Christoph Heinemann: Der FC Bundestag, die Fußballmannschaft des hohen Hauses, reist heute zu einem Spiel mit den parlamentarischen Sportskollegen der russischen Duma nach Moskau. Heute Abend soll die Begegnung stattfinden. Tags drauf sind politische Gespräche geplant. In einer Zeit kühler Beziehungen, in der darüber gestritten wird, ob deutsche Politikerinen und Politiker zu Partien der bevorstehenden Fußball-WM nach Russland reisen sollen oder besser nicht. Der FC Bundestag auf jeden Fall packt die Trikots und die Stollenschuhe ein, fliegt jetzt zum FB Duma. Dabei ist Thomas Oppermann, SPD, Vize-Präsident des Deutschen Bundestages und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses.
Guten Tag, Herr Oppermann!
Thomas Oppermann: Guten Tag, Herr Heinemann!
Heinemann: Sind Sie fit?
Oppermann: Ja, top fit. Wir werden morgen gegen unsere russischen Kollegen spielen und werden unser Bestes geben.
Heinemann: Wie schätzen Sie die gegnerischen Sportsfreunde ein?
Oppermann: Sportlich sind die uns bestimmt überlegen. Im russischen Parlament sitzen eben auch gut trainierte Sportler. Es haben sich in der Staatsduma, ich habe gehört, über 40 Leute gemeldet, die mitspielen wollten. Aber da wir nur mit einem schmalen Kader von 15 Leuten anreisen, müssen die Russen ihren Kader auch reduzieren.
"Wir wollen zeigen, dass wir offen sind für Gespräche"
Heinemann: Mit welcher Taktik treten Sie an?
Oppermann: Wir gehen aus einer kontrollierten Defensive in das Spiel und versuchen, dann durch Konterchancen zu Toren zu kommen.
Heinemann: So ein bisschen wie Jogi Löw?
Oppermann: Ja. Wir sind professionelle Politiker, aber wir sind keine professionellen Fußballspieler. Wir sind Freizeitfußballer. Wir suchen dieses Spiel, um mit den russischen Kollegen und Kolleginnen ins Gespräch zu kommen. Wir wollen zeigen, dass wir offen sind für Gespräche. Wir wollen zeigen, dass der Fußball auch eine Sprache sein kann, die politisch wirksam sein kann. Dass es erhebliche Differenzen mit der Politik von Putin gibt, ist unbestritten, aber die Russen sind nicht unsere Feinde und deshalb wollen wir diese sportliche, menschliche Begegnung nutzen, um unsere Gesprächsbereitschaft auch zu zeigen.
Heinemann: Halten Sie den Zeitpunkt dieses Spiels für geeignet?
Oppermann: Das könnte gar kein besserer Zeitpunkt sein. In der nächsten Woche wird Heiko Maas das Normandie-Format neu beleben. Das heißt, Frankreich und Deutschland werden mit Russland und der Ukraine über die Probleme in der Ostukraine reden, um dem Minsker Abkommen endlich Geltung zu verschaffen, also Waffenstillstand und nach Möglichkeit eine UN-Blauhelm-Mission, die den Waffenstillstand überwacht. Insofern ist das durchaus ein gutes Vorzeichen.
"Natürlich können wir da keine Politik machen"
Heinemann: Können Politiker im Trikot erreichen, was sie im Anzug nicht schaffen?
Oppermann: Nein. Wir sind ja keine Außenpolitiker, die nach Moskau fahren. Ich selbst bin Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Aber wir sind jetzt Parlamentarier aus allen möglichen Fachbereichen und natürlich können wir da keine Politik machen. Wir verhandeln da auch nichts, sondern wir wollen eine menschliche Atmosphäre schaffen und signalisieren, dass es ernste Differenzen gibt, aber dass man die überwinden kann, wenn man sich gemeinsame Ziele setzt.
Russland hat natürlich auch Interessen. Das Land braucht eine gute wirtschaftliche Entwicklung. Dabei kann Europa helfen. Wir wollen, dass die europäische Friedensordnung stabilisiert wird. Russland hat diese Friedensordnung verletzt durch die Annexion der Krim und durch die Destabilisierung der Ostukraine. Wir haben gemeinsame Interessen in Syrien. Eine Nachkriegsordnung in Syrien ist ohne Russland kaum möglich. Ein Wiederaufbau Syriens dürfte ohne europäische Hilfe kaum realistisch sein.
Das sind Dinge, wo man zusammenarbeiten muss und zusammenarbeiten kann, auch was den Iran betrifft. Ich glaube, wir brauchen die Hilfe Russlands, um die iranischen Truppen oder Milizen oder Revolutionsgarden von der israelischen Grenze wegzuhalten, die Israel zurecht als Bedrohung empfindet.
"Dritte Halbzeit" für Gespräche
Heinemann: Sie haben eben gesagt, wir verhandeln nicht. Mit wem genau sprechen Sie denn dann?
Oppermann: Wir werden nach dem Spiel natürlich in einer dritten Halbzeit mit den Kollegen und Kolleginnen aus der Staatsduma sprechen und wir reden da auch über Politik. Am nächsten Tag haben wir auch für einen Gedankenaustausch gesorgt.
