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Fechten
"Kündigung aus finanziellen Gründen plausibel"

Die Nationalmannschaft der deutschen Florettfechterinnen hat seit Mittwoch keinen Bundestrainer mehr. Andrea Magro wurde "aus betriebsbedingten Gründen" gekündigt. "Die entscheidenden Menschen sprechen nicht miteinander", kritisiert Journalistin Andrea Schültke im DLF. Für Ungereimtheiten sorgt auch ein brisantes Video.

Andrea Schültke im Gespräch mit Astrid Rawohl |
    Astrid Rawohl: Die Fechterinnen wollten unbedingt weiter von Magro trainiert werden und haben sich intensiv für einen Verbleib des Trainers eingesetzt. Nicht zuletzt, weil im Sommer in Leipzig die Heim-WM ansteht und sie da ihre Chancen gefährdet sehen. Das hat natürlich dann für viel Wirbel gesorgt – Andrea Schültke, hatten die Fechterinnen Recht, indem sie das Ganze öffentlich gemacht haben?
    Andrea Schültke: Ich würde sagen "ja". Wenn sich Athleten für ihre Belange einsetzen und dabei die Mittel ausschöpfen, die ihnen zur Verfügung stehen, geschieht das völlig zu Recht. Offenbar haben sie keine andere Chance mehr gesehen, hatten den Eindruck, die Verantwortlichen ließen sie im Regen stehen, wie sie dem SWR gesagt haben.
    Rawohl: Wer genau sind denn die Verantwortlichen für die Situation?
    Schültke: Wie es sich für mich darstellt, gibt es mehrere Verantwortliche. Als erstes würde ich den FC Tauberbischofsheim nennen. Der Fechtclub war in den 90er Jahren das Maß aller Dinge in der Welt des Fechtsports. Diese großen Erfolge liegen schon Jahrzehnte zurück. Daran wollte man jetzt wieder anknüpfen und deshalb hat man sich diesen hoch dekorierten Trainer Andrea Magro nach Tauberbischofsheim geholt. Der zweite Verantwortliche ist der deutsche Fechterbund, denn Magro ist Fecht-Bundestrainer und arbeitet damit unter dem Dach des DeFB. Allerdings finanziert der den Trainer nicht allein, sondern es ist eine Mischfinanzierung gemeinsam mit dem FC Tauberbischofsheim. Der Fechtclub ist auch Magros Arbeitgeber. Da müssen sich zwei zusammenraufen, die das offenbar im Moment nicht so wirklich gut hinkriegen und das ist wohl eines der großen Probleme.
    Stattliches Gehalt, lange Vertragslaufzeit
    Rawohl: Andrea Magro, der Italiener gilt als absoluter Star-Trainer der Szene. Hat als Nationaltrainer der italienischen Fechterinnen allein 16 olympische Medaillen gewonnen. Dem muss man ja einiges geboten haben, damit er nach Tauberbischofsheim kommt. Es heißt, er hätte 13.000 Euro pro Monat verdient. Kann das sein?
    Schültke: Das kann sein. Nach meinen Informationen ist das der Fall. Außerdem hat er einen Vertrag bis 2020 bekommen. Damit bekommt Magro doppelt bis dreimal so viel wie ein Bundestrainer in einer anderen Sportart. Er hat einen Vertrag bis 2020 bekommen. Von daher klingt es plausibel, wenn die betriebsbedingte Kündigung finanzielle Gründe hat.
    Rawohl: Bei so einem außergewöhnlichen Vertrag über so eine hohe Summe und so eine hohe Laufzeit, sollte man doch denken, dass die Finanzierung gesichert sein muss. Was sagen die Beteiligten dazu?
    Schültke: Mal mehr und mal weniger. Es gab offenbar eine Ausstiegsklausel aus dem Vertrag nach den Olympischen Spielen. Die hat man aber wohl verstreichen lassen. Wenn das stimmt, dann ist das Vorgehen sehr unprofessionell. Harald Stempfer, Geschäftsführer in Tauberbischofsheim, will sich auf Anfrage des DLF nicht äußern und verweist an den deutschen Fechterbund. Für den hat Sportdirektor Sven Ressel geantwortet: Der Fechterbund könne Andrea Magro nicht allein finanzieren. Man lasse aber die Fechterinnen keinesfalls im Regen stehen. Es gebe Übergangslösungen und arbeite mit Nachdruck daran, dass die Fechterinnen wieder vollends betreut werden. Zitat: "Wir erwarten aber auch, dass die Athletinnen sich diesen Veränderungen fair stellen". Man wolle eine Struktur, "die alle ins Boot nimmt und wo alle davon im Sinne von gemeinsamen Trainingsmaßnahmen und Trainerfortbildungsmaßnahmen davon profitieren sollen."
    Rawohl: Schwingt da Kritik mit an Sonderbehandlungen des Trainer uns zum anderen Kritik an den Athletinnen?
    Schültke: Den Eindruck kann man auf jeden Fall bekommen. Und es klingt natürlich auch nach Kritik am Trainer. Magro gilt wohl als sehr selbstbewusst und von sich überzeugt. Er ist ein Starcoach mit Sonderbehandlung, schwierige Situation.
