Die Griechen hätten schon viel getan, müssten aber noch mehr tun, "damit sie wieder auf einen Wachstumspfad kommen", sagte Theurer im Deutschlandfunk. Da man in Griechenland die Sparaufgaben als "Diktat aus Brüssel" empfinde, "sollte man vom Ton her gemäßigt auftreten, in der Sache aber hart bleiben".
Einen Schuldenschnitt sieht der FDP-Politiker skeptisch: Dieser sei gar nicht so einfach. "Man könnte sich vielleicht einen stufenweisen Schuldenschnitt vorstellen", so Theurer, dieser könnte aber den Reformprozess in Griechenland riskieren. Je nach Höhe des Schuldenschnitts drohe alleine Deutschland ein Ausfall von 80 bis 100 Milliarden, "das wären Belastungen, die auf den Steuerzahler zukommen".
Das Interview in voller Länge:
Dirk Müller: Nicht nur die EU-Kommission in Brüssel erwägt offenbar, den Griechen Milliarden von Schulden zu erlassen - unser Thema nun mit dem FDP-Europaabgeordneten Michael Theurer. Er ist im Europäischen Parlament zuständig für Haushaltskontrolle, Währungs- und Wirtschaftspolitik. Guten Morgen!
Michael Theurer: Guten Morgen.
Müller: Herr Theurer, müssen wir das Portemonnaie öffnen?
Theurer: Die Bundesrepublik, die deutschen Steuerzahler, und auch die anderen Steuerzahler in der Eurozone haben durch Garantien über den Rettungsschirm ja bereits geholfen in Milliardenhöhe, das Land, Griechenland zu unterstützen, damit Reformen umgesetzt werden können. Sollte es zu einem Austritt beispielsweise Griechenlands aus dem Euro, der ja in Berlin auch von Teilen der Bundesregierung offen diskutiert wurde, kommen, dann würde das zu einem Ausfall auch der Hilfen führen.
Und wenn es zu einem Schuldenschnitt kommt, also zu einem Schuldenerlass, zu einem sogenannten Haircut auf Englisch, dann müssten alle Gläubiger, private und öffentliche, auf einen Anteil verzichten. Das ist nichts Ungewöhnliches, das kennt man ja auch in der Privatinsolvenz. Wenn ein Unternehmen in die Insolvenz geht, dann müssen die Gläubiger auf einen Teil des Geldes verzichten.
Und da sind wir jetzt genau an dem entscheidenden Punkt: So ein Schuldenschnitt ist gar nicht so einfach. Vor allen Dingen kann er dazu führen, dass die Kapitalgeber, die dann zukünftig den griechischen Staatshaushalt finanzieren sollen, Angst bekommen und sich zurückziehen. Insofern rate ich an der Stelle zur großen Vorsicht und habe auch nicht verstanden, warum die Bundesregierung mitten im griechischen Wahlkampf sich hier so weit aus dem Fenster gelehnt hat. Maßhalten, Mäßigung auch in der politischen Diskussion ist, glaube ich, wichtig, denn die griechischen Bürger sollen frei wählen können.
Müller: Vielleicht hat sie es gerade deshalb getan. Vielleicht war das eine oder ist das eine klare Einmischung in den Wahlkampf.
Theurer: Das könnte sein, aber ich glaube, damit kommen wir nicht weiter. Wenn wir mal das deutsche Beispiel selber anschauen, welche Diskussionen gab es in der Bundesrepublik, als Kanzler Gerhard Schröder in der rot-grünen Koalition die Agenda 2010 durchgesetzt hat. Da wurde in Sozialleistungen eingegriffen, das hat Proteste ausgelöst. Wenn wir jetzt mal Griechenland zum Vergleich nehmen, da sind die sozialen Einschnitte um ein Vielfaches drastischer als alles, was wir in Deutschland erlebt haben. Und dass das natürlich auch politische Friktionen und Verwerfungen auslöst, ist ja klar.
"Da sind noch viele Hausaufgaben zu tun"
Müller: Den Punkt verstehe ich jetzt nicht ganz. Das heißt, was folgt daraus für die Bundesregierung mit Blick auf die Wahlen in Griechenland?
