"Am 23. Februar hatte ich noch Geburtstag, und am 24. weckte mich mein Mann ganz früh und sagte, der Krieg hat angefangen."
Olena Krywyzka, eine Weltklasse-Degenfechterin, ist es gewohnt, blitzschnell zu reagieren. Aber anders als im Wettkampf ging es am Donnerstag vor zwei Wochen um ihr Leben.
„Wir hatten keine Ahnung, wie viel Zeit uns noch bleibt, die Explosionen waren ganz in der Nähe, sie haben den Flughafen angegriffen, wir wohnen nicht weit entfernt. Und wir schnappten das Nötigste und mussten uns schnell entscheiden. Entweder in einen Luftschutzkeller oder sofort raus aus Kiew.“
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Die Fechtausrüstung liegt noch in Kiew
Sie rannten zum Auto, die beiden Hunde kamen mit, alles andere, die Degen, Maske, Kleidung – alles was zur Fechtausrüstung gehört, musste die 35-Jährige in Kiew zurücklassen.
„Ich hab‘ nichts mitgenommen, aber ich habe die Hoffnung, nach Hause zurückkehren zu können, in unser hoffentlich nicht zerstörtes Haus, wo dann hoffentlich auch mein Equipment liegt mit dem ich trainiere und in dem eines Tages wieder unser Land in Wettkämpfen vertrete werde.“
Der Sport spielt keine Rolle mehr
Zweimal hat sie mit ihrem Degen an Olympischen Spielen teilgenommen, in London und Rio de Janeiro, drei Mal, 2015, 2017 und 2019, gewann sie Bronze bei Weltmeisterschaften. Ob sie bei der nächsten im Sommer in Kairo dabei sein wird, darüber denkt sie im Moment nicht einmal nach.
„Ich verfolge das überhaupt nicht mehr. Wir haben jetzt einen ganz anderen Wettkampf, einen mit dem russischen Okkupanten als Gegner.“
Olena Krywyzka wurde in Russland geboren, seit über zehn Jahren lebt die Ukrainerin in Kiew und es ist vor allem das Schweigen der russischen Athletinnen und Athleten, das sie empört. Wenn die jetzt sagten, sie wollten Frieden, dann reiche das jetzt nicht.
Eine Reihe ukrainischer Sportler musste in den Krieg ziehen, so Biathlon-Weltmeister Dmytro Pidrutschnji, der von sich ein Foto in Militär-Uniform und Helm veröffentlichte. Sein 19-jähriger Teamkollege Jewhen Malyschew ist angeblich in einer Schlacht nahe Charkiw gefallen. Und auch die beiden Fußballprofis Witali Sapylo und Dimitri Martynenko starben bei der Verteidigung ihres Heimatlandes.
"Die Prioritäten sind jetzt ganz andere. Jetzt geht es ums Überleben"
Die Weltklasse-Degenfechterin Olena Krywyzka sagt aus Sicherheitsgründen nicht, wo sie sich genau aufhält, zumal sich die Lage jeden Augenblick ändern kann. Ihrer eigentlichen Arbeit, nämlich dem Fechttraining kommt sie seit über zwei Wochen, so lange wie der Krieg dauert, nicht nach.
„Normalerweise trainiere ich sechs Mal pro Woche. Aber an Training ist überhaupt nicht zu denken, die Prioritäten sind jetzt ganz andere. Jetzt geht es ums Überleben.“
Der Krieg findet längst im ganzen Land statt, die russische Luftwaffe bombardiert Städte auch nördlich der Hauptstadt, in der Mitte, wie Dnipro, im Süden und auch Westen wo sie Luzk und Iwanno-Frankiwsk angriff. In Charkiw im Osten zerstörte sie Schulen, Kindergärten, Wohnhäuser. Olenas Kriwizkas Mannschaftkameradinnen kommen aus allen Landteilen.
„In Charkiw haben wir uns jedes Jahr zu einem großen Wettkampf im Sportkomplex getroffen. Diese Anlage ist bei den Bombenangriffen völlig zerstört worden.“
Vorausgesetzt, sie bleibt am Leben, kann der Krieg das Ende ihrer Karriere sein?
„Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, zumal das von mir ja im Moment ganz und gar nicht abhängt.“