Der Fehler von Thüringen habe für die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer in Hamburg eine Belastung dargestellt - gerade auch für die Hamburger FDP-Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels, sagte Nicola Beer, stellvertretende Parteivorsitzende der FDP, im Dlf. "Da ist Vertrauen verloren gegangen und das müssen wir jetzt wieder aufbauen. Insofern ist es für uns, wenn sich das weiter bestätigt, dass wir in der Bürgerschaft wieder vertreten sind, auch die Möglichkeit, genau diese Aufarbeitung vor Ort in Hamburg und auch an anderer Stelle zu leisten."
In Hamburg sei Vertrauen verloren gegangen, weil viel über die Thüringen diskutiert wurde, anstatt über Hamburger Fragen. "Auch in Thüringen sei mittlerweile klar, dass es falsch war, die Wahl anzunehmen. "Wir sind da in die von der AfD aufgestellte Falle getappt", sagte sie. "Die FDP hat kein Problem in der Abgrenzung zur AfD. "Wir sind immer gegen Extremismen aufgestanden".
Mit Blick auf die Zukunft der FDP sagte sie: "Wir werden stärker um Vertrauen werben", sagte sie. Die FDP sei die Partei des Aufstiegs und wolle den Zusammenhalt wieder stärken. Es mache sie betroffen, dass die Ränder, rechts wie links, immer mehr gestärkt würden. Es sei gut, dass in Hamburg jetzt aus der Mitte heraus Politik gemacht werden könne.
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May: Wieso muss die FDP auf einmal wieder um den Einzug in die Parlamente zittern?
Beer: Na ja, gut, Hamburg hat wirklich jetzt eine ganz besonders schwierige Lage für uns gehabt. Wir haben erst einmal das Kopf-an-Kopf-Rennen von SPD und Grünen gesehen. Da haben wir gemerkt, auch an den Ständen in den Veranstaltungen, dass auch Wähler, die für uns eigentlich ansprechbar sind, dann gesagt haben, nein, da wollen wir verhindern, dass die Grünen stärkste Partei werden, in dieser Situation muss ich mich leider anders entscheiden. Dann kam natürlich Thüringen, der Fehler in Thüringen, dazu. Das war für die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer, gerade auch bei Anna von Treuenfels in Hamburg natürlich eine Belastung. Das hat Menschen irritiert, da ist Vertrauen verlorengegangen, und das müssen wir jetzt wieder aufbauen. Insofern ist es für uns, wenn sich das weiter bestätigt, dass wir in der Bürgerschaft wieder vertreten sind, auch die Möglichkeit, genau diese Aufarbeitung vor Ort in Hamburg und auch an anderer Stelle zu leisten.
May: Sie sprachen die Spitzenkandidatin an. Kann sich die Bundespartei bei Anna von Treuenfels bedanken, dass sie ihren inneren Kompass nach der Ministerpräsidentenwahl von Thomas Kemmerich in Thüringen nicht erst suchen musste, anders als beispielsweise Christian Lindner oder gar nicht zu sprechen von seinem Vize Wolfgang Kubicki?
Beer: Die Freien Demokraten mussten insgesamt ihren Kompass da nicht suchen. Wir haben die Situation in Thüringen, die ein Fehler war, sehr schnell geklärt. Auch Christian Lindner hat schon an dem Abend deutlich gemacht, dass er seinen Bundesvorsitz nicht weiter führen würde, wenn diese Situation nicht sofort geklärt wird. Wir haben als Bundesspitze nicht unmittelbar den Einfluss. Ich glaube, auch in Thüringen ist das mittlerweile klar, dass es in diesem Moment falsch war, die Wahl anzunehmen. Sie sind da in die von der AfD aufgestellte Falle getappt. Das ärgert und, glaube ich, am allermeisten, aber trotzdem, mit Verlaub, wir haben kein Problem in der Abgrenzung zur AfD, zum rechten Rand. Wir sind immer gegen Extremismen aufgestanden, egal, ob sie als Rassismus, Faschismus oder wie auch immer daherkamen.
