Das ist aber mal verdammt gut gegangen auf der Perner-Insel in Hallein, um das vorwegzunehmen. Hier gibt es "Faust II", dieses fast unspielbare Welttheater mit dem vielen Wortgeklingel, weder heruntergespielt noch bis auf die Gedanken-Knochen ausgebeint. Nein, Nicolas Stemann hat den rücksichtslosen alten Goethe und dessen "wucherndes Textkonglomerat" sehr ernst genommen und es vielschichtig als ein alle Sinne beschäftigendes Theater inszeniert: Auf der Bühne von Thomas Dreißigacker wird gesprochen, gesungen, getanzt, doziert und ständig auch gefilmt, gemalt oder gebaut. Alle Beteiligten erschaffen eine genauso wuchernde, vielstimmige, phantastisch überbordende und auch überfordernde Bilderrauschwelt, in der tatsächlich alles möglich scheint. Darein stellen sie den Faust als Ich-Sager, als modernes Individuum, und lesen das Stück als Fortschrittstragödie des modernen Menschen. Und sie lassen, als Konsequenz daraus, den Text monologisch sprechen, als eine Art Fortsetzungs-Drama der drei tollen Schauspieler Sebastian Rudolph, Philipp Hochmair und Patrycia Ziolkowska.
Eine genuschelte Lektüre und ein zerfleddertes Reclamheft stehen ganz am Anfang des Stücks. Gefühlte sieben Rollen übernimmt Sebastian Rudolph in der ersten halben Stunde. Wenn er zu Mephisto wird, setzt er sich rot leuchtende Hörnchen auf. Lange ist er ganz alleine auf der Bühne, schleppt Requisiten an, macht die Musik selbst. Er verkörpert die Idee des Schauspielers als Welten-Schöpfer. Faust ist mehr jugendlicher Stürmer und Dränger denn grübelnder Wissenschaftler, der – "Bin ich Gott?" – verzweifelt Farben verspritzt und sogar eine rote Zündschnur auf den Boden malt. Der Künstler als Gedanken-Terrorist – Anspielungen auf Stockhausen und Norwegen sind beabsichtigt.
Solche Allmachtsphantasien sind die eigentliche Triebkraft dieser Faust-Figuren, Mephisto und seine Taschenspielertricks nur Mittel zum Zweck. Alle positiven Aspekte der "Wer immer strebend sich bemüht"-Philosophie sind gestrichen. Faust will erst Sex, dann Reichtum, dann das Unmögliche, Helena, dann alles besitzen, alles beherrschen, wofür er bekanntlich über Leichen geht. Zuerst in der bekannten Gretchen-Geschichte. Stemann und vor allem Patrycia Ziolkowska gewinnen ihr beeindruckend moderne Züge bis hin zum erotisierten Dreier ab.
"Faust I" dauert zwei Stunden und 40 Minuten, für die restlichen 7.500 Verszeilen braucht Stemann weitere viereinhalb Stunden, und es werden nicht, wie bei Jelineks "Die Kontrakte des Kaufmanns", Seiten rückwärts gezählt, sondern Barbara Nüsse malt mit einer sehr hohen Leiter weiße Striche auf eine Seitenwand, je einen für je 100 Zeilen. Doch selbst den zweiten Teil hat der Regisseur nicht, was viele befürchteten, als Textsteinbruch benutzt, sondern, stark gekürzt, mit den klassischen Stemann-Methoden musikalisiert und modernisiert:
Aktualisierung und Ironisierung sind das Gebot dieser "Faust II"-Stunde nach der Pause. Der Frust am Kaiserhof über das fehlende Geld ist hoch, man kann eben nicht ewig konsumieren, irgendwann sind die Ressourcen am Ende. Josef Ostendorf bewältigt spielend Kaiser, Mephisto und den ganzen Hofstaat, changiert zwischen Larmoyanz, narzisstischer Großmannssucht und eitler Coolness. Der "Mummenschanz" ist eine Polit-Demo, die Gärtnerinnen heißen "Produktion", die Furien sind der "freie Markt". Während riesige Dollarnoten in Druck gehen, erscheint ein Zitat Jean Zieglers aus dessen jüngst veröffentlichter, nicht gehaltener Salzburger Rede. Das alles wirkt nie zeigefingrig, sondern höchst selbstironisch gebrochen. Goethes Allegorien-Geschwurbel etwa wird lustig durch den Kakao gezogen, und die Homunculus-Szene – mit Birte Schnöink als silbrig-mädchenhafter Erscheinung – wird konterkariert durch ein philosophisches Puppen-Duett und einen versoffenen postdramatischen Dichter. Die Künstler-Schöpfer von heute als Ulknudeln deutscher Quasselbuden-Talkshows und des österreichischen Kulturbetriebs.
