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FDP-Chef Lindner
"Koalition hat keine Antwort auf die Herausforderungen der Zeit"

"Bei der Großen Koalition geht es den Partnern in der Regierung mehr darum, wie sie aus der Koalition herauskommen, als darum, was sie während der Regierungszeit bewirken können", sagte FDP-Chef Christian Lindner im Dlf. Zudem habe sie auch keine Strategie für das Europäische Projekt.

Christian Lindner im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Christian Lindner spricht und gestikuliert am Rednerpult.
    Kritik an Trump, an Russland - und an der Großen Koalition: FDP-Chef Christian Lindner (dpa/Wolfgang Kumm)
    Stefan Heinlein: Wochenlang wurde erst sondiert, dann verhandelt, die Republik nächtelang in Atem gehalten. Erst dann einigten sich Union und SPD auf die Neuauflage der Großen Koalition. Ganz offensichtlich keine Liebesheirat, sondern eine Zweckgemeinschaft. Entsprechend holprig die ersten Tage: Keine Begeisterung, kein Zauber eines Neuanfangs. Stattdessen Querschüsse von allen Seiten. Damit soll nun Schluss sein. Die Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg ist nach Aussage von Kanzlerin und Vizekanzler der Startschuss für eine erfolgreiche Regierungsarbeit in den kommenden Jahren.
    Mitgehört hat der FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzende Christian Lindner. Guten Morgen, Herr Lindner.
    Christian Lindner: Guten Morgen, Herr Heinlein.
    Politikstil im Weißen Haus "unverantwortlich"
    Heinlein: Herr Lindner, bevor wir über die Innenpolitik sprechen, zunächst zum internationalen Thema dieses Morgens: Syrien und die Twitter-Drohungen aus Washington. Dann rudert das Weiße Haus in der Nacht offenbar zurück. Können Sie sich einen Reim machen auf die Syrien-Strategie der USA?
    Lindner: Nein. Sie ist gegenwärtig noch nicht klar. Es stellt sich auch die Frage, ob in der Administration von Herrn Trump eine einheitliche Einschätzung besteht. Es bleibt die Hoffnung, dass es eine Art von Verhandlungstaktik ist, durch teilweise auch irrationale und wenig verantwortungsvolle Tweets Druck auf andere, insbesondere ständige Mitglieder des Sicherheitsrates, auszuüben.
    Wichtig ist jedenfalls - und das ist eine Erleichterung -, dass noch einmal gesprochen wird. Auch die Appelle des UNO-Generalsekretärs bleiben hoffentlich nicht ungehört. Mit Militärschlägen wird man in Syrien die Situation nicht entspannen, sondern im Zweifel verschärfen. Die Reaktion auf die Barbarei des Assad-Regimes muss diplomatisch eingebettet sein. Wir können nicht erlauben und können auch nur hoffen, dass es nicht dazu kommt, dass aus der Syrien-Krise ein Konflikt wird mit Russland, mit der Türkei und dem Iran.
    Heinlein: Sie haben das, Herr Lindner, sehr, sehr zurückhaltend, ganz vorsichtig formuliert. Sie haben den Eindruck, dass es keine einheitliche Strategie in Washington gibt. Kann man das auch klarer formulieren? Wird es höchste Zeit, Donald Trump seinen Twitter-Account zu sperren?
    Lindner: Das steht ja nun nicht in unserer Macht.
    Heinlein: Aber was halten Sie denn insgesamt von dieser Twitter-Diplomatie aus Washington? Ist das moderne Außenpolitik 2.0, oder ist das einfach nur unprofessionell?
    Trumps Agieren als Teil einer "Madman-Strategie"?
    Lindner: Nein, das ist gewiss nicht modern, und ich glaube, dass die Geschmacksfrage klar zu beantworten ist. Es ist unverantwortlich, wie dort agiert wird, aus unserer Sicht. - Wissen Sie, das hat ja Züge von Astrologie. Was genau passiert im Weißen Haus und im Umfeld von Herrn Trump? Wer kann das genau wissen? Da kann man nur ahnen und raten. Ob es einen Plan gibt, ist für mich nicht klar sichtbar.
