Jürgen Liminski: Die CDU hat sich auf ein Konzept zur Einführung einer allgemein verbindlichen Lohnuntergrenze geeinigt, so heißt es. Die Untergrenze – andere würden sagen, der Mindestlohn. Das ist de facto eine neue Position. Vor einigen Jahren klang das noch anders.
O-Ton Angela Merkel: "Mit der Union – jetzt spreche ich einfach mal als Parteivorsitzende – wird es flächendeckende gesetzliche Mindestlöhne nicht geben."
Liminski: Bundeskanzlerin Merkel im Jahr 2007, und gestern Abend erklärte die neue Position die Arbeitsministerin von der Leyen in der "Tagesschau" so:
O-Ton Ursula von der Leyen: "Wir sind überzeugt, dass es faire Löhne geben muss, die keine Arbeitsplätze zerstören. Das können Arbeitgeber und Gewerkschaften am besten aushandeln. Aber die fairen Löhne, die Lohnuntergrenze, die das sichert, die muss auch in den weißen Flecken da sein, da wo kein Tarifvertrag schützt."
Liminski: Die Arbeitsministerin von der Leyen. – Wie sieht das nun die FDP? Parteichef Rösler sagte, für die Koalition ändert sich nichts. Ist das wirklich so? Droht hier gar ein neuer Koalitionskrach? - Zu Fragen rund um den Mindestlohn begrüße ich den arbeitspolitischen Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Johannes Vogel. Guten Morgen, Herr Vogel.
Johannes Vogel: Guten Morgen, Herr Liminski.
Liminski: Herr Vogel, was sagen Sie zu der Terminologie in der Union? Ist das nun ein Mindestlohn, den die Union da vorschlägt, oder wieder nur ein Zwischenkonzept?
Vogel: Nein. Das, was die Union da gestern vorgelegt hat, das ist zwar immer noch an vielen Stellen, ich würde sagen, widersprüchlich bis unklar. Die Verwirrung, die da auf dem Parteitag eingesetzt hat, die haben sie hier weiter ausdifferenziert, nicht wirklich geklärt. Aber der entscheidende Punkt ist: Es ist in jedem Fall, was dort vorgeschlagen wird, eine Zentralkommission für einen einheitlichen flächendeckenden Mindestlohn in Deutschland, und das hat all die negativen Effekte und Gefahren, gerade für den Einstieg von gering Qualifizierten, von Jüngeren auf dem Arbeitsmarkt, die ein gesetzlicher Mindestlohn eben mit sich bringt.
Liminski: Sehen Sie hier Konfliktstoff mit der FDP, also in der Koalition?
Vogel: Na ja, wir haben ja einen Koalitionsvertrag, wo ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn klipp und klar abgelehnt wird. Also ich würde das hier eher vor dem Hintergrund auch des Wahlkampfes in Nordrhein-Westfalen und anderswo – Herr Laumann war ja hier auch eine treibende Kraft – sehen. Die Union hat bis heute nicht erklärt, gerade für die weißen Flecken, was wir für die weißen Flecken anders brauchen als heute.
Man muss sich ja noch mal vergegenwärtigen, was wollen wir am Arbeitsmarkt. Wir wollen ja faire Löhne in der Tat, allerdings für drei Gruppen, einerseits für die Arbeitnehmer, andererseits für die Arbeitgeber, aber auch für die Arbeitsuchenden, also auch die, die erst noch auf den Arbeitsmarkt wollen, und da ist die deutsche Tarifautonomie in der Tat ganz zentral. Man kann auch sagen, das ist das Herz des deutschen Jobwunders und damit muss man sorgsam umgehen. Heute ist das System ja so: Wir haben den Regelfall von auskömmlichen Löhnen per Tarifvertrag und dann gibt es ja heute schon die Möglichkeit, dass wir in einzelnen Branchen, wo es vielleicht ein Lohnproblem gibt, dass wir dort Lohnuntergrenzen für diese Branche, die von den Tarifpartnern für die Branchen, die konkret betroffen sind, ausgehandelt sind, für allgemein verbindlich erklären können. Und für die weißen Flecken gibt es heute auch schon noch eine Auffangregelung, nämlich das Mindestarbeitsbedingungengesetz, und inwiefern das nicht ausreicht, diese kluge Systematik, die sozusagen die Vorteile der deutschen Tarifautonomie erhält, nämlich die Politik ist raus und es ist differenziert nach Branchen, das hat die Union bis heute nicht erklärt und eine solche Zentralkommission würde in meinen Augen eben gerade die Perspektiven von vielen Menschen auf dem Arbeitsmarkt sehr gefährden und deshalb würde ich das eher als einen Wahlkampfvorstoß betrachten wollen.
