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FDP lehnt Vorratsdatenspeicherungspläne des Innenministers weiter ab

Ende der Woche muss Deutschland der EU seine Vorratsdatenspeicherungsregelung vorlegen. Innenminister Friedrich (CSU) will die anlasslose sechsmonatige Speicherung, Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) dagegen nur anlassbezogene Aufzeichnungen zulassen. Letzteres sollte man der EU als Teilumsetzung anbieten, sagt Christian Ahrendt.

Das Gespräch führte Gerd Breker |
    Tobias Armbrüster: Eine Woche hat die Bundesregierung noch Zeit, um einen größeren Konflikt mit der Europäischen Kommission abzuwenden. Es geht um die Vorratsdatenspeicherung. Die Kommission pocht darauf, dass die Regierung in Berlin dazu ein Gesetz auf den Weg bringt. Grundlage dafür ist eine EU-Richtlinie. Aber Union und FDP können sich nicht auf ein Verfahren einigen. Bundesinnenminister Friedrich hat in dieser Woche erneut einen Vorschlag der FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zurückgewiesen. Vielen Beobachtern erscheint dieser Streit in der Koalition eigentlich überflüssig, weil die EU-Kommission inzwischen selbst an einer Neufassung ihrer entsprechenden Richtlinie arbeitet. Mein Kollege Gerd Breker hat darüber gestern mit Christian Ahrendt gesprochen, er ist der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, und er hat ihn zunächst gefragt, was das für ein Vorgehen der EU-Kommission ist, auf einer Richtlinie zu bestehen, deren Novellierung sie schon längst angekündigt hat.

    Christian Ahrendt: Da kann ich Sie nicht aufklären, da müssen Sie die zuständige Kommissarin Malmström fragen. An der Richtlinie und ihrer Evaluierung wird seit zwei Jahren gearbeitet. Wir wären froh, wenn die EU mit dieser Arbeit fertig wäre und man wissen könnte, was nun tatsächlich bei der Evaluierung der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie herauskommt. Aber Sie haben natürlich recht: Es ist relativ unsinnig, eine Richtlinie in deutsches Recht zu übersetzen, von der man gar nicht weiß, ob sie nächstes Jahr noch so existiert, wie sie heute existiert.

    Gerd Breker: Allerdings: Die derzeitige Rechtslage nach europäischem Recht ist so, dass Ihre Ministerin eine Gesetzesvorlage mit einer anlasslosen Speicherung von personenbezogenen Daten auf sechs Monate vorlegen muss. Warum tut sie das nicht?

    Ahrendt: Weil wir gute Gründe haben, nicht das umzusetzen, was in Europa selbst sozusagen infrage steht. Das Bundesverfassungsgericht hat im März 2010 gesagt, dass die Vorratsdatenspeicherung, so wie sie mal auf der Grundlinie in Deutschland umgesetzt worden ist, keinen Bestand hat. Wir sagen, wenn wir mit einem anderen Verfahren, wo es um das schnelle Einfrieren von Daten geht, die Bürgerrechte besser schützen können und nicht einen Überwachungsstaat installieren, wo sich 80 Millionen beim Aufzeichnen ihrer Gesprächsverbindungen überwacht fühlen können, besser für Bürgerrechte unterwegs sind mit einem solchen Vorschlag, dann ist das der Weg. Das ist zwar nicht die hundertprozentige Umsetzung der Richtlinie, aber sie kommt wohl den Ermittlungsbehörden zupass als auch den Ansprüchen, die Bürgerrechte in Deutschland vernünftig zu schützen.

    Breker: Aber irgendwie, Herr Ahrendt, haben wir derzeit die seltsame Situation, dass eine amtierende Justizministerin sich nicht an geltendes europäisches Recht hält.

    Ahrendt: Ach, das tun wir woanders auch nicht. Mich wundert das. Ich habe ja schon vor Ostern kritisiert, dass sich die Union sehr darum bemüht hat, das Drohschreiben aus Brüssel zu erhalten, wo die Vertragsstrafe angekündigt wird. Erinnern Sie sich an Niedersachsen: Wir sind vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt wegen des VW-Gesetzes in Niedersachsen, da sind rund 50 Millionen Vertragsstrafe aufgelaufen inzwischen und keiner in der Bundesregierung oder in der niedersächsischen Landesregierung käme deswegen darauf, das VW-Gesetz in Niedersachsen abzuschaffen. Man muss sich von solchen Drohbriefen auch nicht bange machen lassen.

    Breker: Aber das führt dazu, dass geltendes Recht nicht umgesetzt wird, und dass von einer Justizministerin – ein seltsamer Geschmack bleibt da zurück.

