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FDP-Netzpolitiker nennt Verhalten von Lavabit "absolut ehrenhaft"

Die Reaktion des E-Mail-Dienstes Lavabit, lieber zu schließen, als Daten von Edward Snowden an die US-Regierung zu geben, sei achtenswert, sagt der FDP-Innenpolitiker Jimmy Schulz. Er fordert, E-Mails müssten stärker codiert werden.

Jimmy Schulz im Gespräch mit Christine Heuer | 09.08.2013
    Christine Heuer: In den USA haben zwei Internet-Dienste dichtgemacht. Einen davon soll Edward Snowden genutzt haben. Der Besitzer des Unternehmens macht dafür in einer spektakulären Stellungnahme die US-Regierung verantwortlich. Man muss seine Äußerungen so verstehen, dass Washington Druck auf den Dienstleister machte, um an seine Daten heranzukommen. Da habe er seinen Dienst lieber eingestellt, um sich nicht mitschuldig zu machen.

    Hierzulande kreist die Debatte über die US-Ausspähaktionen dieser Tage um die Frage, wer politisch verantwortlich ist für den massenhaften Datenzugriff der Amerikaner und ihre enge Zusammenarbeit mit dem BND. Schwarz-Gelb hat darauf eine einfache Antwort gefunden: es waren ihre Vorgänger, allen voran der Sozialdemokrat Frank-Walter Steinmeier. Die Debatte ist endgültig im Wahlkampf angelangt. Am Telefon begrüße ich den liberalen Innen- und Netzpolitiker Jimmy Schulz. Guten Tag!

    Jimmy Schulz: Ja, guten Tag!

    Heuer: Haben wir jetzt den Schuldigen gefunden, Herr Schulz? Ist Frank-Walter Steinmeier verantwortlich für die Affäre rund um NSA und BND?

    Schulz: So wie es momentan aussieht, trägt er jedenfalls eine wesentliche Mitverantwortung an dem, was wir heute alles erfahren müssen.

    Heuer: Rot-Grün hat eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit von BND und NSA unterschrieben, das stimmt ja. Aber was ist daran eigentlich so skandalös? Die Dienste arbeiten doch seit fünf Jahrzehnten zusammen.

    Schulz: Richtig ist, dass die Dienste zusammenarbeiten, und eine gewisse Art von Informationsaustausch halte ich auch für gerechtfertigt und für richtig. Aber dass hier – und so scheint es ja zu sein – massiv auch deutsche Staatsbürger bespitzelt und ausspioniert werden und wurden, und das mit ganz offensichtlich Zustimmung der deutschen Regierung Rot-Grün von damals, das ist natürlich schon eine Sache, die wir sehr kritisch zu betrachten haben.

    Heuer: Aber genau diesen Vorwurf im Blick spricht die SPD jetzt von Verleumdung und sagt unter anderem, dass das Ausspähen im jetzigen Umfang 2002 ja technisch noch gar nicht möglich gewesen sei. Sie sind unter anderem Experte für Neue Medien. Wollen Sie der SPD in diesem Punkt widersprechen, Herr Schulz?

    Schulz: Na ja, Steinmeier hat zum Beispiel gesagt, dass vor zehn Jahren Facebook gar nicht in diesem Umfang ausspioniert werden hätte können. Das ist richtig, damals gab es Facebook noch gar nicht.

    Heuer: Es gab auch andere technische Möglichkeiten noch nicht.

    Schulz: Damals war auch der Internet-Verkehr bei Weitem nicht so umfangreich, wie er heute ist. Die Behauptung, dass das damals technisch nicht möglich gewesen sein soll, halte ich für eine Behauptung, die er noch nicht bewiesen hat. Ich glaube, dass das damals sehr wohl in einem sehr großen Umfang auch schon möglich war und dass ihm das damals hätte genauso bewusst sein müssen wie heute.

    Heuer: Und Schwarz-Gelb hätte eine solche Vereinbarung weiland nicht unterzeichnet?