Dann wird es wieder ernst, Patricia Ziolkowska steht als Helena vor dem Palast des Menelas. Langhaarig, blond, abgewandt, eine wunderschöne Rückenpantomime.
Jede Art von Getümmel ist musikalisch definiert. "Auerbachs Keller" ist eine Disco, der drohende Krieg um Helena "The Final Countdown". Schmierige Salonmusik, Gospel, ein Wiener Sängerknabe und sogar Cat Stevens. Er singt "Morning has broken" zu Stemanns neuem Arkadien: ein umwerfend biederes Mehrfamilienhaus-Idyll mit Kinderspielplatz, in dem Euphorion, der ungeratene Bengel, sich wie Ikarus von einer Kinderschaukel zu Tode stürzt.
Stemann wäre aber nicht Stemann, wenn er mitten im hochmusikalisch angerichteten Chaos nicht – sei es als Sänger, Bühnen-Supervisor oder Showmaster – alle Fäden immer in der Hand behielte. Der Schluss ist Show und Showdown gleichermaßen. Eine Großstadt-Skyline, haushoch an die Wand gemalt, als Menetekel von Technik- und Fortschrittsgläubigkeit, von trügerischer Be-Hausung und Kolonisierung der Welt. Der Mord an Philemon und Baucis, der von Philipp Hochmair in Politikersprech als tragischer Unfall entschuldigt wird. Im grandiosen Schlussbild nach Art kitschigster Samstagabend-Unterhaltung versuchen alle Beteiligten singend und mit kleinen Engelsfiguren Menschen-Seelen zu erhaschen, während Stemann selbst als Zampano den großen Abschied moderiert. Womit er Goethes scheinheilige Erlösung in einer Kunst des Scheins aufhebt. Das ist aufregendes, sinnliches, kluges, spannendes, mindestens post-postdramatisches Theater. Begeisterter Applaus.
Eine genuschelte Lektüre und ein zerfleddertes Reclamheft stehen ganz am Anfang des Stücks. Gefühlte sieben Rollen übernimmt Sebastian Rudolph in der ersten halben Stunde. Wenn er zu Mephisto wird, setzt er sich rot leuchtende Hörnchen auf. Lange ist er ganz alleine auf der Bühne, schleppt Requisiten an, macht die Musik selbst. Er verkörpert die Idee des Schauspielers als Welten-Schöpfer. Faust ist mehr jugendlicher Stürmer und Dränger denn grübelnder Wissenschaftler, der – "Bin ich Gott?" – verzweifelt Farben verspritzt und sogar eine rote Zündschnur auf den Boden malt. Der Künstler als Gedanken-Terrorist – Anspielungen auf Stockhausen und Norwegen sind beabsichtigt.
Solche Allmachtsphantasien sind die eigentliche Triebkraft dieser Faust-Figuren, Mephisto und seine Taschenspielertricks nur Mittel zum Zweck. Alle positiven Aspekte der "Wer immer strebend sich bemüht"-Philosophie sind gestrichen. Faust will erst Sex, dann Reichtum, dann das Unmögliche, Helena, dann alles besitzen, alles beherrschen, wofür er bekanntlich über Leichen geht. Zuerst in der bekannten Gretchen-Geschichte. Stemann und vor allem Patrycia Ziolkowska gewinnen ihr beeindruckend moderne Züge bis hin zum erotisierten Dreier ab.
