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FDP: Keine Koalitionsverhandlungen ohne Steuerstrukturreform

Dirk Niebel, FDP-Generalsekretär, unterstreicht die Absicht seiner Partei, die Bürger in der nächsten Legislaturperiode zu entlasten. Es werde keinen Lagerwahlkampf mit der FDP geben - wer aber mit ihr koalieren will, so Niebel, muss einer Struktursteuerreform zustimmen.

Dirk Niebel im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Jeder hat das schon erlebt: Man ruft irgendwo an, wird verbunden und dann muss man sich die synthetische Fassung von Mozarts kleiner Nachtmusik oder Ähnliches anhören. Nicht so, wenn man mit der FDP in Berlin fernmündlich Kontakt aufnimmt. Dort werden einem die wichtigsten politischen Ziele der Partei mit auf den Weg gegeben.
    Die Liberalen treffen sich ab heute zum 60. Bundesparteitag in Hannover. Die etwa 660 Delegierten werden das Programm der Partei für die Bundestagswahl beraten und die Parteiführung für die nächsten zwei Jahre wählen oder im Amt bestätigen. – Am Telefon ist FDP-Generalsekretär Dirk Niebel. Guten Morgen!

    Dirk Niebel: Guten Morgen, Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Niebel, Sie haben zusammen mit Parteifreunden den gestrigen Abend in einem Erlebniszoo verbracht, zu fernöstlichen Klängen. Sind Sie, was Ihr Steuersenkungsmantra betrifft, gestern (vielleicht auch durch die Steuerschätzung) erleuchtet worden?

    Niebel: Ja. Insofern, dass Steuersenkungen jetzt erst recht dringend notwendig sind. Eine echte Steuerstrukturreform ist die Grundlage dafür, dass wir in der Zukunft in Deutschland handlungsfähig sind, ist die Grundlage dafür, dass Arbeitsplätze gesichert und neu geschaffen werden können. Man muss den Menschen und den Betrieben mehr vom selbst verdienten Geld übrig lassen, und gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten darf ich Denjenigen, den ich melken will, nicht vorher aussaugen.

    Heinemann: Wann trifft bei der FDP das Wunschdenken auf die Wirklichkeit?

    Niebel: Wir regieren in fünf großen Bundesländern in Deutschland mit, weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Wir sind sehr in der Wirklichkeit verhaftet und wir wissen, welche Notwendigkeiten es gibt. Das beste Konjunkturprogramm, das man jetzt auflegen könnte, ist eine Stabilisierung der Binnenkonjunktur, um Arbeit zu sichern. Wer arbeitet, kann Steuern zahlen; wer arbeitslos ist, zahlt nur noch indirekte Steuern. Wir brauchen aber die der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und aus diesem Grund ist es die Voraussetzung, dass sich die Binnenkonjunktur stabilisiert, eine echte Steuerstrukturreform durchzuführen, die vor allem auch noch zur Vereinfachung führt, weil von dem Bürger, der heute nicht verstehen kann, was der Staat von ihm erwartet, von dem kann man auch nur schwer erwarten, dass er sich an das hält, was der Staat gerne möchte.

    Heinemann: Zum Realitätssinn der Liberalen sagte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück vor einer Stunde in dieser Sendung:

    O-Ton Peer Steinbrück: In Wirklichkeit wissen alle, die sich fachlich damit beschäftigen, dass im höheren zweistelligen Milliardenbereich null Spielraum ist für weitere Steuersenkungen. Bei den Verschuldungen, die wir haben, bei den Einschränkungen, die wir in Kauf nehmen müssen, halte ich jedes Versprechen in dieser Dimension für völlig waghalsig, illusionär.

    Heinemann: Herr Niebel, sind die Liberalen waghalsig und illusionär?

