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Fehlende Chancengleichheit

Nach den jüngsten Straßenschlachten in französischen Vorstädten hat Präsident Nicolas Sarkozy erneut ein hartes Vorgehen gegen die Randalierer angekündigt. Diese Leute seien Gauner, die zu allem bereit sind, sagte der französische Staatspräsident. Doch was sind die Gründe für die zunehmende Gewaltbereitschaft Jugendlicher nicht nur in Frankreich? Die Europakolumne von Jeanne Rubner.

    15 und 16 Jahre nur hat ihr kurzes Leben gedauert. Auf einer Spritztour mit einem geklauten Motorrad stießen Larami und Moushin im Pariser Vorort Villiers-le-Bel mit einem Polizeiauto zusammen. Ob die zwei Jungen hätten gerettet werden können, ob sie schuld waren am Zusammenprall? Man weiß es nicht.

    Was sicher ist: Ihr Tod, der gewalttätige Proteste entfachte, steht für die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen, die in Frankreichs Vorstädten leben. Sie wissen, dass das Leben keine Geschenke für sie bereithält. Ihre Eltern sind oft arbeitslos, ihnen droht ein ähnliches Schicksal. Nur halbherzig hat die Pariser Regierung bislang Ausbildungs- und Beschäftigungsprogramme auf den Weg gebracht. Und selbst wenn Mohammed, Abdullah oder Fadela eine Ausbildung hätten, ihre Herkunft bleibt ein Makel, der sich nicht einfach weg wischen lässt: Wer eine Bewerbung mit einem arabisch klingenden Name und einer Adresse in der Banlieu abschickt, erhält oft noch nicht einmal eine Antwort. Das Ergebnis: In den Ausländervierteln ist fast jeder zweite junge Erwachsene arbeitslos.

    Ghettobildung in den französischen Vorstädten sowie eine schlechte Berufsausbildung sind die Ursachen für das prekäre Schicksal der Migranten, Ursachen, die sich potenzieren. Wer nicht an die eigene Zukunft glaubt, hat nichts zu verlieren. Die Einwanderer der ersten Generation konnten sich noch als billige Arbeitskräfte verdingen, ihre Kinder und Enkel spüren die Unbarmherzigkeit des Arbeitsmarktes, der nach qualifizierten Kräften verlangt.

    In Frankreich ist die Jugendarbeitslosigkeit besonders hoch, aber Frankreich ist kein Einzelfall in Europa. Fast überall haben die Jüngeren auf dem Arbeitsmarkt schlechte Karten, fast überall in der EU sind die 15 bis 24-jährigen beinahe doppelt so häufig arbeitslos wie Erwachsene. Wer Arbeit bekommt, hat oft nur einen zeitlich befristeten Job oder eine Teilzeitstelle. Ohne Berufserfahrung kein Job. Keine Berufserfahrung ohne Job. Ein Teufelskreis. Auch Großbritannien ist ein trauriges Beispiel für die Vernachlässigung einer ganzen Generation. Das rigide Klassensystem und ein über Jahrzehnte währender niedriger Lebensstandard hat eine Unterschicht hervorgebracht, die zur Gewalt neigt. Nirgendwo in Europa ist die Gewalt unter Jugendlichen so ausgeprägt wie in Großbritannien.

    Und Deutschland? Zur Selbstzufriedenheit besteht kein Grund, auch wenn junge Ausländer weniger oft zusammengepfercht in Siedlungen leben als in den Nachbarländern, auch wenn das System der Berufsausbildung bislang garantiert hat, dass die meisten eine gute, praxisorientierte Ausbildung erhalten. Wer seine Lehre gut meistert, hat Aussichten, vom Betrieb übernommen zu werden. Doch die Zahl der Schulabbrecher hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. Mehr als jeder zehnte Jugendliche verlässt die Schule ohne Abschluss – und erwirbt damit eine sichere Eintrittskarte in die Welt der Arbeitslosigkeit. Auch in Deutschland steigt die Bereitschaft zur Gewalt, das zeigen viele Untersuchungen. Und wenn jemand zuschlägt, tut er es häufig schneller und härter als früher.

    Vorbeugung ist die einzige Therapie gegen die Ausweglosigkeit. Auch hierzulande muss der Staat dafür sorgen, dass möglichst jeder die Schule mit einem Abschluss verlässt. Dass möglichst jeder einen Ausbildungsplatz findet. Kinder, heißt es jedes Mal, wenn wieder ein Fall Kevin oder Lea-Sophie bekannt wird, Kinder sind die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft, sie können sich nicht schützen und brauchen zuweilen den Schutz des Staates. Auch Jugendliche, so machohaft und stark sie sich zuweilen gerne geben, benötigen mehr Schutz und Unterstützung, als sie derzeit bekommen.