    Die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht handelt es sich um eine Variante der sogenannten Madman-Strategie. Das heißt, durch Irrationalität den Eindruck zu erwecken, man müsse ihm entgegenkommen, weil er sonst auch zu nicht vorhersehbaren spontanen Eruptionen neigt. Eine solche Strategie ist in der Vergangenheit schon mal angewendet worden - wenn ich mich richtig erinnere von Nixon und anderen -, eine bewußte Strategie, um zu anderen Verhandlungsergebnissen zu kommen. - Freilich eine optimistische Wahrnehmung. Ich befürchte, vieles ist wirklich eruptiv und spontan und eben nicht eine Verhandlungsstrategie.
    Heinlein: Herr Lindner, wenn ich Sie so höre, dann reden Sie so wie andere FDP-Vorsitzende, die später Außenminister waren. Wenn Sie jetzt so auf die Weltlage blicken und ich Sie so höre, reizt es Sie da nicht, mitzumischen, national und international? Würden Sie nicht lieber mitregieren, als jetzt gar nicht zu regieren?
    FDP regiert "mit Freude"
    Lindner: Selbstverständlich, Herr Heinlein, würden wir gerne Verantwortung für das Land übernehmen. Sie haben jetzt nach der Außenpolitik zu Beginn gefragt. Die Fragen der europäischen und deutschen Innenpolitik beschäftigen uns in gleicher Weise. In Deutschland tragen wir ja auch in drei Ländern Verantwortung, in Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen, und wir regieren dort mit Freude, weil wir gute Ergebnisse erzielen können.
    Heinlein: Aber Sie hätten auch im Bund mitregieren können, wenn Sie gewollt hätten. Warum ist denn für Ihre Partei die Gestaltung von Politik auch in einer Koalition mit notwendigen Kompromissen nicht reizvoller, als jetzt für die nächsten vier Jahre aus der Kulisse als Oppositionspartei die Entscheidungen der anderen zu kritisieren und zu kommentieren?
    Lindner: Wir können gerne die zeitgeschichtliche Betrachtung der Jamaika-Gespräche noch einmal wiederholen. Da werde ich auch nicht müde, darauf hinzuweisen, dass die Unterschiede nicht überbrückbar waren. Die Grünen sind nach eigener Aussage eine linke Partei. Die wollen die Bürgerinnen und Bürger erziehen. Die FDP ist eine liberale Partei. Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger befreien von Bürokratismus und auch von finanziellen Einschränkungen. Dazwischen war kein Kompromiss fähig, der beiden Seiten eine Gesichtswahrung erlaubt hätte. Man kann das an vielen Einzelfragen, der Europa-, der Energie-, der Steuer-, der Bildungspolitik, der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik noch im Einzelnen veranschaulichen, wenn Sie das mögen. Aber ich glaube, dass heute der Blick nach vorne wichtiger ist als der Blick nur in den Rückspiegel.
    Ein "Heimatmuseum" statt eines Digitalministeriums
    Heinlein: Ja dann blicken wir nach vorne, blicken wir auf das, was in den vergangenen zwei Tagen in Meseberg passiert ist, und auf die ersten vier Wochen dieser Koalition. Wo haben Sie denn den Eindruck, dass hier falsch regiert wird?
    Lindner: Die Große Koalition hat ganz offensichtlich keine Antwort auf die Herausforderungen der Zeit. Wir haben große Veränderungen in Europa. Wir stehen vor einem Jahrzehnt der Neugestaltung des europäischen Projekts. Eine klare Antwort auf die Vorschläge von Herrn Macron gibt es aus Deutschland nicht.
    Wir haben mit der Digitalisierung eine grundlegende Veränderung von Wirtschaft und auch vom alltäglichen Leben. Aber statt wie in Frankreich ein Digitalministerium zu schaffen, wurde in Deutschland, wie Horst Seehofer witziger Weise gesagt hat, ein Heimatmuseum, also Ministerium geschaffen. Und all das zeigt: Die Anforderungen sind in der Regierung leider nicht angekommen.
    Diese Kabinettsklausur in Meseberg hat sich sehr unterschieden von der vor vier Jahren. Vor vier Jahren wurde eine detaillierte Vorhaben-Planung vorgelegt. Jetzt ging es ganz offensichtlich eher darum, gruppendynamisch überhaupt erst einmal zusammenzufinden. Man hat sich von anderen sagen lassen, wie sie die Lage der Dinge sehen, von den Sozialpartnern, vom Präsidenten der Europäischen Kommission. Ich hätte mir gewünscht, dass die Regierung selbst jetzt Traktion findet und zur Arbeit kommt, aber diese Hoffnung ist enttäuscht worden.
