Macht, Gier, Sex, und alles mit Gewalt. Darum ging es schon in der jüngst dargebotenen "Faust"-Inszenierung am Residenztheater. Nun also im noch schnörkeligeren, puffigen Cuvilliéstheater Elfriede Jelineks "Sekundärdrama zu Faust", in einer Gastinszenierung des Intendanten der Münchner Kammerspiele, Johan Simons. Dass damit eine jahrzehntelange Konkurrenz-Feindschaft zwischen dem staatlichen und dem städtischen Theater befriedet wurde, ist der eine Aspekt. Der andere, dann doch überraschendere, ist die auf den Punkt der Inszenierungen gebrachte Erkenntnis, dass Kusej besser Frauen, also Schauspielerinnen, Simons besser Männer inszenieren kann. Treffender als mit der verknappten Mann-Frau-Konstellation in Jelineks "FaustIn and Out" hätte Simons das nicht darstellen können.
"Führen lernen von den Weibern? Hat aber Nachteile. Dieses Weh und Ach dann. Alle Weiber zum Schweigen bringen, die einen aus diesem, die anderen aus jenem Grund, und immer, weil man etwas anderes mit ihnen vorhat. Das fordert den Mann. Das fordert der Mann, der frohlockend mit seiner Beute davonspringt, um für sie verantwortlich zu werden mit erstaunlicher Ungehemmtheit."
Nicht nur, dass Johan Simons sich selbst - fishing-for-compliments - als "den großen Jelinek-Missversteher" bezeichnet, wenn er deren sich endlos vom Hölzchen-aufs-Stöckchen windenden Textgeflechte ordnet. Auch Elfriede Jelinek selbst kokettiert gewohnt schnoddrig, indem sie behauptet, sie verstünde ja nichts vom Originaldrama, ihr Stück solle "kläffend neben dem Klassiker herlaufen".
Das hier kläfft aber nicht, sondern ist pure Depression. Es geht in dieser dramaturgischen Reduktion auch nicht mehr allgemein um die schlechte Männerwelt an sich, sondern "nur" noch um die unfassbare Geschichte des Österreichers Josef Fritzl, der seine Tochter 24 Jahre im Kellerverlies seines Hauses gefangen hielt und mit ihr sieben Kinder zeugte.
Es geht um das Böse schlechthin
Es geht sowohl Jelinek als auch Simons um das Böse schlechthin, das schon im düsteren Bühnenbild wirksam wird und das keinen Ausweg kennt, nirgends. Eine dichte, bis an die Decke reichende Ziegelmauer, worin zwei schmale wie hohe Fensteröffnungen zu sehen sind, einmal Bühne für den Mann und daneben Bühne für die Frau. Wo durchaus noch Goethes "Faust" durchscheint, wenn die missbrauchte, gebrochene "Margarete" am Boden kauert und in pervertierter Lieblichkeit ihren Gott beschwört:
"Mein Vater ist Gott. Ich lege mich hin, ich lege mich auf, er geht hinterher, er will es so. Ich bin die Ausnahme, von was auch immer. Aber ich bin unten. Das ist mein Platz. Das ist meine Aufgabe."
Man schaut also hoch, in die Schaufenster des Verlieses, wo nichts ist außer: unmenschlicher Abgrund. Ein starkes, schauriges Bild, das sich ohne Pause zwei Stunden lang in wechselnden Monologen der beiden Schauspieler einbrennt. Dabei ist der Text eher zweitrangig, beeindruckend ist die Verkörperung des Textes bei beiden Schauspielern.
Oliver Nägele, von seinen wuchtigen Ausmaßen sowieso viel zu groß für die schmale Bühnenöffnung, stößt ständig an, ringt mit sich, windet sich, bettelt um Verständnis und Rechtfertigung und entdämonisiert mit seinem Spiel seine Rolle. Unfassbar bleibt die Figur des Fritzl trotzdem. Eine Hochglanzleistung. Birgit Minichmayr kontrastiert mit ihrer Körpersprache, ist die, die sich kaum aufrecht halten kann, eine, die sich aufgegeben hat. Und dennoch bleibt an ihr ein diffuser Rest an Unstimmigkeit. Zu albern die Schleife im Haar. Zu kindisch der Tonfall. Zu blass im Unglück. Da hat der Regisseur Elfriede Jelinek wohl tatsächlich nicht verstanden.