    Ahrendt: Da bleibt auch gar kein seltsamer Geschmack zurück. Ich glaube, dass der Vorschlag, den die Justizministerin mit ihrem Gesetzentwurf gemacht hat, ein guter Vorschlag ist. Es ist schade, dass der Innenminister mit dem Vorschlag nicht zufrieden ist, in seiner Schmollecke bleibt und auf sechs Monaten Vorratsdatenspeicherung beharrt, obwohl die EU ihre eigene Richtlinie überarbeitet. Es wäre sinnvoller, den Mittelweg eines Quick-Freeze-Verfahrens zu gehen und der EU das als Teilumsetzung der Richtlinie anzubieten. Ich glaube auch, dann ist ein Vertragsverletzungsverfahren vom Tisch. Deswegen wäre es besser, wenn der Innenminister sich zu Gesprächen bereit erklären würde und nicht weiter in seiner Schmollecke bliebe.

    Breker: Sie haben es erwähnt: Es führt zu Streit in der schwarz-gelben Koalition, die Vorratsdatenspeicherung. Der Innenminister ist aber nicht alleine, auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter hält die Vorratsdatenspeicherung für notwendig. Quick Freeze käme zu spät.

    Ahrendt: Das ist so nicht richtig. Wir haben gerade in Dresden bei der Funkzellenabfrage gelernt, dass man über jetzt schon vorhandene Ermittlungstechniken sehr umfangreich an Verbindungsdaten herankommt. Das einzige Thema, wo man die Kritik aufnehmen könnte, ist bei der IP-Adresse im Internet. Da hat aber die Ministerin schon in ihrem Gesetzentwurf eine Speicherfrist von sieben Tagen angeboten. Über solche Speicherfristen wird man sicherlich in angemessenem Rahmen verhandeln können, weil IP-Adressen anders funktionieren als Telekommunikation, und insofern denke ich auch mal, sind wir da nicht borniert und unbeweglich. Aber sich hinzustellen und zu sagen, nur wenn ich meine sechs Monate Vorratsdatenspeicherung bekomme, rede ich überhaupt, ist auch nicht der richtige Weg. Insofern müssen sich die Minister an einen Tisch setzen und einen Kompromiss finden. Aber da ist der Innenminister gefordert und nicht die Justizministerin. Die Justizministerin hat einen sehr klugen Vorschlag vorgelegt.

    Breker: Kann es sein, Herr Ahrendt, dass der FDP dieser Streit angesichts der mauen Umfrage höchst willkommen ist, weil die FDP sich so als Anwältin von Bürgerrechten präsentieren kann?

    Ahrendt: Wir sind immer Anwälte von Bürgerrechten gewesen. Es ist auch die Justizministerin und auch andere Mitglieder unserer Fraktion gewesen, die damals gegen die Vorratsdatenspeicherrichtlinie geklagt haben. Wir haben die Große Koalition ausdrücklich gewarnt, das so umzusetzen, wie man es umgesetzt hat. Es waren CDU und SPD, die hier schlecht gearbeitet haben und vom Verfassungsgericht einkassiert worden sind mit der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherrichtlinie, und jetzt ist es klug, etwas zu finden, was den Interessen der Bürger gerecht wird. Die Bürger wollen nicht ausgespäht werden, sie wollen nicht, dass jede Telefonkommunikation aufgezeichnet wird, sie wollen aber auch, dass Straftaten aufgeklärt werden, und das Quick-Freeze-Verfahren, über das man verhandeln kann, ist ein kluger Ansatz auf diesem Weg. Insofern geht die Aufforderung an den Innenminister, zu sagen, wir verhandeln jetzt, komm heraus aus deiner Schmollecke und lass uns einen vernünftigen Kompromiss suchen. Das ist eine vernünftige Diskussion, das ist nicht unbedingt Streit, und ich glaube, das wäre der richtige Weg, den die Koalition jetzt gehen sollte.

    Breker: Halten Sie es, Herr Ahrendt, für sehr wahrscheinlich, dass vor dem FDP-Parteitag, vor den Wahlen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen, es einen Kompromiss in dieser Angelegenheit geben kann?

    Ahrendt: Das ist eine spannende Frage. Die Positionen sind ja derzeit sehr weit auseinander. Der Gesetzentwurf der Ministerin liegt seit nunmehr einem Jahr auf dem Tisch. Der Bundesinnenminister bewegt sich nicht, er hat jetzt in diesen Tagen mitgeteilt, er will sechs Monate die Vorratsdaten speichern, die die Menschen bei ihren Telefonaten hinterlassen. Das ist für uns 80 Millionen unter Generalverdacht stellen, das wollen wir nicht. Wir sind aber bereit, auf der Grundlage des Gesetzentwurfes der Ministerin Gespräche zu führen, und da muss sich jetzt der Innenminister bewegen.

    Armbrüster: So weit Christian Ahrendt, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, im Gespräch mit meinem Kollegen Gerd Breker, und der Bundesinnenminister und die Justizministerin kommen heute in Berlin noch einmal zusammen, um über die Vorratsdatenspeicherung zu beraten.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.