Die erste Ampel-Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik ist gescheitert, und wer dafür verantwortlich ist, darüber wird heftig gestritten. Sicher ist: FDP-Parteichef Christian Lindner wollte die Schuldenbremse nicht aufgeben und hatte gänzlich andere Vorstellungen von einer konjunkturbelebenden Wirtschaftspolitik wie SPD und Grüne.
Schließlich schmiss Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seinen Finanzminister aus dem Kabinett und machte ihm schwere Vorwürfe, bis hin zum Vertrauensbruch. Die Lesart der FDP ist naturgemäß eine andere - Lindner sagte, man habe ihn dazu bringen wollen, seinen Amtseid zu brechen.
Welche Version der Geschichte sich in den Köpfen der Wählerinnen und Wähler festsetzt, wird wohl mit darüber entscheiden, ob die FDP nach der vorgezogenen Bundestagswahl wieder im Parlament sitzt.
Wer führt die FDP in die Bundestagswahl?
Das Gesicht der FDP ist und bleibt Christian Lindner. Er will seine Partei als Spitzenkandidat wieder in den Bundestag führen und abermals Finanzminister werden. Die Rückendeckung seiner Partei ist ihm sicher. Mit 16 Jahren trat er bereits in die FDP ein, mit 34 wurde er Bundesvorsitzender.
Bereits als Schüler trug Lindner Anzüge und gründete sein erstes Unternehmen. Er ist selbstbewusst, rhetorisch versiert, tritt kämpferisch auf und beharrt auf seinen Forderungen. 2017 ließ er Koalitionsverhandlungen mit der Union und den Grünen platzen. Damals sagte er: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren." Auch in der Ampel-Koalition ordnete sich der Chef des kleinsten Koalitionspartners nicht unter.
Seine Mitstreiter im Wahlkampf sind alte Bekannte. Wolfgang Kubicki ist von der FDP Schleswig-Holstein auf Listenplatz eins und damit zum Spitzenkandidaten für den Deutschen Bundestag gewählt worden. Die ehemalige Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger will die Hessen-FDP in den Bundestagswahlkampf führen.
Mit welchen Inhalten geht die FDP in den Wahlkampf?
FDP-Chef Christian Lindner denkt strikt wirtschaftsliberal und distanziert sich immer wieder deutlich von politischen Ideen aus dem linken Lager. Die Menschen könnten bei der Bundestagswahl darüber entscheiden, "ob wir das Erwirtschaften wieder wichtiger nehmen als das Verteilen" und "ob wir Klimaschutz nicht besser mit Technologie und realistischen Zielen vorantreiben", sagte er nach dem Ampel-Aus im Bundestag. In der Migrations- und der Finanzpolitik müssten „Richtungsentscheidungen“ getroffen werden. Zudem verteidigte er die Schuldenbremse, da sie erheblich zur Generationengerechtigkeit beitrage.
Lindner plädiert für eine „Wirtschaftswende“, die ohne Steuererhöhungen auskommen soll und die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags beinhaltet. Subventionen sollen reduziert, Innovationen und Spitzenforschung gefördert werden. Zudem will er, dass mehr Menschen arbeiten und bei den Ausgaben für Migranten und Bürgergeldbezieher gespart wird.
Für FDP-Vize-Chef Kubicki steht Deutschland vor einer „Richtungsentscheidung“. Das Land brauche Wachstum, Innovation und Wohlstand. Johannes Vogel, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, sieht das genauso: Generationengerechtigkeit, Wirtschaftswachstum und die Schuldenbremse seien für seine Partei nicht verhandelbar.
Mit welchen Problemen kämpft die FDP gerade?
Die FDP will nach der vorgezogenen Bundestagswahl wieder mitregieren, allerdings erreicht sie in den jüngsten Umfragen gerade einmal vier bis fünf Prozent. Die FDP-Spitze ist dennoch zuversichtlich, dass das Wahlergebnis im Februar 2025 zweistellig werden könnte. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai vermeldete zahlreiche Parteieintritte seit dem Ampel-Aus. Auch an der Parteibasis sei die Stimmung gut, sagt der bayerische FDP-Bundestagsabgeordnete Ulrich Lechte.
