird

Müdigkeit, Angst, depressive Verstimmungen - darunter leiden viele Krebspatienten. Was Betroffene und sogar Ärzte oft nicht wissen: Dahinter steckt das Fatigue-Syndrom. Medikamente können oft nicht helfen - aber es gibt andere Behandlungsmöglichkeiten.

Von Andrea Westhoff |
    De Bleistiftzeichnung einer verärgerten Frau mit geschlossenen Augen in Nahaufnahme.
    "Fatigue" kommt aus dem Französischen und bedeutet "Müdigkeit" - die Betroffenen finden diese Beschreibung unzutreffend. (imago stock&people)
    Barbara Kettnaker ist schon zweimal an Brustkrebs erkrankt und leidet seit Jahren unter dem "Fatigue-Syndrom". Der französische Name Müdigkeit trifft es nicht annähernd, erzählt sie:
    "Für mich bedeutet es eine sehr tiefe sehr Erschöpfung, es ist wirklich ein bleiernes Gefühl, es soll ja wohl, um Alter zu simulieren, so bleierne Anzüge geben, und so fühle ich mich manchmal, also wie wenn ich so einen Anzug anhätte. Die Erschöpfung kann schon bei geringster Anstrengung entstehen und ist oft auch durch Schlaf oder Erholungsphasen nicht zu vertreiben. Dass ich auch morgens gar nicht aus dem Bett komme, obwohl ich gerne möchte, dass ich wirklich merke, es geht gar nichts mehr."
    Auch bei anderen Erkrankungen wie schweren Infekten oder Multipler Sklerose kann das Fatigue-Syndrom auftreten. Aber am häufigsten leiden Tumorpatienten darunter, je nach Krebsart – und der notwendigen Therapieform – unterschiedlich stark.
    20 Prozent der Krebspatienten sind betroffen
    "Fast jeder Krebspatient erlebt während der Behandlung Phasen der Müdigkeit, Erschöpfung, zum Beispiel die Tage nach der Chemotherapie oder während der Bestrahlung, und es gibt so ca. 20 Prozent der Krebspatienten, die leiden unter dieser chronischen Fatigue auch noch ein Jahr nach der Behandlung oder länger", sagt Oliver Özöncel von der psycho-onkologischen Sprechstunde an der Berliner Charité. Die Ursachen der Tumor-Fatigue sind vielfältig, berichtet er:
    "Es ist einmal die Therapie häufig, die da eine Rolle spielt, eben vor allem die Chemotherapie, auch die Krebserkrankung an sich kann eine Fatigue auslösen, wie das genau funktioniert, verstehen wir noch nicht so ganz, das Immunsystem spielt eine Rolle, Hormonsystem spielt eine Rolle, Medikamente können diese Fatigue verursachen, auch Ernährungsstörungen sozusagen: Krebspatienten haben ja häufig lange Zeit wenig Appetit, aber auch die Psyche spielt eine Rolle."
    Verwechslung mit Depression
    Neben den körperlichen Symptomen kann es bei einer Fatigue auch zu Konzentrations- und Gedächtnisstörungen kommen, zu Gereiztheit, Angst und depressiven Verstimmungen. Deshalb wird sie häufig mit einer Depression verwechselt, sagt Özöncel:
    "Also es gibt da Überschneidungen von Symptomen und Ähnlichkeiten und Zusammenhänge, aber es ist auch klar davon zu differenzieren. Und das ist auch wichtig, das davon abzugrenzen, weil zum Beispiel: Antidepressiva wirken nicht bei Fatigue. Aber es gibt sehr häufig auch eine Depression im Zusammenhang mit einer Fatigue. Die kann sich auch daraus entwickeln."
    Wenig Verständnis für Betroffene
    Denn Fatigue-Betroffene stoßen in ihrem Umfeld oft auf wenig Verständnis, erzählt Barbara Kettnaker, die auch im Vorstand der Selbsthilfegruppe "Leben-nach-Krebs" ist.
    "Da kommt auch schon mal - nicht direkt "stell dich nicht so an", aber man muss sich schon immer wieder erklären. Also das heißt, dass ich persönlich z.B. oft Termine nicht wahrnehmen kann, dass ich auch sehr kurzfristig absagen muss, weil ich einfach nicht hochkomme, die Wohnung nicht verlassen kann."