Heinemann: Befinden sich unter den Gesprächspartnern denn auch Kritiker der Politik des russischen Präsidenten?
Oppermann: Das weiß ich nicht, weil wir ja nicht die Mannschaft der Duma zusammenstellen. Wir müssen schon gegen die Leute spielen, die die selber aussuchen. Aber selbstverständlich muss auch mit Kritikern in der russischen Politik und mit Kritikern des russischen Systems gesprochen werden. Das gehört auch dazu.
Sportereignisse nicht "total politisieren"
Heinemann: Demnächst reisen noch mehr Kicker nach Russland. Etwas zugespitzt formuliert: Die Fußball-Weltmeisterschaft des mutmaßlich korrupten Fußball-Weltverbandes FIFA wird in der kommenden Woche zu Gast bei einem Autokraten angepfiffen. Sie kennen die Diskussion um die Frage, sollen, sollten deutsche Politikerinnen und Politiker zu diesen Spielen reisen? Was meinen Sie?
Oppermann: Das muss jeder selbst entscheiden. Ich habe jedenfalls in Südkorea gesehen, dass Sportereignisse wie Olympische Spiele - und das gilt auch für Fußball-Weltmeisterschaften - auch helfen können, das Eis zu brechen.
In Südkorea ist es auch durch die Olympischen Spiele zu einer Wiederannäherung von Nordkorea und Südkorea gekommen. Wir wissen nicht, welche Ergebnisse da am Ende bei rauskommen, aber ich würde solche Gelegenheiten immer nutzen. Und wenn die deutsche Mannschaft erfolgreich ist und ins Halbfinale oder ins Endspiel kommt, dann bin ich mir ziemlich sicher, wird auch die Bundeskanzlerin dort hinfahren und Andrea Nahles auch, um die Mannschaft zu unterstützen und diese Gelegenheit auch zu Gesprächen nutzen.
Dass diese Spiele natürlich auch den russischen Politikern nutzen, lässt sich nicht vermeiden. Aber ich glaube nicht, dass man solche Sportereignisse total politisieren sollte. Damit wird nichts gewonnen.
"Vorübergehend ein Team"
Heinemann: Herr Oppermann, im FC Bundestag kicken Parlamentarier aller Fraktionen. Was passiert, wenn politische Gegner als Mannschaft zusammenspielen müssen?
Oppermann: Dann ist man Teil einer Mannschaft und muss mannschaftsdienlich spielen. Da sind wir nicht Wettbewerber, sondern vorübergehend ein Team. So ist das im Sport. Da kann es passieren, dass dann auch politische Gegner in einem Team spielen. So ist das immer, wenn der FC Bundestag spielt. Aber das ist nicht schlecht, denn die Spieler duzen sich untereinander. Es entstehen auch durchaus menschliche Verbindungen. Man sieht, die anderen sind auch Menschen, sind Sportskameraden, und das ist ja nicht schlecht. Wir sind ja keine Feinde im Deutschen Bundestag. Wir sind Gegner und Wettbewerber, und das sollte man immer sorgfältig unterscheiden.
Heinemann: Und das beziehen Sie auf alle Fraktionen?
Oppermann: Sie spielen bestimmt darauf an, dass morgen auch ein Kollege von der AfD mit in der Mannschaft ist. Der ist Mitglied des FC Bundestages, hat auch die Werte, die wir uns gegeben haben, unterschrieben und ist dann Teil der Mannschaft.
Heinemann: Besteht die Gefahr, dass die politische Gesinnung auf die Spielweise abfärbt? Das heißt, dass Ihre Kollegen von der Linken oder der AfD vielleicht für die Russen spielen?
Oppermann: Das glaube ich nicht. Es gibt einen ambitionierten Spieler der Linken, den Kollegen Hahn. Der wird den Russen nichts schenken. Der ist ganz begierig darauf, selber ein Tor zu schießen, und zwar ins russische.
"Solche Kontakte können helfen, Politik menschlicher zu machen"
Heinemann: Herr Oppermann, ziehen wir die Lehre mal aus dem gerade gehörten. Stellen wir uns vor, die Herrschaften Trump, Xi, Putin, Macron und Merkel würden regelmäßig zusammen Tennis spielen, oder in einem Chor singen. Wäre die Welt dann weniger aus den Fugen als gegenwärtig?
Oppermann: Das ist durchaus möglich. Ich glaube, dass solche Kontakte helfen können, die Politik besser und menschlicher zu machen. Das ist kein Automatismus, aber es ist eine Möglichkeit, die viel zu selten genutzt wird.
Heinemann: Benötigen wir andere Formate in der Politik?
Oppermann: Die Politik muss ernsthaft bleiben. Man kann nicht auf dem Sportplatz verhandeln. Helmut Kohl hat den Strickjacken-Journalismus erfunden. Willy Brand und Breschnew sind auf der Jacht im Schwarzen Meer gefahren. Das sind alles Dinge, die sicherlich auch das wechselseitige Verständnis gefördert haben. Aber ich glaube, im Kern muss Politik natürlich immer sehr ernsthaft sein und sehr professionell.
Heinemann: Herr Oppermann, wir drücken Ihnen und dem FC Bundestag die Daumen.
Oppermann: Ich danke ganz herzlich für das Gespräch.
Heinemann: Gute Reise! Wir danken Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.