Damit die Partei wieder unbeschwert agieren kann, muss sie zuerst allerdings das Ampel-Aus bewältigen. Wer Schuld am Bruch der Koalition hat, ist eine vieldiskutierte Frage, in der es auch um Tugenden wie Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Aufrichtigkeit geht.
Laut Recherchen der „Zeit“ soll der Führungszirkel der FDP auf einen Bruch der Koalition hingearbeitet haben. Unter dem Projektnamen "D-Day" seien verschiedene Szenarien entwickelt worden, um aus dem ungeliebten Bündnis auszusteigen. Auch die Süddeutsche Zeitung berichtete Ähnliches.
Die ehemaligen Koalitionspartner reagierten empört. SPD-Fraktionschef Mützenich sagte dem „Spiegel“, Lindner und wichtige Teile der FDP hätten sich als politische Kraft „völlig disqualifiziert“. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Hasselmann warf der FDP in der ARD „Destruktivität“ vor.
Lindner wiederum verwies darauf, dass auch die SPD bereits im Sommer Szenarien zu einem Ende der Ampel durchgespielt habe. Auch andere FDP-Spitzen betonten, dass die Liberalen ihren Kurs klar kommuniziert und für einen Fortbestand der Ampel-Koalition auf eine Wirtschaftswende bestanden hätten. Lindner hatte ein entsprechendes Papier vorgelegt - von dem er allerdings wissen musste, dass es kaum etwas mit den wirtschaftspolitischen Vorstellungen von SPD und Grünen gemein hatte.
Wie steht die FDP in den Umfragen für die kommende Wahl da?
Bei der Bundestagwahl 2021 erhielt die FDP 11,5 Prozent der Stimmen und wurde damit viertstärkste Kraft nach der SPD, der Union und den Grünen. Derzeit kommt die FPD bei Umfragen nur noch auf vier bis fünf Prozent.
Fünf Prozent würden für einen Einzug in den Bundestag reichen, wären für die Partei aber eine große Enttäuschung. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki, hat als Ziel ein zweistelliges Ergebnis ausgegeben. Auch FDP-Chef Linder hält das für realistisch.
Zu den wichtigsten Themen, die die Bundesbürger zur Zeit beschäftigen, gehören laut einer aktuellen YouGov-Umfrage die Migrations-, die Wirtschafts- und die Umweltpolitik. Da die so genannte „Wirtschaftswende“ ein zentrales Ziel der FDP ist, könnte sie von der Stimmung im Land profitieren. Punkten könnte die Partei auch bei ihren Stammwählern, die mit der Ampel-Koalition unzufrieden waren.
Wie stehen die Chancen auf eine Regierungsbeteiligung der FDP nach der kommenden Bundestagswahl?
FDP-Chef Lindner will nach der vorgezogenen Bundestagswahl erneut regieren und wirbt für ein Bündnis mit der Union unter Führung von Friedrich Merz. In den jüngsten Umfragen lag die Union mit 32 bis 33 Prozent zwar weit vor allen anderen Parteien. Dennoch könnten Union und FDP nach derzeitigem Stand keine Mehrheit bilden - dafür müssten die Liberalen deutlich zulegen. Und eine erneute Kooperation der FDP mit SPD oder Grünen erscheint angesichts des Zerwürfnisses mit den ehemaligen Koalitionspartnern momentan sehr unwahrscheinlich.
CDU-Chef und Kanzlerkandidat Merz hat sich bislang nicht auf ein Wunschbündnis festgelegt. Eine Koalition mit den Grünen schließt er trotz größerer Differenzen bei gesellschaftspolitischen Themen und in der Wirtschaftspolitik nicht aus. Lindners Vorschläge zur „Wirtschaftswende“ trafen bei Merz hingegen auf Zustimmung. Allerdings kann sich Merz inzwischen auch eine Lockerung der Schuldenbremse vorstellen – was der FDP-Chef kategorisch ablehnt.
rey