Liminski: Wenn ich das recht verstehe, Herr Vogel, dann sehen Sie hier noch Klärungsbedarf. Werden Sie deswegen auf die Union zugehen, oder lassen Sie die Union kommen?
Vogel: Nein. Es ist ja in einer Koalition völlig normal, dass Parteien unterschiedliche Positionen haben. Man gibt ja nicht seine unterschiedlichen Positionen vollständig auf, man einigt sich auf eine gemeinsame Grundlage. Und entgegen allen Gerüchten funktioniert die Zusammenarbeit hier auch auf Fachebene in der Koalition sehr gut. Das heißt, wir reden über alles. Aber an der Stelle sehe ich keinen Handlungsbedarf und die Union hat wie gesagt auch nicht erklärt, was es denn über das, was wir heute schon haben, von der Möglichkeit, allgemein verbindliche Lohnuntergrenzen für einzelne Branchen festzulegen, bis hin zum Mindestarbeitsbedingungengesetz, was es darüber hinaus benötigt. Und der Vorschlag gestern ist da wie gesagt nicht überzeugend. Eine solche Zentralkommission würde zu einem führen, nämlich dass wir am Ende doch einen einheitlichen Mindestlohn haben von Aachen bis Cottbus und von Flensburg bis Konstanz über alle Regionen, und das ist genau das, wo uns gerade noch mal die OECD bestätigt hat in den letzten Wochen und Monaten, dass das in ganz vielen Ländern in Europa, wo es das gibt, eben Einstiegschancen auf den Arbeitsmarkt kaputtmacht. Das ist, glaube ich, nicht die richtige Antwort.
Liminski: Im Koalitionsvertrag ist ein gesetzlicher Mindestlohn nicht vorgesehen.
Vogel: Eben! Sogar ausgeschlossen!
Liminski: Sogar ausgeschlossen. Aber wenn die CDU nun doch ein Gesetz in den Bundestag einbringt, also auch nach den Landtagswahlen, ist das dann der Ernstfall, steht dann ein Koalitionskrach ins Haus?
Vogel: Nein, davon müssen Sie nicht ausgehen. Das wird die Union ja nicht tun, sondern Gesetze bringt man in einer Koalition ja gemeinsam ein. Und wie gesagt: Angesichts der Tatsache, dass die Union das mit der Notwendigkeit, auf vermeintliche weiße Flecken zu reagieren, begründet ihren Vorstoß, gleichzeitig aber nicht erklärt, weil es eben keine gute Erklärung gibt, inwiefern wir da mehr brauchen, als wir heute schon haben, würde ich das wirklich eher als eine Wahlkampfinitiative betrachten.
Liminski: Aber das kann ja auch eine Wahlkampfinitiative sein für die Bundestagswahl.
Vogel: Na ja, auch für die Bundestagswahl dürfen sich Parteien ja unterschiedlich aufstellen. Also man tritt ja nicht mit identischer Programmatik zu Wahlen an. Das ist auch normal in der Politik. Parteien fusionieren ja nicht, sondern sie schließen eine Koalition mit gemeinsamer Grundlage. Die Grundlage, wie gesagt, für diese Legislaturperiode ist der Koalitionsvertrag und da steht drin, einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn gibt es nicht. Und wie gesagt, das darf man ja auch nicht vergessen, die Kanzlerin hat es eingangs gesagt: aus guten Gründen. Denn wir müssen am Arbeitsmarkt immer die Interessen von allen Beteiligten im Blick haben, und gerade in einer Zeit, wo wir gerade vielen Geringqualifizierten jetzt erstmalig wieder eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt geben und gleichzeitig Instrumente haben, um wirkliche Niedriglöhne, Dumpinglöhne in einzelnen Fällen auszuschließen, im Rahmen der deutschen Tarifautonomie, da sollten wir doch dieses Erfolgsmodell nicht wegwerfen.