    Niebel: Die Äußerung des Finanzministers zeigt seine Fantasielosigkeit. Immerhin ist er ja als Bundesschuldenminister derjenige, der in den guten wirtschaftlichen Zeiten nicht nur für schlechte nicht vorgesorgt hat, sondern trotz sprudelnder Steuermehreinnahmen der Bürgerinnen und Bürger immer noch zusätzliche neue Schulden aufgelegt hat. Der soll sich mal ganz bedeckt halten und sich überlegen, wie er vielleicht mit unseren Nachbarn wieder ins Gespräch kommen kann. Und ich sage Ihnen ganz deutlich: Wenn der Bundesfinanzminister meint, nur weil er das Geld in wirtschaftlich guten Zeiten verplempert hat, muss man den Bürgern noch mehr abnehmen, dann hat er seinen Job verfehlt. Was wir brauchen ist ein Steuerstrukturkonzept, das dazu führt, dass die Menschen mehr Geld haben, das dazu führt, dass aus den ungefähr 350 Milliarden Euro, die im Moment im Schatten erwirtschaftet werden in Deutschland, wieder möglichst viele Menschen in die legale Wirtschaft zurückkommen. Dafür brauchen wir ein einfaches und als fair empfundenes Steuersystem. Wenn wir das schaffen würden, wenigstens zehn Prozent davon wieder in die Legalität zu bringen, dann hätte sich nicht nur unser Konzept komplett finanziert, sondern auch alle anderen Staatsfinanzen wären auf einem guten Weg.

    Heinemann: Herr Niebel, ab wann (bitte Datum!) kann sich der Staat Steuersenkungen leisten und müssen dafür haushaltspolitische Bedingungen erfüllt sein, oder geht das einfach so?

    Niebel: Nach der Bundestagswahl müssen wir natürlich gucken, welche Schattenhaushalte Herr Steinbrück noch versteckt hat vor der Öffentlichkeit.

    Heinemann: Nach der Bundestagswahl, das sind dann vier Jahre.

    Niebel: Nach der Bundestagswahl, das ist am 27. September, in 134 Tagen. - Nach der Bundestagswahl müssen wir gucken, welche Schattenhaushalte Herr Steinbrück noch angelegt hat. Allein die sogenannte Abwrackprämie sind ja fünf Milliarden, die in keinem Haushalt niedergelegt sind. Aber nichts desto Trotz wird es keine Koalitionsverhandlung geben, in der nicht eine Steuerstrukturreform festgelegt ist, und dann muss man das Gesetzgebungsverfahren möglichst zügig einleiten – zuerst mit dem allerersten Schritt, die Rücknahme der großen Fehler der Unternehmenssteuerreform, denn wenn man Steuern auf Mieten, Schulden und Zinsen nimmt, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass die Eigenkapitaldecke der Betriebe gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht deutlich größer wird, sondern eher kleiner wird. Wenn man solche Fehler zuerst mal behebt, dann muss man die Entlastung der normalen Familien und Arbeitnehmer auf den Weg bringen. Das ist ein einheitlicher Grundfreibetrag von 8.004 Euro für jeden Menschen, also auch für Kinder, und eine Absenkung des Eingangssteuersatzes. Der Rest wird sich dann über die Legislaturperiode strecken, je nachdem was, wie gesagt Herr Steinbrück noch an Schulden irgendwo gebunkert hat, die er vor der Öffentlichkeit verheimlicht.

    Heinemann: Herr Niebel, können Sie fest zusagen, dass bei einer Regierungsbeteiligung der FDP ab 2010 es niedrigere Steuersätze geben wird?

    Niebel: Ich kann fest zusagen, dass es keine Koalitionsvereinbarung geben wird, in der nicht eine echte Steuerstrukturreform vereinbart ist, und diese Steuerstrukturreform wird im Rahmen der Legislaturperiode auch entsprechend umgesetzt werden.

    Heinemann: Ehe wird Peer Steinbrück Botschafter in der Schweiz, als dass die FDP mit der SPD gemeinsam regiert, hat Ihre Parteifreundin Silvana Koch-Mehrin im "Rheinischen Merkur" zu Protokoll gegeben. Ist das das letzte Wort, oder enthält dieser Satz Umfallpotenzial?