    Aus seiner langjährigen Beratungspraxis weiß auch Oliver Özöncel: "Das Mitgefühl und Verständnis für Krebspatienten ist am Anfang immer sehr hoch von Angehörigen, auch von beruflicher Seite, aber so nach einem Jahr lässt das nach, und dann erwartet man, dass der Patient oder Betroffene wieder funktionstüchtig ist, wieder bereit ist, Leistung zu bringen und man denkt, der ruht sich da aus so ein bisschen auf seiner Fatigue-Symptomatik. Solche Sprüche hören Krebspatienten."
    Und das ist umso bitterer, als die Fatigue gerade für jüngere Krebspatienten wie Barbara Kettnaker oft das Ende ihrer beruflichen Existenz bedeutet: "Bei meinem Rezidiv hatte ich wieder Operation und Bestrahlung, und da hab ich noch anderthalb Jahre weiter gearbeitet, bis ich gemerkt habe, es geht wirklich gar nichts mehr."
    Ärzte finden oft nichts
    Obwohl es in den letzten Jahren schon besser geworden ist – auch bei vielen Ärzten fehlt noch das Verständnis für das Chronische Fatigue-Syndrom, sagt der Psychologe Oliver Özöncel, weil sie sich vor allem an somatischen Befunden orientieren:
    "Es ist ganz wichtig, dass die Ärzte erkennen, ob es behandelbare Ursachen gibt für die Müdigkeit, Erschöpfung, wie zum Beispiel Schilddrüse oder Anämie oder vielleicht auch Depression und dass das dann behandelt wird, aber häufig finden die auch nichts."
    Manche Patienten – und Ärzte – versuchen dem Erschöpfungs-Syndrom dann mit "aufputschenden Substanzen" beizukommen: mit der stark Coffein-haltigen Guarana-Pflanze oder auch mit dem chemischen Wirkstoff Methylphenidat, also Ritalin. Der hat aber zum Teil heftige Nebenwirkungen und kann vor allem keine Dauerlösung sein.
    Sport statt Aufputschmittel
    Lieber sollte man es mit Sport und Bewegung versuchen: Gehen, Joggen, Radfahren, Schwimmen oder Nordic Walking werden besonders empfohlen. Allerdings muss jeder für sich schauen, was gut tut, rät Barbara Kettnaker:
    "Ich persönlich hab jetzt keine guten Erfahrungen mit so größeren Sporteinheiten gemacht, aber ich hab überall in der Wohnung so kleinere Sportgeräte stehen, dass ich wirklich niedrigschwellig auch hier ein bisschen Bewegung in den Alltag einbauen kann; wie Qi Gong oder Meditation auch, Yogaübungen, also eher so sanfte Bewegungen, die helfen mir enorm."
    Schulungen schließen Wissenslücken
    Sehr hilfreich können auch "Fatigue-Schulungen" sein, die die Uni Bremen entwickelt hat und die inzwischen vielerorts in Deutschland angeboten werden. Auch von Oliver Özöncel, im Auftrag der Berliner Krebsgesellschaft: "Zum einen geben wir Informationen, dann ist ein sehr wichtiger Teil dieser Austausch zwischen den Patienten: ich bin nicht alleine, andere haben auch diese Problematik, und die können sich sehr hilfreiche Tipps geben, und wir arbeiten zum Beispiel an dem Zeit- und Energiemanagement." Dafür sollen die Betroffenen ein "Energietagebuch" führen:
    "Also das ist so eine kleine Detektivarbeit, welche Dinge ermüden mich eigentlich im Alltag. Ich habe für mich zum Beispiel festgestellt, dass mich Duschen total erschöpft, so dass ich das jetzt in der Regel abends einplane, wenn ich sowieso schlafen gehe."
    Genau darum geht es, bekräftigt der Psychologe: "Wie gestalte ich meinen Alltag, dass ich da besser vorankomme mit dieser geringeren Energie; und das andere ist, dass ich nicht noch zusätzlich mich fertigmache, meinen Selbstwert runterziehe, und das ist schwierig. Weil man eben von außen oft solche Rückmeldungen bekommt, als wenn man faul wäre."
    Es muss noch viel mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden beim Fatigue-Syndrom, sagt auch Barbara Kettnaker. Denn der Name Müdigkeit beschreibt es eben nur unzureichend: "Man will ja, und der Körper kann nicht. Also es ist, wie wenn man den Stecker aus nem Elektrogerät zieht oder das Fahrrad sofort einen platten Reifen kriegt."