Theurer: Die Bürgerinnen und Bürger in Griechenland sollten nicht das Gefühl bekommen, dass andere Länder sie praktisch zu einer gewissen Wahlentscheidung drängen. Gleichzeitig muss man natürlich den griechischen Politikern, etwa auch dem Vorsitzenden von Syriza, Alexis Tsipras, klar sagen, dass so lockere Sprüche, man könnte praktisch die Verpflichtungen Griechenlands zu Strukturreformen, zu denen sich Griechenland ja vertraglich vereinbart hat, einfach weghauen, dass das auch nichts bringt. Aber wir kennen natürlich auch alle Wahlkämpfe und von daher: Wir raten einfach an der Stelle zu einer Doppelstrategie, Gelassenheit, was den Wahlkampf angeht.
Andererseits aber gleichzeitig ist für mich als Europaabgeordneter klar, Griechenland muss zu den Verpflichtungen stehen. Das heißt, wir, die europäischen Steuerzahler, sind solidarisch zu Griechenland, aber die Griechen selber müssen alles in ihrer Macht stehende tun, was Reformen angeht, um wieder auf einen Wachstumspfad zu kommen. Und da haben wir den Eindruck, dass die griechische Regierung zwar einiges gemacht hat, aber was zum Beispiel Privatisierung oder auch ein funktionierendes Steuersystem angeht, da sind noch viele Hausaufgaben zu tun.
Müller: Sie sind, Herr Theurer, ja schon häufig auch in Ihrer Funktion in Griechenland gewesen, haben mit vielen Griechen gesprochen. Gerade wenn von Deutschland etwas kommt, und zwar mit dem Zeigefinger, wie sich das im Moment wieder anhört, dann reagieren auch die Griechen ganz besonders sensibel, verärgert. Könnte das Ganze jetzt in dieser Diskussion im Vorfeld der Wahlen, die ja nun in ein paar Tagen, am 25. Januar stattfinden, kontraproduktiv sein?
Theurer: Aus meiner Sicht ganz klar ja, denn das Tragische am Euro ist ja die halb fertige Integration. Das Tragische ist ja, dass die Menschen etwa in Griechenland die Sparmaßnahmen, die Auflagen, die Strukturreformen als ein Diktat aus Brüssel oder als ein Diktat aus Berlin empfinden und sich dann da dagegen wehren, anstatt dass man das gemeinschaftliche Wohl, das gemeinsame Wohl der Gemeinschaftswährung Euro im Blick sieht und sieht, dass es darum geht, das Gesamtprojekt nach vorne zu bringen.
Von daher kann man im Grunde genommen nur das europäische Bewusstsein bei allen Beteiligten stärken, denn der Euro ist eine Gemeinschaftswährung. Wir haben ja nicht die D-Mark in Europa eingeführt, und von daher meine ich ja, vom Ton her sollte man gemäßigt auftreten, aber in der Sache natürlich hart bleiben, denn wir dürfen die Stabilität der Gemeinschaftswährung nicht in Zweifel ziehen.
"Es gibt bei Staateninsolvenzen keine klaren Regeln"
Müller: Reden wir hart über die Sache. Schuldenschnitt, 320 Milliarden Gesamtschulden. Wenn wir das jetzt richtig verstanden haben, sind davon 260 Milliarden in der Hand der öffentlichen Gläubiger, also in staatlicher Hand, und das heißt ja irgendwie im zweiten Schritt in Steuerzahlerhand. Es gab ja schon einmal einen Schuldenschnitt, der erste 2012. Das waren gute 100 Milliarden Euro, die wurden in erster Linie von den Banken, von anderen privaten Gläubigern gedeckt. Wenn es jetzt zu einem Schuldenschnitt kommen würde, müssen die Steuerzahler dann bezahlen?