    Niebel: Das letzte Wort, was die Botschaftertätigkeit von Herrn Steinbrück in der Schweiz anbetrifft, ist das, glaube ich, noch nicht. Ich gehe davon aus, wenn unsere Nachbarn zu Schurkenstaaten erklärt werden und eine Achse des Bösen zwischen Österreich und der Schweiz aufgebaut wird, dass das die schlechteste Verwendung für Herrn Steinbrück wäre. Aber eins ist völlig klar: Gucken Sie sich das Wahlprogramm an, das die Grünen letztes Wochenende beschlossen haben, gucken Sie sich das Wahlprogramm an, das die SPD vorbereitet hat; beide sind komplett angelehnt an das Wahlprogramm der Linkspartei. Und wenn Sie dann noch sehen, welche Kandidatinnen und Kandidaten Grüne und SPD nominiert haben, werden Sie feststellen, die nächsten Bundestagsfraktionen werden deutlich weiter links stehen als die jetzigen. Es geht um Inhalte! Wir wollen regieren, ganz ausdrücklich, aber nicht um jeden Preis. Wir wollen Deutschland erneuern, und deswegen sage ich Ihnen, wir brauchen eine Regierung der bürgerlichen Mitte. Und weil auch die Union hier irrlichtert, ist man sicher aufgehoben, wenn man sich um die FDP kümmert und die stark macht.

    Heinemann: Auf keinen Fall mit der SPD?

    Niebel: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine inhaltliche Deckungsgleichheit gibt, um mit der SPD zu regieren. Auf der anderen Seite muss ich deutlich sagen, wenn es keine Mehrheit für Schwarz-Gelb gibt, dann gibt es eine rechnerische Mehrheit links der Mitte für Rot-Rot-Grün, und wo eine Mehrheit ist, bildet sich auch eine Regierung, selbst wenn man noch vielleicht eine Schamfrist eines weiteren Jahres Große Koalition dazwischenschieben würde.

    Heinemann: Das heißt, es geht vor allem um die Macht?

    Niebel: Es geht darum, Deutschland zu erneuern. Es geht um Inhalte. Wenn es vor allem um die Macht gehen würde, hätten wir jetzt schon regieren können. Sie erinnern sich an den bemerkenswerten Fernsehabend mit Gerhard Schröder nach der letzten Bundestagswahl.

    Heinemann: Genau diesen Lagerwahlkampf, den Sie skizziert haben, kritisieren die Jungen Liberalen. JuLi-Chef Vogel sagte in der "Berliner Zeitung", es bestehe überhaupt gar keine Notwendigkeit, eine Koalitionsaussage so strikt zu formulieren. Wieso bindet sich die FDP jetzt schon an die Union?

    Niebel: Tun wir nicht! Wir werden eine Koalitionsaussage formal fassen auf unserem Sonderparteitag eine Woche vor der Wahl. Und die Jungen Liberalen haben völlig Recht: Es wird keinen Lagerwahlkampf geben, weil es kein Lager gibt. Die Union regiert bundesweit mit uns in fünf Bundesländern, sie regiert auch mit der SPD und den Grünen, also zu Deutsch: Sie regiert mit jedem. Ein Lager kann es nicht geben, wenn man nicht weiß, dass die Stimme tatsächlich zu einer bürgerlichen Regierung der Mitte führt. Bei der Union kann man sich nicht sicher sein, dass hinterher wirklich eine bürgerliche Regierung herauskommt. Deswegen gibt es kein Lager und keinen Lagerwahlkampf und wer eine bürgerliche Regierung der Mitte will, muss FDP wählen.

    Heinemann: Herr Niebel, am 07. Juni muss die FDP beweisen, ob sie 2009 Umfrageergebnisse in Wahlresultate verwandeln kann. Ist die Europawahl die Generalprobe für die Bundestagswahl?

    Niebel: Wir haben bei der letzten Europawahl mit 6,1 Prozent das historisch beste Ergebnis der FDP bei Europawahlen erreicht. Ich ahne, dass wir das Ergebnis verbessern werden, und das ist das Entscheidende. Darauf zielen wir. Wir wollen mehr deutsche Liberale im Europäischen Parlament haben. Die liberale Fraktion in Europa ist die drittstärkste. Es ist gut, wenn dort auch deutsche Positionen vertreten werden. Wir kämpfen für mehr Deutschland in Europa.

    Heinemann: In den "Informationen am Morgen" sprachen wir im Deutschlandfunk mit FDP-Generalsekretär Dirk Niebel. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Niebel: Gerne, Herr Heinemann.