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Fazit vom Reeperbahn Festival 2019
Starke Themen, schwächelndes Musikprogramm

Das Reeperbahn Festival gibt nicht nur neuen Talenten eine Bühne, sondern hat sich auch als Plattform für gesellschaftspolitische Themen etabliert. 2019 haben sich die Kulturzuschüsse für das Festival fast verdreifacht. Das Geld fließt aber nicht nur in die Kultur.

Juliane Reil im Kollegengespräch mit Fabian Elsäßer |
Ein Passant schiebt am 20.09.2017 in Hamburg vor dem Theater "Schmidtchen" sein Fahrrad vor dem Logo des Reeperbahn Festivals entlang. Das Festival findet vom 20. bis 23. September 2017 in der Hansestadt statt.
Vier Tage und Nächte belebte das Hamburger Reeperbahn Festival die Clubs der Stadt (Axel Heimken/dpa)
Fabian Elsäßer: Wie schon in den letzten Jahren hat das Reeperbahn Festival eine große Summe an Kulturförderung vom Bund bekommen: 1,8 Millionen waren es 2018. Dieses Jahr sind es sage und schreibe 5,5 Millionen. Zum Vergleich: Das Popkultur Festival in Berlin bekam dieses Jahr 1,2 Millionen Förderung. Wie hat das Reeperbahn Festival das Geld investiert?
Kulturförderung ist Wirtschaftsförderung
Juliane Reil: Das Geld fließt auch dieses Jahr wieder vor allem in den Anchor Award – das ist der eigene Preis, mit dem das Reeperbahn Festival seit 2016 einen New Comer kürt. Allerdings nicht in Form eines Preisgeldes für den Gewinner, nein, die Show zur Verleihung wird damit finanziert und die Gagen der internationalen Jury. Seit 2016 steht ihr David Bowie-Produzent Tony Visconti vor. Und dann fließt das Geld in die Aufwandsentschädigungen von Einkäufern, die sich mit den Talenten auseinandersetzen und überlegen, wie und wo sie sie platzieren. In den regulären Konzertteil des Reeperbahn Festivals fließt nichts. Die Gagen für die Musiker und Musikerinnen befinden sich am unteren Ende - das sagte mir Alexander Schulz, der Geschäftsführer vom Reeperbahn Festival. Das heißt: Kulturförderung ist in Wirklichkeit Wirtschaftsförderung. Ein Beispiel: Die deutsche Indie-Pop Band "Giant Rooks" wurde als Talent letzten Herbst von Island Records unter Vertrag genommen, und das ist ein Sublabel von Universal.
Interessanterweise sah Joel Rosenman, einer der Veranstalter des legendären Woodstock Festivals, das als kommerzielles Festival geplant war, und dann in dieser Hinsicht zum Fiasko wurde, einige Parallelen zwischen Woodstock und Reeperbahn Festival, wie er mir sagte.
Joel Rosenman: Als die Leute in Woodstock waren, dachten sie nicht mehr an das Geschäft. Sie hatten Spaß und Musik - und vielleicht auch Drogen - im Sinn. Beim Reeperbahn Festival kommen die Leute für die Unterhaltung, aber auch um sich im Musikgeschäft weiterzubilden, andere Leute aus dem Business und neue Talente zu treffen. Das ist vom Geist nicht ganz anders als Woodstock . Ich habe niemanden getroffen, nicht freundlich und kooperativ war. Das erinnert auf eine Art an Woodstock, es ist eine moderne Version davon.
Elsäßer: Joel Rosenman, der mittlerweile 77 Jahre alt ist. Weshalb war der auf dem Reeperbahn Festival?
Reil: Es gab dieses Jahr einen Filmschwerpunkt mit Musikbezug, bei dem einzelne Künstlerinnen und Künstler ihre Filme vorgestellt haben.
Joel Rosenman hat die Dokumentation "Creating Woodstock" gezeigt. Und dann war die britische Sängerin und Songschreiberin Kate Nash da. Sie hat eine beeindruckende Dokumentation über ihre eigene Karriere gezeigt, in der sie von einem Major-Label fallengelassen wurde und Manager ihr Geld veruntreut haben. Dass sie heute noch auf der Bühne steht, sei keine Selbstverständlichkeit wie sie mir im Interview sagte.
Fehlende Empathie für Künstlerinnen
Kate Nash: Musik hat mir viele Male das Leben gerettet. Genauso oft wie die Musikindustrie mich beinahe umgebracht hätte. Das ist ein großes Problem. Musik als kreative Kraft ist wichtig für uns. Sie ist romantisch, poetisch, berauschend. Sie ist identitätsstiftend. Auf der anderen Seite ist da das Geschäft mit der Musik. Beides zusammen ist oft problematisch. Wie zwei Leute mit unterschiedlichen Vorstellungen, die nicht wissen, wie sie zusammen arbeiten sollen. Ich habe das Gefühl, dass dazwischen etwas fehlt: nämlich Kommunikation, Empathie und Unterstützung.
Reil: Kate Nash ist eine der Botschafterinnen von Keychange. Ihr Gedanke ist es, dass es eine Anlaufstelle geben muss für Künstlerinnen und Künstler, die sie bei Schwierigkeiten auffängt und berät, wie sie ihre Interessen vertreten können.
Elsäßer: Das Reeperbahn Festival, die Initiative "Keychange" und die Gleichberechtigung aller Geschlechter war am Donnerstag bei Corso schon einmal Thema. Welche gesellschaftspolitische Themen gab es noch?
Reil: Passend zu den großen Fridays for Future-Demos ging es gestern um "Summit On Sustainable Development Goals and Music". Die Vereinten Nationen haben 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung gesetzt. Das betrifft Punkte wie Klimaschutz, aber Chancengleichheit in der Bildung und Armutsbekämpfung. Gestern auf dem Reeperbahn Festival haben sich Vertreter der UN und der EU zusammengesetzt mit Leuten aus der Musikindustrie.
Wenig Wagnisse beim Musikprogramm
Das war eine Premiere. Es ging darum, was die Industrie machen kann, um mitzuhelfen, diese Ziele zu erreichen. Dabei setzt man vor allem darauf, dass Künstlerinnen und Künstler durch ihren Einfluss dafür sorgen können, dass diese Themen und Problematiken Verbreitung finden.
Elsäßer: Jetzt haben wir viel über Veranstaltungen auf dem Reeperbahn Festival gesprochen, aber noch nicht über die Musik. Was waren die Höhepunkte?
Reil: Das Reeperbahn Festival ist kein kuratiertes Festival. Das kann und will es ja auch nicht sein, weil es eine Masse von Bands – von New Comern, die eben noch unbekannt sind - zeigen will. Mich hat tatsächlich nichts wirklich vom Hocker gerissen. Vieles hat sich so angehört, als ob es der Abklatsch von etwas anderem wäre. Die Band, die wie Sonic Youth klingt oder Triphop wie von Anfang der 90er macht. Mir hat der Auftritt von Molly Sarlé – eine Folkmusikerin aus USA – gut gefallen. Diese Frau hat eine starke Bühnenpräsenz. Sie setzt auf leise Töne und gutes Songwriting.