    "Personal- und Profilierungsfragen überlagern die Regierungsarbeit"
    Heinlein: Sie haben an die Zeit vor vier Jahren erinnert, Herr Lindner. Ich würde gern noch einmal weiter zurückgehen in das Jahr 2010, in die Frühzeit der schwarz-gelben Koalition. Da hat man sich gegenseitig als Wildsau und Gurkentruppe bezeichnet. Ist da auch aus Ihrem Blick der aktuelle Umgangston in der Großen Koalition nicht doch deutlich ziviler?
    Lindner: Ich weiß nicht, was der Vergleich soll. Diese zeitgeschichtlichen Fragen können auch Historiker beantworten. Die FDP von damals ist jedenfalls eine ganz andere als die, die wir heute sind. Wir sind ja vier Jahre durch einen unfreiwilligen, aber hilfreichen außerparlamentarischen Weiterbildungsurlaub gegangen und kommen deshalb als eine veränderte Kraft ins Parlament zurück. Das hat man ja auch den Entscheidungen im vergangenen November angemerkt, dass uns wichtig ist, dass wir unsere Vorhaben in einer Regierung auch zeigen können, unsere Linie zeigen können. Wenn das möglich ist, wenn Gutes bewirkt werden kann, regieren wir gerne, und sonst setzen wir andere Schwerpunkte.
    Jetzt geht es ja darum, wie geht es im Land weiter, und man hat schon den Eindruck - so äußern sich ja auch journalistische Kommentatoren -, dass es bei dieser Großen Koalition jetzt den einzelnen Partnern in der Regierung mehr darum geht, wie sie aus der Großen Koalition herauskommen, als darum, was sie während der Regierungszeit bewirken können. Und das betrifft sowohl die Parteien als auch die Individuen. Es stellt sich die Frage bei der Union, wie kommen wir aus der bayerischen Landtagswahl und aus der nächsten Bundestagswahl heraus, und die Frage, wer wird Nachfolgerin oder Nachfolger von Frau Merkel, und bei der SPD die Frage, wie werden wir wieder stärker als 20 Prozent und wer wird die Herausforderin oder der Herausforderer der Nachfolge Merkel. Diese Personal- und Profilierungsfragen überlagern ja ganz offensichtlich die eigentliche Regierungsarbeit.
    "Wir brauchen Konsequenz im Umgang mit Russland"
    Heinlein: Kurz zum Schluss, Herr Lindner, würde ich noch mal ganz kurz auf Ihre eigene Partei blicken. Dort gehört ja der Streit auch durchaus zum Alltag. Aktuell gibt es eine Meinungsverschiedenheit zwischen Ihnen und Ihrem Stellvertreter Wolfgang Kubicki über die Russland-Sanktionen. Werden Sie da jetzt als Parteivorsitzender ein Machtwort sprechen?
    Lindner: Nein. Ich werde sogar gar kein Machtwort sprechen. Die Position der FDP ist auch klar. Wir sind für neues Denken im Umgang mit Russland, denn das bedeutet, es muss auch neue Dialogangebote an Herrn Putin und seine Regierung geben - Stichwort Jesiden plus eins; auch eine Diskussion darüber, ob man Fortschritte im Minsk-Prozess auch von der ukrainischen Innenpolitik alleine mit abhängig machen kann. Aber auf der anderen Seite brauchen wir Konsequenz im Umgang mit Russland. Auch das ist für meine Partei klar.
    Heinlein: Ist das auch Wolfgang Kubicki klar?
    Lindner: Da müssen Sie ihn fragen. Ich bin ja nicht sein Sprecher.
    Heinlein: Aber Sie sehen ihn ja ab und zu.
    Lindner: Ja, aber wir haben in diesem Sinne im Januar noch einen einstimmigen Beschluss im Parteivorstand gefasst. Es gibt eine einzige Frage, wo es einen Meinungsunterschied gibt. Es gibt einen Teil meiner Partei wie in allen Parteien, CSU, der SPD- Außenminister Gabriel hat sich so geäußert, die meinen, man müsse einseitig seitens des Westens auf Sanktionen verzichten. Das halte ich für falsch. Das wäre eine Bestätigung der Hardliner im Kreml, dass robustes und aggressives Auftreten auf der Weltbühne dazu führt, dass der defensive und schwache Westen einlenkt. Dadurch erreicht man nicht mehr Dialog und Verständigung.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen FDP-Parteichef Christian Lindner. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Lindner: Auf Wiederhören, Herr Heinlein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.