    Schulz: Ich habe von einer solchen Vereinbarung auch jetzt erst in den letzten Tagen erfahren und ich halte das für einen handfesten Skandal. Ich hätte persönlich niemals einer solchen Vereinbarung zugestimmt.

    Heuer: Wieso kündigt dann Schwarz-Gelb diese Vereinbarung nicht auf, oder hat das in der Vergangenheit getan?

    Schulz: Ich kenne diese Vereinbarung ja noch gar nicht. Das sollte doch jetzt erst mal auf den Tisch gelegt werden und dann muss man darüber entscheiden. Aber ich würde einer solchen Vereinbarung nicht zustimmen.

    Heuer: Sie kennen die Vereinbarung nicht, die Bundesregierung sehr wohl. Hat die Ihnen bisher Auskunft darüber gegeben, vor der Bemerkung über Herrn Steinmeier diese Woche?

    Schulz: Eine solche Vereinbarung, dass die deutschen Geheimdienste dort Daten weitergeben von Ausländern, das habe ich sehr wohl gehört. Dass aber dabei wohl auch Daten von Deutschen betroffen sein könnten, das war mir bisher nicht bekannt.

    Heuer: Und Ihnen ist auch nicht bekannt, ob die Vereinbarung von 2002 in den letzten elf Jahren vielleicht auch mal erneuert, erweitert oder ergänzt wurde?

    Schulz: Darüber habe ich keine Informationen.

    Heuer: Und woher wollen Sie die jetzt bekommen?

    Schulz: Das wäre ja dann der Punkt. Deswegen hat ja Philipp Rösler, der Wirtschaftsminister, auch darum gebeten, dass Frank-Walter Steinmeier am Montag im Parlamentarischen Kontrollgremium erscheinen soll und darüber offen Auskunft geben muss.

    Heuer: Aber die aktuelle Bundesregierung, die lassen Sie da außen vor, von der verlangen Sie keine weitere Aufklärung. Verstehe ich das richtig? Das kann doch nicht sein!

    Schulz: Nein! Ich erwarte komplette Transparenz in dieser Sache. Gerade als Parlamentarier bestehe ich auf meinem Recht, dass ich erfahre, was da gemacht wird, welche Verträge es gibt, welche Abkommen es gibt, und dann will ich auf Basis dieser Informationen entscheiden, wo unsere Grenzen sind, und diese Grenzen sind für uns Deutsche ja relativ klar. Wir erlauben das nicht, dass flächendeckend alle komplett überwacht werden.

    Heuer: Herr Schulz, die Frage spitzt sich ja in diesen Tagen in der Diskussion über Frank-Walter Steinmeier auch auf die Frage zu, ob Schwarz-Gelb das Thema nicht einfach benutzt, um Wahlkampf gegen die SPD zu machen.

    Schulz: Wir haben das Thema ja nun nicht aufgebracht, sondern auch gerade die Opposition hat das Thema ja sehr hochgespielt, und jetzt wundern sie sich, dass sie plötzlich in der Verantwortung stehen, weil sie das damals eingeführt haben. Das halte ich schon für sehr fragwürdig, erst ein Thema in den Wahlkampf einzuführen und dann zu sagen, ach ne, wenn wir jetzt vielleicht selber daran schuld waren, dann ist es vielleicht doch eher nicht so unser Thema.

    Heuer: Sie haben mehrfach eigentlich ja auch die entscheidende Frage in der ganzen Debatte angesprochen. Die lautet ja: spähen die USA massenhaft Deutsche aus? Verantwortlich ist im Moment die schwarz-gelbe Bundesregierung. Die hat zwei Monate Zeit gehabt, diese Frage zu beantworten, aber sie hat sie nicht beantwortet.

    Schulz: Nun, weil mir und vielen anderen auch, glaube ich, ein Großteil an Informationen noch nicht vorliegen. Wir haben ja …

    Heuer: Der Regierung liegen die Informationen nicht vor? Das wäre aber verheerend.