Theurer: Das Wichtigste vorneweg ist: Es gibt bei Staateninsolvenzen keine klaren Regeln, anders als bei der Privatinsolvenz. Das Zweite ist: Ja, wenn es hier zu einem Schuldenschnitt kommt, müssen die Gläubiger verzichten. Und Sie sagen zu Recht: 80 Prozent der griechischen Staatsschulden sind jetzt von anderen, werden von anderen Staaten gehalten, oder von öffentlichen Institutionen. Etwa ein Viertel entfällt da auf Deutschland, also man kann davon ausgehen, dass die Bundesrepublik mit zwischen 80 und 100 Milliarden davon betroffen wäre, die dann gegebenenfalls ausfallen. Und da muss man sich jetzt schon überlegen: Kann man das einfach so wegstreichen, diese Schulden.
Klar ist: Bei einer Privatperson, die in die Insolvenz geht, da wird das dann weggestrichen, damit die Person wieder auf die Füße kommt oder dass das Unternehmen dann nach einer Insolvenz weiterarbeiten kann, weil bei Staaten ist es ja nicht möglich, zu liquidieren oder das Ganze abzuwickeln. Also es geht letzten Endes wie immer bei Staaten um eine Sanierungsinsolvenz.
Der entscheidende Punkt ist: Wenn es zu einem Schuldenschnitt kommt, dann muss man das aus unserer Sicht, aus Sicht der FDP-Abgeordneten verbinden mit Strukturreformen. Man könnte sich vielleicht einen stufenweisen Schuldenschnitt vorstellen. Aber wir haben die große Befürchtung, dass der Reformeifer nachlässt. Es gibt politische Parteien in Griechenland, die den Menschen halt vorgaukeln, dass es ohne harte Einschnitte und Reformen geht, und das glauben wir nicht.
Müller: Herr Theurer, Sie haben jetzt die Zahl von 90, 100 genannt. Ich will jetzt nicht zu viel mit Zahlen argumentieren. Wir haben hier die Zahlen 70, 80 Milliarden gefunden, 60 Milliarden ist auch in der Diskussion, was in Berlin geführt wurde.
Theurer: Das hängt davon ab, wie viele Schulden erlassen werden.
Wie kommt Griechenland wieder auf einen Wachstumspfad?
Müller: Falls es zum deutschen Anteil dort kommen sollte. Aber dann ist doch die schwarze Null, über die wir vor gut einer halben Stunde im Deutschlandfunk ausführlich diskutiert haben, dann ist die doch passé für die nächsten Jahre.
Theurer: Das sind natürlich Belastungen, die auf den Steuerzahler zukommen, und das schmeckt niemandem, denn von den Kommunen über die Länder bis zum Bund gibt es natürlich in Deutschland auch Aufgaben, die finanziert werden müssen. Das Wichtigste aus Sicht des Wirtschaftspolitikers ist, dass Länder wie Griechenland wieder auf einen Wachstumspfad kommen. Denn nur wenn dort kleine und mittlere Unternehmen auch Aufträge bekommen und wieder Mitarbeiter einstellen können, wird ja der Staat dann auch über die Steuereinnahmen wieder solide finanziert werden können. Das muss im Vordergrund stehen, dass diese Sparpolitik nicht auf Dauer die Konjunktur abwürgt, und darauf muss man sich konzentrieren. Das bedeutet auch schmerzhafte Strukturreformen, Öffnung der Arbeitsmärkte, Privatisierung, und da hat die griechische Regierung einiges gemacht.
Aber wir haben den Eindruck, das Ganze ist immer noch nicht ehrgeizig genug, und vor allen Dingen das, was jetzt die Syriza, die linksgerichtete Partei von Herrn Tsipras da vorschlägt, das ist ja eigentlich genau das Gegenteil dieser Reformkonzepte, und da sehen wir mit großer Sorge natürlich schon im Moment nach Athen.
Müller: Herr Theurer, wir sind jetzt ganz knapp in der Zeit. Ich muss Sie das schnell noch fragen. Eine Teilentschuldung Griechenlands könnte sinnvoll sein?
Theurer: Ja. Über die Frage des Schuldenschnitts wird schon lange gesprochen. Das Problem beim Schuldenschnitt ist, dass der nicht einfach zu realisieren ist. Ganz wichtig: Das Prinzip Hilfe gegen Auflagen, also Hilfe gegen Strukturreformen muss weiterhin das Handlungsprinzip sein.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der FDP-Währungs- und Wirtschaftspolitiker Michael Theurer. Danke für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.