"Heute Abend für Sie mit dem richtigen Schwung, Swing, wir brauchen Schwung mit der Big Band der städtischen Musikschule Horb am Neckar."
Big Band statt großem Orchester, Konferenzraum statt Ballsaal: Die FDP übt sich am Tag vor ihrem Dreikönigstreffen in Stuttgart in Bescheidenheit. Statt der traditionellen Ballnacht hat die Parteispitze in die Lounge geladen - ein Tagungsraum eines Hotels. Gleich neben dem Eingang steht ein Mann beim Glas Wasser, Mitte 40, dunkler Anzug, schütteres Haar. Offensichtlich ist er gefragt:
"Das Handelsblatt online möchte ein Interview mit Ihnen machen, am besten morgen. – O.k, dann machen wir das morgen, so um halb elf wäre in Ordnung. Elf bis eins ist dann die Kundgebung."
Bei der Europawahl geht es um alles
FDP-Chef Christian Lindner hat Alexander Graf Lambsdorff gerade als Spitzenkandidaten für die Europawahl vorgeschlagen. Sein Name stehe wie seine Partei für ein „marktwirtschaftliches, bürgernahes Europa“, hatte Lindner einer großen Zeitung gesagt. Während viele Liberale am Buffet vor schwäbischem Krustenbraten und Maultaschen Schlange stehen, hält sich Graf Lamdsdorff erst einmal zurück. Er hat eine Mission: Bei der bevorstehenden Europawahl geht es für die FDP um alles. Schafft sie nicht den Einzug ins Europaparlament, verschwindet sie in der Versenkung.
"Wir müssen mit unseren Botschaften klar rüberkommen. Wir müssen auch versuchen, das gehört dazu, sympathischer aufzutreten, als das in den letzten Jahren war. Auch gehört dazu, dass wir als Liberale wieder mehr Skepsis zulassen, auch mehr hinterfragen, offene Debatte."
Skepsis zulassen – das lässt aufhorchen: Im Dezember erst wurde der prominenteste Euro-Kritiker seiner Partei, Frank Schäffler, auf dem Sonderparteitag in Berlin nicht ins FDP-Präsidium seiner Partei gewählt – obwohl er dafür kandidiert hatte. Vor zwei Jahren war er einer der Initiatoren des Mitgliederbegehrens, bei dem es um die Zustimmung der FDP zum Euro-Rettungsschirm ESM ging. Knapp 45 Prozent der teilnehmenden Mitglieder hatten damals für Schäfflers Position gestimmt – und damit fast die schwarz-gelbe Koalition ins Wanken gebracht. Heute wäre die Euro-Skepsis bei den Liberalen noch deutlich höher, hört man immer wieder aus der Partei. Das weiß auch Alexander Graf Lambsdorff.
"Also Skepsis ist eine liberale Tugend. Und Euro-Skepsis im konstruktiven Sinne muss eine liberale Partei haben, muss ihr Raum geben. Auch wir sind ja nicht mit allem einverstanden, was in der Europäischen Union läuft."
Lambsdorff ist überzeugter Europäer
Mit der überbordenden EU-Bürokratie zum Beispiel und mit der Regulierungssucht etwa hat Lambsdorff ein Problem. Das Thema berührt ihn sichtlich. Nur: Die Schlussfolgerung, die Frank Schäffler seinerzeit aus seiner Euro-Skepsis gezogen hatte, wollte er nie mittragen:
"Da war der Kollege unserer Ansicht nach und auch nach Ansicht der Partei völlig auf dem Holzweg: Ein Auseinanderbrechen der Eurozone, eine Rückkehr zu 17 nationalen Währungen– das waren alles Vorschläge, die aus dieser Ecke kamen. Das ist zwar intellektuell interessant. Man kann es auch diskutieren. Aber es ist kein taugliches Politikrezept."
Lambsdorff ist ein überzeugter Europäer, das werde sich auch nicht mehr ändern, sagt er. Den weiteren Prozess der politischen Integration Europas infrage stellen? Niemals!
"Energie, die Zukunft des digitalen Binnenmarktes, also die ganze Internetwirtschaft, die Außenpolitik, da können wir uns ein stärkeres Europa gut vorstellen. Und da steht die Partei auch geschlossen dahinter."
Was aber möglicherweise der Europaskepsis vieler ihrer Wähler nicht unbedingt Rechnung trägt. Der Aufstieg der Euro-kritischen „Alternative für Deutschland“ kostete die Liberalen rund 400 000 Stimmen bei der vergangenen Bundestagswahl. Da muss die Partei durch, sagt Graf Lambsdorff – und fordert, dass sich seine Partei ganz klar gegen die neue Konkurrenz abgrenzt.
"Wir machen eine vernünftige Politik"
"Wir würden ja unsere Seele verraten, wenn wir jetzt plötzlich zu einer einfachen, populistischen Partei würden, die Stammtischparolen drischt. Das kann nicht die Position der FDP sein."
Lambsdorff schüttelt den Kopf: Die geschürte Angst etwa, der Euro könnte zerbrechen, die Eurozone gar auseinanderfliegen – die Realität heute zeige doch ein ganz anderes Bild:
"Das ist die Abgrenzung. Wir machen eine vernünftige Politik, eine rationale, marktwirtschaftliche Euro- und Europapolitik, während die AfD ideologisch und instabil an die Sachen herangeht."
In solchen Momenten wirkt Lambsdorff zuversichtlich, kämpferisch, gestikuliert mit dem Wasserglas in der Hand. Denn er weiß: Die Abgrenzung, von der er spricht, gilt nicht nur gegenüber der AfD, sondern auch gegenüber Euro- und Europa-Kritikern in der eigenen Partei.
Lambsdorff ist sich bewusst: Sein Konzept muss aufgehen. Ein weiteres Desaster wie bei der Bundestagswahl können sich die Liberalen nicht mehr leisten.