Liminski: Also um das klar zu haben, Herr Vogel: Sie rechnen nicht mit einem Gesetzentwurf vor der Bundestagswahl?
Vogel: Damit rechne ich nicht, nein.
Liminski: Ihre Position ist im wahrsten Sinne des Wortes, könnte man sagen, ein Alleinstellungsmerkmal. Wie wollen Sie das denn durchhalten auch im europäischen Kontext? In vielen europäischen Ländern gibt es ja Mindestlöhne.
Vogel: Ja, nicht in allen Ländern. Im europäischen Kontext gibt es sehr unterschiedliche Aufstellungen, und gerade das bestärkt mich darin. Ich habe es ja eben schon mal angesprochen, ist ganz interessant. Vor wenigen Wochen hat die OECD noch mal analysiert, wie Mindestlöhne jetzt gerade in der schwierigen Arbeitsmarktlage, in der Krise, teilweise in den eigenen Ländern aus der Krise kommend wie in Deutschland, wie sich hier Mindestlöhne, also einheitliche gesetzliche Mindestlöhne auswirken, und das ist auch das Ergebnis dessen, was die Union jetzt hier vorschlägt. Und da zeigt sich eben, dass gerade was die Einstiegschancen von jüngeren und von geringer Qualifizierten auf dem Arbeitsmarkt angeht, diese Löhne eben geradezu fatal wirken. Sie bauen hohe Mauern um den Arbeitsmarkt herum, und genau das wollen wir nicht. Wir wollen doch, dass alle Menschen eine Chance haben, auf dem Arbeitsmarkt einzusteigen und dann auch aufzusteigen, und insofern bestärkt mich gerade der europäische Kontext darin, dass der deutsche Weg wie übrigens auch der skandinavische Weg der Tarifautonomie, das heißt die Lohnfindung bleibt in den Händen der Tarifpartner, dass der der bessere ist.
Liminski: In vielen Ländern Europas wird weniger Stunden gearbeitet als in Deutschland. Dennoch haben diese Länder einen Mindestlohn. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Mindestlohn und Arbeitszeit?
Vogel: Nein. Ich sehe einen Zusammenhang zwischen Mindestlohn und Arbeitslosigkeit. Der ist sogar, wenn Sie zum Beispiel nach Frankreich schauen, klar feststellbar, dass da teilweise insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit mit der Veränderung der Mindestlohnhöhe über die letzten Jahre, wo da immer wieder politisch eingegriffen wurde – wenn es einmal sozusagen in der Hand der Politik ist oder in der Hand einer Zentralkommission ist, dann muss man eben auch Einflussnahmen in der Zukunft hier befürchten, dann ist es eben aus der Hand der Tarifpartner raus -, dass wir da auch einen klaren Bezug eben dieser Mindestlohnbeeinflussung zur Jugendarbeitslosigkeit haben. Das macht mir Sorgen. Ich sehe natürlich, was die Arbeitszeit angeht, einen Bezug zur Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland. Wir sehen ja, dass eben der französische Weg, beispielsweise auf Arbeitszeitverkürzungen zu setzen, in den letzten Jahren bei der Frage der Wettbewerbsfähigkeit nicht hilft, und insofern fühle ich mich, sowohl was die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, als auch was die Perspektiven der Menschen auf dem Arbeitsmarkt angeht, bestätigt zu sagen, das deutsche Modell – und da ist Tarifautonomie ein ganz wesentlicher Bestandteil -, das ist doch ein Erfolgsmodell. Die ganze Welt schaut neidisch auf unseren Arbeitsmarkt. Da sollten wir wesentliche Elemente, die ihn ausmachen, eben die das Herz des Jobwunders auch ausmachen in meinen Augen, an denen jetzt nicht herumdoktern.