    Trainer klagt gegen Entlassung
    Rawohl: Das klingt aber auch nach einem massiven Kommunikationsproblem. Wer spricht denn da miteinander und wer nicht?
    Schültke: Die entscheidenden Menschen sprechen wohl nicht miteinander, nämlich der Deutsche Fechterbund und Andrea Magro. Und der Verband spricht offenbar nicht ausreichend mit den Athletinnen. Aber da kommen jetzt weitere Akteure ins Spiel. Nämlich der Deutsche Olympische Sportbund. An dessen Präsidenten Alfons Hörmann hatten die Fechterinnen einen Brief geschrieben. Der wurde öffentlich. Der DOSB schreibt auf DLF-Anfrage er sei mit allen Beteiligten im Gespräch und versuche, "eine sachgerechte Lösung im Sinne der Athletinnen zu erreichen". Und auf diesen Brief der Athletinnen hat der Fechterbund mit einem Schreiben der Anwaltskanzlei reagiert, in dem den Athletinnen wohl falsche Behauptungen vorgeworfen werden.
    Rawohl: Und damit sind wir dann wahrscheinlich beim Trainer selbst, bei Andrea Magro.
    Schültke: Genau, denn der klagt gegen seine Entlassung. Auch ihm habe ich natürlich einen Fragenkatalog geschickt. Er will sich aber erst mit seiner Anwältin besprechen, bevor er antwortet.
    Rawohl: So viele Beteiligte aber am härtesten trifft es vermutlich die Athletinnen. Die stehen nämlich wenige Monate vor der WM im Leipzig ohne ihren Bundestrainer da. Sind Lösungen in Sicht?
    Schültke: Anne Sauer, Sprecherin der Florettfechterinnen hat geschrieben, dass der DeFB nächste Woche den Athletinnen präsentieren möchte, wie es für sie im Damenflorett weitergeht. Schwer vorstellbar, dass das eine Lösung mit Andrea Magro wird. Denn wenn der Fechterbund die Absicht hätte, die gemeinsame Arbeit irgendwie fortzusetzen, würde es ja Gespräche geben.
    Brisantes Trainingsvideo aufgetaucht
    Rawohl: Klingt nach einer verfahrenen Situation und nach einer komplizierten Gemengelage, in der verschiedene Akteure offenbar eigene Interessen verfolgen. Beleg dafür könnte auch ein Video sein, das dann mitten in der ganzen Trainerdiskussion aufgetaucht ist und zu berechtigter Kritik an Startrainer Andrea Magro geführt hat. Inwiefern?
    Schültke: Auf dem Video ist offenbar eine Trainingssituation mit einer volljährigen Fechterin und Andrea Magro zu sehen. Immer, wenn die Fechterin einen Fehler macht, muss sie ein Schmuck-, bzw. Kleidungsstück ablegen. Am Ende steht sie dann wohl im Sport-BH und Trainingshose vor ihrem Trainer.
    Rawohl: Könnte denn vor diesem Hintergrund das Geldargument nur vorgeschoben und dieses Video der eigentliche Kündigungsgrund sein?
    Schültke: Meiner Ansicht nach ist diese Art von Training auf jeden Fall ein Verstoß gegen den Ehrenkodex des deutschen Fechterbundes, den laut Sportdirektor Ressel jeder Trainer unterschrieben. Und auch für den Fechterbund spielt es keine Rolle, dass die Athletin volljährig war. Sportdirektor Ressel schreibt: Zitat: "Diesbezüglich haben wir auch ein Personalgespräch mit Herrn Magro geführt. Zum Schutze der Athletin haben wir diese völlig abzulehnende Trainingsmaßnahme nicht an die große Glocke gehängt".
    Rawohl: Die Athletinnen selber haben das offenbar absolut nicht als Grenzverletzung gewertet. Wird da jetzt etwas aufgebauscht und dramatisiert?
    Schültke: Nein, finde ich überhaupt nicht. Hier geht es aber um eine Trainingskultur. Alle Beteiligten empfinden das als "normal" oder Spaß. Aber das kann der Anfang sein. Wir wissen aus vielen Fällen sexualisierter Übergriffe, dass es meistens als Spaß beginnt, aber dann immer weiter geht. Und bei so einer Trainingskultur besteht einfach ganz generell die Gefahr, dass heftigere Grenzüberschreitungen bis hin zu Übergriffen gibt, die dann nicht mehr als solche wahrgenommen werden. Ich sage ausdrücklich: die Gefahr besteht. Ich habe keinerlei Hinweise, dass es im konkreten Fall so gewesen ist. Diese Tragweite ist den Beteiligten sicher nicht bewusst gewesen und das ist das Problem an der Sache. Und deswegen hat der Fechterbund meines Erachtens richtig reagiert, wenn er tatsächlich dazu ein Gespräch mit dem Trainer geführt hat. Eine Abmahnung hat es aber vermutlich nicht gegeben, Und deshalb glaube ich nicht, dass das der wirkliche Grund für die Kündigung war.