"Wir sind die Partei des Aufstiegs in der Gesellschaft"
May: Frau Beer, sowohl Christian Lindner als auch Sie haben nach der Wahl von Thomas Kemmerich durch die AfD eben nicht sofort gesagt, ganz klar, das verurteilen wir, anders zum Beispiel als Markus Söder. Sie haben erst einmal die anderen Parteien der Mitte zur konstruktiven Zusammenarbeit aufgerufen mit Thomas Kemmerich. Also mit Verlaub, es hat ein bisschen gedauert, bis Sie gemerkt haben, dass da etwas für die große Mehrheit der Menschen in Deutschland Inakzeptables stattgefunden hat. Aus Ihnen selbst heraus kam der Impuls offenbar erst mal nicht.
Beer: Schauen Sie, wir haben von Anfang gesagt, dass es einen kleinen Raum an dieser Stelle überhaupt gibt. Wir waren nicht zufrieden mit dieser Entscheidung in Thüringen, mussten aber dann in dieser Situation damit umgehen und haben von Anfang an gesagt, dass unserer Meinung nach in dieser Situation Neuwahlen der beste Weg sind, damit auch nicht nur der Anschein entsteht, es könnte keine ausreichende Abgrenzung zur AfD stattfinden. Diese Klärung ist bei uns innerhalb eines Tages erfolgt. Andere kämpfen jetzt noch, und das sieht man ja momentan mi t dem Zickzackkurs der CDU auch vor Ort. Ja, das war ein großer Fehler, dass diese Wahl angenommen worden ist in Thüringen, ja, das hat Wahlkämpfer, gerade auch in Hamburg, belastet. Deswegen wirklich auch Respekt, ich habe selbst vor Ort mit Anna von Treuenfels Wahlkampf gemacht, wie sie, wie all die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer in Hamburg diese Situation gemeistert haben und auch gut, dass sie sich gerade dort auch so klar abgegrenzt haben, aber das nehme ich wirklich für die Freien Demokraten insgesamt, vielleicht bis auf wenige Ausnahmen, in Anspruch. Wir haben kein Problem mit der Abgrenzung nach rechts außen. Wir haben immer gegen diesen Extremismus, auch diesen menschenfeindlichen Rassismus gekämpft in Deutschland.
May: Verstehen Sie dennoch, wenn das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Bundespartei, in die FDP, gelitten hat?
Beer: Das habe ich ja sogar selbst gerade eben schon gesagt, dass das auch eine besonders schwierige Lage in Hamburg war, weil dort Vertrauen verlorengegangen ist, weil man jetzt über diese Fragen häufig diskutieren musste, statt auf die Hamburger Themen anzusprechen. Da gibt es ja eine ganze Menge. Schauen Sie sich die Bildungspolitik in Hamburg an, schauen Sie sich eine völlig ideologische Verkehrspolitik in Hamburg an, schauen Sie sich auch die Frage des Hamburger Hafens an, das sind alles Themen, über die wir diskutieren wollen, weil letztendlich ging es in Hamburg um Hamburg.
"Es werden immer stärker die aggressiven Ränder gestärkt"
May: Wie groß ist die Sorge, dass die FDP jetzt einen ähnlichen Weg nimmt wie vor zehn Jahren schon einmal – immer weiter abwärts, bis dann raus aus dem Bundestag?
Beer: Nein, das haben wir selbst als Freidemokratinnen und Freidemokraten in der Hand. Wir stehen da auch geschlossen, wir haben auch die Thüringen-Frage gemeinsam aufgearbeitet und werden jetzt wieder stärker um Vertrauen werben, weiter mit unseren Inhalten. Uns geht es darum, dass jede, dass jeder in dieser Republik seine Chancen ergreifen kann. Wir sind die Partei des Aufstiegs in der Gesellschaft. Wir wollen auch den Zusammenhalt wieder stärken. Es macht mich schon betroffen, und das ist vielleicht ein positiver Aspekt an der Hamburgwahl, wenn man es so sehen will, dass immer stärker die Ränder auch in den Wahlen bestärkt werden, rechts wie links. Gott sei Dank haben wir das in Hamburg nicht gesehen, sondern da kann aus der Mitte heraus Politik gemacht werden, aber das ist leider eine Entwicklung, die ansonsten in Deutschland anders läuft. Es werden immer stärker die aggressiven Ränder gestärkt. Wir sehen immer mehr auch aggressive Auseinandersetzungen in den Diskussionen in unserer Gesellschaft. Ich glaube, dass das etwas ist, was wir angehen müssen. Wir brauchen wieder eine Demokratie, die aus der Mitte heraus mit vernünftigen Debatten, auch mit Differenzierung um die bessere Lösung ringt. Diese aufgeregte, aggressive, auch menschenverachtende Stimmung, das ist der Anfang des Endes friedlicher Demokratie.
