Stadtführung in Hamburg
Auf den Spuren der dunklen Geschichte des FC St. Pauli

Anlässlich der EM haben die "Hamburger Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen" ein Rahmenprogramm zum Thema Hamburger Fußball während der NS-Zeit entwickelt. Eine Stadtführung beleuchtet die Vergangenheit des FC St. Pauli.

Von Magdalena Neubig |
Das Logo des FC St. Pauli an der Fassade des Millerntor-Stadions.
Das FC St. Pauli Museum arbeitet seit dem vergangenen Jahr die jüdische Geschichte des Vereins auf. (IMAGO / Noah Wedel / IMAGO / Noah Wedel)
In einem totalitären Staat bleibt kein Bereich unberührt, stellt Maren Degener von den Hamburger Gedenkstätten und Lernorten gleich zu Beginn der Führung fest: "Das heißt, auch der Fußball war aufs engste vom Nationalsozialismus geprägt."
So wurde die zumeist sozialistische Arbeitersportbewegung samt ihren Fußballvereinen 1933 verboten, sagt Maren Degener. Und von den großen bürgerlichen Hamburger Vereinen war niemand im aktiven Widerstand. Ganz im Gegenteil: In vorauseilendem Gehorsam trennten sie zumeist sich schon früh von ihren jüdischen Mitgliedern, erzählt Christopher Radke. Er arbeitet beim FC St. Pauli Museum und ist heute der zweite Guide bei der Führung.
"Der FC St. Pauli war ein Mitläuferverein, hat sogar auch profitiert. Und es gibt in den Sportzeitungen der 20er und frühen 30er Jahre…wird der FC St. Pauli gelobt für eine vorbildliche Jugendarbeit, in der nur Deutsche aus der eigenen Jugend spielen. Und das wurde bewusst so gesagt im Gegenzug zum Hamburger SV. Denn der Hamburger SV war ein kosmopolitischer, international agierender Verein."

Museum arbeitet jüdische Geschichte des FC St. Pauli auf

Das FC St. Pauli Museum ist seit Anfang des vergangenen Jahres dabei, die jüdische Geschichte des Vereins aufzuarbeiten. Und rekonstruiert dafür Biografien ehemaliger Mitglieder – sowohl der jüdischen Mitglieder, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden, als auch derjenigen, die Teil des Systems waren. Auch die heutige Stadtführung hangelt sich entlang dieser Biografien. Startpunkt des Rundgangs ist das sogenannte Stadthaus mitten in Hamburgs Innenstadt. Das elegante Gebäude war bis 1943 Sitz der Hamburger Polizei. Von dort aus organisierte sie die systematische Verfolgung des Hamburger Widerstands.
Maren Degener stellt hier im Innenhof die Biografie von FC St. Pauli-Mitglied Otto Wolf vor: "Otto Wolf kommt ursprünglich aus Kiel, ist dann aber nach Hamburg gekommen." 
Wolf, der für die erste Mannschaft von St. Pauli gespielt hatte, war Mitglied der NSDAP sowie der SS gewesen. Beruflich war er für die sogenannten Arisierungen zuständig, also die Enteignung jüdischen Besitzes und dessen Übergabe an nicht-jüdische Deutsche. Für seine langjährige Mitgliedschaft bei St. Pauli erhielt er die goldene Ehrennadel.

Verein huldigt Wolf noch Anfang der 90er

Maren Degener liest aus seinem Nachruf vor, den der Verein in den frühen 90ern abdruckte: "Das ist aus der Vereinszeitung des FC Sankt Pauli vom Januar 1992: Die Verdienste unseres Otto können nur noch die ganz alten St. Paulianer ermessen. Es war weiß Gott nicht wenig. Seit mehr als 50 Jahren unserem Club angehörend, war unser Doktor Ende der 20er Anfang der 30er-Jahre Spieler unserer Liga. Vor dem Zweiten Weltkrieg und während des Krieges hat unser Senior in exponierter Stellung für unser Land, für unsere braun-weißen Farben, segensreich gewirkt."
Weiter geht die Führung durch die Hamburger Neustadt. Christopher Radke weist immer wieder auf einzelne Stolpersteine am Boden hin. Zum Beispiel auf den von Selig Cahn. 1913 bei St. Pauli eingetreten, spielte Selig Cahn zeitweise für die erste Herrenmannschaft. 1933 musste er aufgrund seiner jüdischen Abstammung den Verein verlassen.
"Selig Cahn wurde während der Novemberpogrome 38 verhaftet und war für drei Wochen im KZ Sachsenhausen. Als er zurückkam war er quasi erwerbslos, hatte keine Einnahmen mehr und lebte am absoluten Existenzminimum. Und dann am 11. Juli 1942 wurde Selig Kahn und seine Familie nach Auschwitz deportiert."

Jüdische Sportler sind in Vergessenheit geraten

Wie so viele jüdische Sportler geriet er trotz jahrzehntelanger Mitgliedschaft im Verein in Vergessenheit.
Die weiteren Stopps auf der Tour sind unter anderem das ehemalige Polizeigefängnis Hütten und die Justizgebäude, bis die Führung dann auf dem Heiligengeistfeld neben Millerntor-Stadion und EM-Fanmeile endet.
Nach drei Stunden Stadtführung in der prallen Sonne sind die knapp 20 Teilnehmenden der Tour ganz schön platt. Fast alle von ihnen sind Fußballfans. Und die meisten von ihnen auch Fans vom FC St. Pauli – leicht zu erkennen an den T-Shirts und Schlüsselbändern mit dem bekannten Totenkopf-Symbol. "Wir sind ein St. Pauli-Fanclub und haben uns eigentlich für die Vergangenheit vom Verein im Dritten Reich interessiert."

Viele neue Infos für Tour-Teilnehmer

Obwohl alle schon viele, viele Jahre Clubmitglieder sind, und von den Debatten um ehemalige Mitglieder, die Nationalsozialisten waren, wissen, haben sie heute einiges dazugelernt. "Na, ich fand es tatsächlich interessant, zum Beispiel zu erfahren, dass erst in den 90er-Jahren, dass da noch Ehrennadeln verteilt wurden an ‚verdiente‘ Mitglieder, die ne krasse Nazi-Vergangenheit hatten."
Für die St. Pauli Fans war auch noch eine andere Information ganz neu. "Überraschend auch, dass der HSV eigentlich ein offenerer und internationalerer Verein ist als der FC Sankt Pauli damals."
"Und dass der HSV auch deutlich eher anscheinend als St Pauli mit der Aufarbeitung seiner jüdischen Vergangenheit begonnen hat. Das fand ich auch eine interessante Information."
Dass das FC St. Pauli Museum jetzt nachzieht, finden sie richtig.