Liminski: Sie sind gegen einen flächendeckenden Mindestlohn. Nun haben wir auch eine ganz andere Debatte hierzulande, nämlich über Managergehälter. Sind Sie auch gegen Höchstlöhne?
Vogel: Na ja, ich bin für Freiheit und ich glaube, der Staat sollte sich aus der Lohnfindung ganz allgemein heraushalten. Ich glaube aber, dass wir bei Managergehältern in der Tat die Situation haben, dass es Menschen gibt, die sagen, das ist für uns nicht völlig transparent, wie diese Löhne entstehen, und ich halte die von den Liberalen in der Vergangenheit ja schon vorgebrachte Idee für eine kluge, zu sagen, wir sollten die Lohnfindung von Managergehältern nicht in den Aufsichtsrat, wo ja teilweise dann auch alte Netzwerke bestehen, teilweise Leute früher in Vorständen waren, dann in den Aufsichtsrat wechseln, nicht dort entscheiden lassen, sondern in der jeweiligen Hauptversammlung durch alle Aktionäre. Ich glaube, das würde erstens Transparenz schaffen und diejenigen, die von der Leistung des Unternehmens dann profitieren, neben den Beschäftigten, würden hier mitreden. Ich glaube, das würde die Debatte um Managergehälter enorm entspannen und wäre hier eine gute austarierte Lösung, ohne dass wir staatlicherseits Freiheiten nehmen und staatlicherseits in die Lohnfindung (an welcher Stelle auch immer) eingreifen.
Liminski: Die Mindestlohndebatte nimmt wieder Fahrt auf - das war hier im Deutschlandfunk der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Johannes Vogel. Besten Dank für das Gespräch, Herr Vogel.
Vogel: Danke Ihnen, Herr Liminski! Schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
FDP sagt Nein zum Mindestlohn - Neuer Zoff in der Koalition vorprogrammiert?
O-Ton Angela Merkel: "Mit der Union – jetzt spreche ich einfach mal als Parteivorsitzende – wird es flächendeckende gesetzliche Mindestlöhne nicht geben."
Liminski: Bundeskanzlerin Merkel im Jahr 2007, und gestern Abend erklärte die neue Position die Arbeitsministerin von der Leyen in der "Tagesschau" so:
O-Ton Ursula von der Leyen: "Wir sind überzeugt, dass es faire Löhne geben muss, die keine Arbeitsplätze zerstören. Das können Arbeitgeber und Gewerkschaften am besten aushandeln. Aber die fairen Löhne, die Lohnuntergrenze, die das sichert, die muss auch in den weißen Flecken da sein, da wo kein Tarifvertrag schützt."
Liminski: Die Arbeitsministerin von der Leyen. – Wie sieht das nun die FDP? Parteichef Rösler sagte, für die Koalition ändert sich nichts. Ist das wirklich so? Droht hier gar ein neuer Koalitionskrach? - Zu Fragen rund um den Mindestlohn begrüße ich den arbeitspolitischen Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Johannes Vogel. Guten Morgen, Herr Vogel.
Johannes Vogel: Guten Morgen, Herr Liminski.
Liminski: Herr Vogel, was sagen Sie zu der Terminologie in der Union? Ist das nun ein Mindestlohn, den die Union da vorschlägt, oder wieder nur ein Zwischenkonzept?
Vogel: Nein. Das, was die Union da gestern vorgelegt hat, das ist zwar immer noch an vielen Stellen, ich würde sagen, widersprüchlich bis unklar. Die Verwirrung, die da auf dem Parteitag eingesetzt hat, die haben sie hier weiter ausdifferenziert, nicht wirklich geklärt. Aber der entscheidende Punkt ist: Es ist in jedem Fall, was dort vorgeschlagen wird, eine Zentralkommission für einen einheitlichen flächendeckenden Mindestlohn in Deutschland, und das hat all die negativen Effekte und Gefahren, gerade für den Einstieg von gering Qualifizierten, von Jüngeren auf dem Arbeitsmarkt, die ein gesetzlicher Mindestlohn eben mit sich bringt.