    Schulz: Das weiß ich nicht, ich bin ja nicht Mitglied der Regierung. Aber ich hatte den Eindruck, dass ich Informationen nur scheibchenweise bekomme und auch nicht immer und überall die komplette Wahrheit erzählt bekommen habe von allen Beteiligten. Natürlich insbesondere auch von den Amerikanern, auch von den Briten scheint es mir, immer noch nicht die nötige Transparenz zu geben, und hier müssen wir jetzt ansetzen. Das ist aber auch eine Forderung, die ich schon seit Wochen erhebe: vollkommene Aufklärung der Tatbestände. Und dann müssen wir schauen, dass wir international zu einer Regelung kommen, insbesondere unter Freunden – da finde ich den Gedanken vom ehemaligen BND-Präsidenten Geiger sehr gut, was ich auch schon gefordert habe, hier eine Art Intelligence Codex einzuführen, sodass wenigstens unter Freunden klar ist, unter welchen Regeln wir etwas dulden und unter welchen Regeln wir etwas eben nicht dulden.

    Heuer: Das Schweigen der Bundesregierung auf viele wichtige Fragen in der ganzen Debatte, irritiert Sie das nicht? Haben Sie nicht den Eindruck, da auch hinters Licht geführt zu werden?

    Schulz: Ich hatte hier nicht den Eindruck, dass die Bundesregierung schweigt, sondern ganz im Gegenteil. Gerade die Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger und auch der Fraktionsvorsitzende und der Wirtschaftsminister haben ja schon sehr früh mit ihrem 13-Punkte-Plan sehr klar und deutlich gemacht, was wir davon halten, und auch die Initiative von Philipp Rösler der letzten Tage zeigt sehr deutlich, dass wir reagieren, dass wir ganz klar jetzt hier Aufklärung haben wollen, haben müssen.

    Heuer: Und mit Ronald Pofalla sind Sie genauso zufrieden?

    Schulz: Da muss man mal am Ende klären, wie viel er dann am Ende wusste und was er wusste und ob er irgendwo, irgendwann was gesagt hat. Aber ich glaube, wir sollten jetzt erst mal aufklären, was ist denn jetzt eigentlich Sache, und dann sollten wir gucken, wie können wir das so wieder zurückfahren, dass das auf dem Boden des Grundgesetzes, auf dem Boden der deutschen Gesetze stattfindet.

    Heuer: Herr Schulz, eine Meldung von heute ist, dass in den USA verschlüsselte E-Mail-Dienste dichtmachen mussten, unter anderem der Dienst Lavabit, und da ist die Rede davon, dass die US-Regierung Druck ausgeübt habe, um an Daten unter anderem von Edward Snowden zu gelangen. Wie bewerten Sie das?

    Schulz: Wenn sich das bewahrheiten sollte - ich habe gerade die Website von Lavabit gelesen -, dann halte ich das Verhalten des Chefs von Lavabit für absolut ehrenhaft zu sagen, bevor ich diese Daten rausgebe, schließe ich lieber meinen Dienst. Ich halte das für extrem bemerkenswert und achtenswert.

    Heuer: Welche Folgen müssen daraus gezogen werden?

    Schulz: Wir müssen noch besser verschlüsseln, sodass ein Provider nicht unter Druck gesetzt werden kann, irgendwelche Daten herauszugeben, sondern wenn die Daten wirklich Ende zu Ende verschlüsselt werden – und das ist auch eine Forderung an alle Beteiligten -, dann hat auch ein Provider nicht die Chance, Daten herauszugeben, die irgendwie kompromittierend wären, weil sie nicht entschlüsselt werden können, und das ist genau der Punkt. Da kann er dann auch nicht mehr unter Druck gesetzt werden, etwas herauszugeben, weil die Daten sind dann, falls er sie herausgeben sollte, nutzlos.

    Heuer: Der liberale Innen- und Netzpolitiker Jimmy Schulz war das im Interview mit dem Deutschlandfunk. Ich bedanke mich sehr für das Gespräch, Herr Schulz.

    Schulz: Danke!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.