May: Ich habe das gefragt, weil ich mich frage, wie viele Fehler dieser Art sich die FDP, wie viele Fehler sich Christian Lindner noch leisten kann.
Beer: Man sollte sich am besten gar keine Fehler leisten, aber dort, wo Menschen agieren, werden auch Fehler gemacht. Das Wichtige ist doch, was man für Schlussfolgerungen daraus zieht und dass man dann den Weg nach vorne auch im Ringen um Vertrauen, aber mit besseren, mit vernünftigeren, mit zukunftssicheren Vorschlägen für die Zukunft Deutschlands angeht.
"Es muss letztendlich der Blick auf den Nächsten da sein"
May: Jetzt haben ja – Sie haben es gerade schon angedeutet – die schlimmen Ereignisse von Hanau ja auch noch mal deutlich gemacht, wie groß die Gefahr durch Rechtsterrorismus für den Staat, für die Gesellschaft, aber insbesondere auch für eine Gruppe von Menschen, nämlich solche mit Migrationshintergrund ist. Wie reagiert die FDP darauf?
Beer: Die Freien Demokraten treten dagegen auf, überall dort, wo Menschen, egal, ob es um ihre Abstammung, ihre Religion, ihre politische Einstellung oder ihre sexuelle Identität, diskriminiert werden, das müssen wir machen. Wir müssen auf unseren Nächsten achten in der Gesellschaft. Gerade Hanau hat ja gezeigt, dass man schon in der Nachbarschaft damit anfangen muss. Es muss letztendlich der Blick auf den Nächsten da sein im Hinblick auch in der Verteidigung, ob das im Sportverein ist, am Arbeitsplatz, im Freundeskreis, auch gegen einen blöden Spruch loszugehen, auch wenn man abends müde ist und eigentlich bei einem Glas Bier was anderes diskutieren möchte. Da fängt es an, da fängt es im Kleinen an, ein blöder Witz, eine bescheuerte Bemerkung, gegen die müssen wir aufstehen, und das ist genau das soziale Engagement, was Freie Demokratinnen, Freie Demokraten in ihrem Alltag täglich leben.
May: Weil ja gerade die FDP – deswegen frage ich das auch noch mal hier – unter Christian Lindner gerade in Migrationsfragen ja bisher eher eine harte Linie vertreten hat.
Beer: Ich glaube, es geht nicht um eine Frage harte Linie in der Migrationsfrage, sondern es geht darum, Recht und Gesetz auch in der Migrationsfrage durchzusetzen. Das ist ja das, was jetzt in Deutschland leider auch viele in die Arme von Populisten treibt, dass wir keine klar geordnete, keine steuernde Einwanderungs- und Migrationspolitik haben. Wir müssen klar unterscheiden zwischen Asyl und Bürgerkriegsflüchtlingen auf der einen Seite und denen, die aus wirtschaftlichen Gründen, völlig verständlich, zuwandern wollen. Da brauchen wir Regeln, da brauchen wir ein Punktesystem. Mit Verlaub, das darf ich vielleicht gerade auch als Europapolitikerin sagen, da brauchen wir endlich ein konsistentes europäisches System. Wir müssen gemeinsam als Europäerinnen und Europäer genau diese Unterscheidungen hinbekommen. Wir sehen, dass es an allen Stellen genau hier entsprechend auch Probleme macht, dass diese Frage in Europa noch nicht gelöst ist. Schauen Sie runter, die Kontrolle des Waffenembargos im Hinblick auf Libyen wäre fast an der Frage der Überwachung und Durchsetzung dieses Waffenembargos wegen der Migrationsfrage gescheitert. Also wir müssen dringend hier eine Lösung finden, auch für die, die bei uns Schutz suchen, auch für die, die bei uns eine bessere Zukunft für ihre Familien suchen.
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