"Faust I" dauert zwei Stunden und 40 Minuten, für die restlichen 7.500 Verszeilen braucht Stemann weitere viereinhalb Stunden, und es werden nicht, wie bei Jelineks "Die Kontrakte des Kaufmanns", Seiten rückwärts gezählt, sondern Barbara Nüsse malt mit einer sehr hohen Leiter weiße Striche auf eine Seitenwand, je einen für je 100 Zeilen. Doch selbst den zweiten Teil hat der Regisseur nicht, was viele befürchteten, als Textsteinbruch benutzt, sondern, stark gekürzt, mit den klassischen Stemann-Methoden musikalisiert und modernisiert:
Aktualisierung und Ironisierung sind das Gebot dieser "Faust II"-Stunde nach der Pause. Der Frust am Kaiserhof über das fehlende Geld ist hoch, man kann eben nicht ewig konsumieren, irgendwann sind die Ressourcen am Ende. Josef Ostendorf bewältigt spielend Kaiser, Mephisto und den ganzen Hofstaat, changiert zwischen Larmoyanz, narzisstischer Großmannssucht und eitler Coolness. Der "Mummenschanz" ist eine Polit-Demo, die Gärtnerinnen heißen "Produktion", die Furien sind der "freie Markt". Während riesige Dollarnoten in Druck gehen, erscheint ein Zitat Jean Zieglers aus dessen jüngst veröffentlichter, nicht gehaltener Salzburger Rede. Das alles wirkt nie zeigefingrig, sondern höchst selbstironisch gebrochen. Goethes Allegorien-Geschwurbel etwa wird lustig durch den Kakao gezogen, und die Homunculus-Szene – mit Birte Schnöink als silbrig-mädchenhafter Erscheinung – wird konterkariert durch ein philosophisches Puppen-Duett und einen versoffenen postdramatischen Dichter. Die Künstler-Schöpfer von heute als Ulknudeln deutscher Quasselbuden-Talkshows und des österreichischen Kulturbetriebs.
Dann wird es wieder ernst, Patricia Ziolkowska steht als Helena vor dem Palast des Menelas. Langhaarig, blond, abgewandt, eine wunderschöne Rückenpantomime.
Jede Art von Getümmel ist musikalisch definiert. "Auerbachs Keller" ist eine Disco, der drohende Krieg um Helena "The Final Countdown". Schmierige Salonmusik, Gospel, ein Wiener Sängerknabe und sogar Cat Stevens. Er singt "Morning has broken" zu Stemanns neuem Arkadien: ein umwerfend biederes Mehrfamilienhaus-Idyll mit Kinderspielplatz, in dem Euphorion, der ungeratene Bengel, sich wie Ikarus von einer Kinderschaukel zu Tode stürzt.
Stemann wäre aber nicht Stemann, wenn er mitten im hochmusikalisch angerichteten Chaos nicht – sei es als Sänger, Bühnen-Supervisor oder Showmaster – alle Fäden immer in der Hand behielte. Der Schluss ist Show und Showdown gleichermaßen. Eine Großstadt-Skyline, haushoch an die Wand gemalt, als Menetekel von Technik- und Fortschrittsgläubigkeit, von trügerischer Be-Hausung und Kolonisierung der Welt. Der Mord an Philemon und Baucis, der von Philipp Hochmair in Politikersprech als tragischer Unfall entschuldigt wird. Im grandiosen Schlussbild nach Art kitschigster Samstagabend-Unterhaltung versuchen alle Beteiligten singend und mit kleinen Engelsfiguren Menschen-Seelen zu erhaschen, während Stemann selbst als Zampano den großen Abschied moderiert. Womit er Goethes scheinheilige Erlösung in einer Kunst des Scheins aufhebt. Das ist aufregendes, sinnliches, kluges, spannendes, mindestens post-postdramatisches Theater. Begeisterter Applaus.