Liminski: Sehen Sie hier Konfliktstoff mit der FDP, also in der Koalition?
Vogel: Na ja, wir haben ja einen Koalitionsvertrag, wo ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn klipp und klar abgelehnt wird. Also ich würde das hier eher vor dem Hintergrund auch des Wahlkampfes in Nordrhein-Westfalen und anderswo – Herr Laumann war ja hier auch eine treibende Kraft – sehen. Die Union hat bis heute nicht erklärt, gerade für die weißen Flecken, was wir für die weißen Flecken anders brauchen als heute.
Man muss sich ja noch mal vergegenwärtigen, was wollen wir am Arbeitsmarkt. Wir wollen ja faire Löhne in der Tat, allerdings für drei Gruppen, einerseits für die Arbeitnehmer, andererseits für die Arbeitgeber, aber auch für die Arbeitsuchenden, also auch die, die erst noch auf den Arbeitsmarkt wollen, und da ist die deutsche Tarifautonomie in der Tat ganz zentral. Man kann auch sagen, das ist das Herz des deutschen Jobwunders und damit muss man sorgsam umgehen. Heute ist das System ja so: Wir haben den Regelfall von auskömmlichen Löhnen per Tarifvertrag und dann gibt es ja heute schon die Möglichkeit, dass wir in einzelnen Branchen, wo es vielleicht ein Lohnproblem gibt, dass wir dort Lohnuntergrenzen für diese Branche, die von den Tarifpartnern für die Branchen, die konkret betroffen sind, ausgehandelt sind, für allgemein verbindlich erklären können. Und für die weißen Flecken gibt es heute auch schon noch eine Auffangregelung, nämlich das Mindestarbeitsbedingungengesetz, und inwiefern das nicht ausreicht, diese kluge Systematik, die sozusagen die Vorteile der deutschen Tarifautonomie erhält, nämlich die Politik ist raus und es ist differenziert nach Branchen, das hat die Union bis heute nicht erklärt und eine solche Zentralkommission würde in meinen Augen eben gerade die Perspektiven von vielen Menschen auf dem Arbeitsmarkt sehr gefährden und deshalb würde ich das eher als einen Wahlkampfvorstoß betrachten wollen.
Liminski: Wenn ich das recht verstehe, Herr Vogel, dann sehen Sie hier noch Klärungsbedarf. Werden Sie deswegen auf die Union zugehen, oder lassen Sie die Union kommen?
Vogel: Nein. Es ist ja in einer Koalition völlig normal, dass Parteien unterschiedliche Positionen haben. Man gibt ja nicht seine unterschiedlichen Positionen vollständig auf, man einigt sich auf eine gemeinsame Grundlage. Und entgegen allen Gerüchten funktioniert die Zusammenarbeit hier auch auf Fachebene in der Koalition sehr gut. Das heißt, wir reden über alles. Aber an der Stelle sehe ich keinen Handlungsbedarf und die Union hat wie gesagt auch nicht erklärt, was es denn über das, was wir heute schon haben, von der Möglichkeit, allgemein verbindliche Lohnuntergrenzen für einzelne Branchen festzulegen, bis hin zum Mindestarbeitsbedingungengesetz, was es darüber hinaus benötigt. Und der Vorschlag gestern ist da wie gesagt nicht überzeugend. Eine solche Zentralkommission würde zu einem führen, nämlich dass wir am Ende doch einen einheitlichen Mindestlohn haben von Aachen bis Cottbus und von Flensburg bis Konstanz über alle Regionen, und das ist genau das, wo uns gerade noch mal die OECD bestätigt hat in den letzten Wochen und Monaten, dass das in ganz vielen Ländern in Europa, wo es das gibt, eben Einstiegschancen auf den Arbeitsmarkt kaputtmacht. Das ist, glaube ich, nicht die richtige Antwort.
Liminski: Im Koalitionsvertrag ist ein gesetzlicher Mindestlohn nicht vorgesehen.
Vogel: Eben! Sogar ausgeschlossen!
Liminski: Sogar ausgeschlossen. Aber wenn die CDU nun doch ein Gesetz in den Bundestag einbringt, also auch nach den Landtagswahlen, ist das dann der Ernstfall, steht dann ein Koalitionskrach ins Haus?
Vogel: Nein, davon müssen Sie nicht ausgehen. Das wird die Union ja nicht tun, sondern Gesetze bringt man in einer Koalition ja gemeinsam ein. Und wie gesagt: Angesichts der Tatsache, dass die Union das mit der Notwendigkeit, auf vermeintliche weiße Flecken zu reagieren, begründet ihren Vorstoß, gleichzeitig aber nicht erklärt, weil es eben keine gute Erklärung gibt, inwiefern wir da mehr brauchen, als wir heute schon haben, würde ich das wirklich eher als eine Wahlkampfinitiative betrachten.
Liminski: Aber das kann ja auch eine Wahlkampfinitiative sein für die Bundestagswahl.
Vogel: Na ja, auch für die Bundestagswahl dürfen sich Parteien ja unterschiedlich aufstellen. Also man tritt ja nicht mit identischer Programmatik zu Wahlen an. Das ist auch normal in der Politik. Parteien fusionieren ja nicht, sondern sie schließen eine Koalition mit gemeinsamer Grundlage. Die Grundlage, wie gesagt, für diese Legislaturperiode ist der Koalitionsvertrag und da steht drin, einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn gibt es nicht. Und wie gesagt, das darf man ja auch nicht vergessen, die Kanzlerin hat es eingangs gesagt: aus guten Gründen. Denn wir müssen am Arbeitsmarkt immer die Interessen von allen Beteiligten im Blick haben, und gerade in einer Zeit, wo wir gerade vielen Geringqualifizierten jetzt erstmalig wieder eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt geben und gleichzeitig Instrumente haben, um wirkliche Niedriglöhne, Dumpinglöhne in einzelnen Fällen auszuschließen, im Rahmen der deutschen Tarifautonomie, da sollten wir doch dieses Erfolgsmodell nicht wegwerfen.
Liminski: Also um das klar zu haben, Herr Vogel: Sie rechnen nicht mit einem Gesetzentwurf vor der Bundestagswahl?
Vogel: Damit rechne ich nicht, nein.
Liminski: Ihre Position ist im wahrsten Sinne des Wortes, könnte man sagen, ein Alleinstellungsmerkmal. Wie wollen Sie das denn durchhalten auch im europäischen Kontext? In vielen europäischen Ländern gibt es ja Mindestlöhne.
Vogel: Ja, nicht in allen Ländern. Im europäischen Kontext gibt es sehr unterschiedliche Aufstellungen, und gerade das bestärkt mich darin. Ich habe es ja eben schon mal angesprochen, ist ganz interessant. Vor wenigen Wochen hat die OECD noch mal analysiert, wie Mindestlöhne jetzt gerade in der schwierigen Arbeitsmarktlage, in der Krise, teilweise in den eigenen Ländern aus der Krise kommend wie in Deutschland, wie sich hier Mindestlöhne, also einheitliche gesetzliche Mindestlöhne auswirken, und das ist auch das Ergebnis dessen, was die Union jetzt hier vorschlägt. Und da zeigt sich eben, dass gerade was die Einstiegschancen von jüngeren und von geringer Qualifizierten auf dem Arbeitsmarkt angeht, diese Löhne eben geradezu fatal wirken. Sie bauen hohe Mauern um den Arbeitsmarkt herum, und genau das wollen wir nicht. Wir wollen doch, dass alle Menschen eine Chance haben, auf dem Arbeitsmarkt einzusteigen und dann auch aufzusteigen, und insofern bestärkt mich gerade der europäische Kontext darin, dass der deutsche Weg wie übrigens auch der skandinavische Weg der Tarifautonomie, das heißt die Lohnfindung bleibt in den Händen der Tarifpartner, dass der der bessere ist.
Liminski: In vielen Ländern Europas wird weniger Stunden gearbeitet als in Deutschland. Dennoch haben diese Länder einen Mindestlohn. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Mindestlohn und Arbeitszeit?
Vogel: Nein. Ich sehe einen Zusammenhang zwischen Mindestlohn und Arbeitslosigkeit. Der ist sogar, wenn Sie zum Beispiel nach Frankreich schauen, klar feststellbar, dass da teilweise insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit mit der Veränderung der Mindestlohnhöhe über die letzten Jahre, wo da immer wieder politisch eingegriffen wurde – wenn es einmal sozusagen in der Hand der Politik ist oder in der Hand einer Zentralkommission ist, dann muss man eben auch Einflussnahmen in der Zukunft hier befürchten, dann ist es eben aus der Hand der Tarifpartner raus -, dass wir da auch einen klaren Bezug eben dieser Mindestlohnbeeinflussung zur Jugendarbeitslosigkeit haben. Das macht mir Sorgen. Ich sehe natürlich, was die Arbeitszeit angeht, einen Bezug zur Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland. Wir sehen ja, dass eben der französische Weg, beispielsweise auf Arbeitszeitverkürzungen zu setzen, in den letzten Jahren bei der Frage der Wettbewerbsfähigkeit nicht hilft, und insofern fühle ich mich, sowohl was die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, als auch was die Perspektiven der Menschen auf dem Arbeitsmarkt angeht, bestätigt zu sagen, das deutsche Modell – und da ist Tarifautonomie ein ganz wesentlicher Bestandteil -, das ist doch ein Erfolgsmodell. Die ganze Welt schaut neidisch auf unseren Arbeitsmarkt. Da sollten wir wesentliche Elemente, die ihn ausmachen, eben die das Herz des Jobwunders auch ausmachen in meinen Augen, an denen jetzt nicht herumdoktern.
Liminski: Sie sind gegen einen flächendeckenden Mindestlohn. Nun haben wir auch eine ganz andere Debatte hierzulande, nämlich über Managergehälter. Sind Sie auch gegen Höchstlöhne?
Vogel: Na ja, ich bin für Freiheit und ich glaube, der Staat sollte sich aus der Lohnfindung ganz allgemein heraushalten. Ich glaube aber, dass wir bei Managergehältern in der Tat die Situation haben, dass es Menschen gibt, die sagen, das ist für uns nicht völlig transparent, wie diese Löhne entstehen, und ich halte die von den Liberalen in der Vergangenheit ja schon vorgebrachte Idee für eine kluge, zu sagen, wir sollten die Lohnfindung von Managergehältern nicht in den Aufsichtsrat, wo ja teilweise dann auch alte Netzwerke bestehen, teilweise Leute früher in Vorständen waren, dann in den Aufsichtsrat wechseln, nicht dort entscheiden lassen, sondern in der jeweiligen Hauptversammlung durch alle Aktionäre. Ich glaube, das würde erstens Transparenz schaffen und diejenigen, die von der Leistung des Unternehmens dann profitieren, neben den Beschäftigten, würden hier mitreden. Ich glaube, das würde die Debatte um Managergehälter enorm entspannen und wäre hier eine gute austarierte Lösung, ohne dass wir staatlicherseits Freiheiten nehmen und staatlicherseits in die Lohnfindung (an welcher Stelle auch immer) eingreifen.
Liminski: Die Mindestlohndebatte nimmt wieder Fahrt auf - das war hier im Deutschlandfunk der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Johannes Vogel. Besten Dank für das Gespräch, Herr Vogel.
Vogel: Danke Ihnen, Herr Liminski! Schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
FDP sagt Nein zum Mindestlohn - Neuer Zoff in der Koalition vorprogrammiert?