Uni Köln. An einem Freitag-Nachmittag beugt sich Maike Lehmann über das aktuelle Vorlesungs-Verzeichnis der Osteuropa-Studien und ärgert sich. Die Mittdreißigerin mit blondem, kurzem Haar ist Juniorprofessorin für Moderne Osteuropäische Geschichte und Vorstandsmitglied des Kölner Zentrums für Zentral- und Ost-Europa:
"Wir haben Veranstaltungen zu angewandten Sprachwissenschaften, polnische Sprachgeschichte, slowakische Literaturwissenschaft und bulgarische Sprache - wir haben eine einzige Veranstaltung zu Kriegen und Krisen im postsowjetischen Raum – das ist die einzige Veranstaltung und auch die ist nur in diesem Semester abrufbar – das ist ein absolutes Sonder-Bonus-Programm, weil wir Herrn Gerhard Simon gewinnen konnten, ansonsten können wir so was nicht bieten."
Denn am Zentrum für Zentral- und Ost-Europa in Köln sind die Politikwissenschaften nicht vertreten. Das war früher anders: Bis 2000 befand sich in Köln das "Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien", kurz Biost. Eines der wichtigsten Politikforschungs-Institute Europas mit Schwerpunkt auf Osteuropa, Russland und China. Politikwissenschaftler, Ökonomen und Juristen haben hier interdisziplinär geforscht, an der Uni gelehrt und vor allem die Außen-Politik der Bonner Republik beraten. Doch dann zerfiel die Sowjetunion, Osteuropa wurde offenbar uninteressant und das Institut abgewickelt. An der Kölner Universität ist von dieser Kompetenz heute nichts mehr übrig:
"Also die normalen Politikwissenschaftler in Anführungszeichen haben es nicht für angezeigt gehalten, weiterhin jemanden zu beschäftigen, der sich mit Osteuropa befasst."
Nach Fall des Eisernen Vorhangs wurden viele Osteuropa-Forschungsinstitute geschlossen
Das ist kein Einzelfall. Während des Kalten Krieges gab es ein großes Interesse an der Osteuropa-Forschung und Kenntnissen, die als "Feindwissenschaft" bezeichnet wurden. Doch dann fiel der Eiserne Vorhang und die strategische Erforschung der östlichen Nachbarn schien plötzlich nicht mehr nötig. So wurden in der Folgezeit zahlreiche politikwissenschaftliche Lehrstühle für Osteuropa-Studien geschlossen, Gelder in dem Bereich gestrichen. Dazu kommt noch, dass auch die Politikwissenschaft selbst immer mehr von klassischen Regionalstudien abweicht.
"Es gibt eben auch keine Perspektiven für Politikwissenschaftler, die sich mit Osteuropa beschäftigen. Politikwissenschaftler müssen große Vergleiche anstellen, sie können sich meistens nicht leisten, kontinuierlich an einer Region zu forschen und da es keine Perspektiven für sie gibt, gibt es nur noch sehr sehr wenige, die dann so tief gehend eine Expertise entwickeln können, um dann beratend tätig sein zu können. Das gibt es eigentlich nur noch in München und in Bremen und dann kommt es immer noch sehr darauf an, ob sich ein Politikwissenschaftler irgendwo anders in Deutschland zwischendurch für Osteuropa interessiert – oft ohne die Sprache zu kennen, oft ohne die kulturellen Kontexte zu kennen."
Eine Entwicklung, die sich heute rächt: Die Ukraine-Krise zeigt, dass Russlandkompetenz und ein profundes Wissen über die Region nötiger sind denn je. Deswegen hört das Telefon von Stefan Meister auch seit Monaten nicht mehr auf zu klingeln. In einem altehrwürdigen Haus am Rande des Berliner Tierparks hat die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik ihre Büros. Die DGAP ist einer der wichtigsten Think-Tanks für Politikberatung in Deutschland. Dort sitzt Stefan Meister an einem großen Tisch in einem beinahe leeren Büro, immer einen Handgriff entfernt vom Telefon. Er ist der Programmleiter für Osteuropa, sein eigener Schwerpunkt ist die Russlandforschung. Seit Monaten muss er Politik, Medien und Öffentlichkeit die aktuellen Entwicklungen erklären. Die Anstrengung ist ihm ins Gesicht geschrieben.
"Es gibt kaum Stellen, es ist in den Institutionen zu wenig und es ist für ein Land wie Deutschland auch erbärmlich, das muss man wirklich mal sagen, wie wenig die außenpolitischen Entscheidungsträger bereit sind, Geld in Forschung und in Politikberatung in Bezug auf Osteuropa oder auch insgesamt auch auf Außenpolitik zu finanzieren."
Der Forscher findet deutliche Worte, denn faktisch gibt es bei den beiden großen deutschen Instituten für Politikberatung – der "Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik" und der "Stiftung für Wissenschaft und Politik" insgesamt nur drei bis vier Wissenschaftler, die die Beratung für die Bundes-Politik stemmen. Und da besteht gerade großer Bedarf:
"Meine Damen und Herren, Deutschlands Außenpolitik ist geleitet von einer Kultur der Verantwortung. Deutschland spielt eine zentrale Rolle bei den Bemühungen, einen friedlichen Ausweg aus dem von Präsident Putin verursachten militärischen Konflikt in der Ukraine zu finden. Es ist absehbar: Eine Kultur des Heraushaltens können wir uns nicht leisten."
Im Bundestag fehlen Russland-Kenner
Andreas Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender für Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der Unions-Bundestagsfraktion, steht am Rednerpult des Bundestags und wirbt für mehr Engagement im osteuropäischen Raum. Denn nicht nur die Ukraine-Krise stellt die deutsche Außenpolitik vor neue Herausforderungen, sondern auch die engen wirtschaftlichen Verflechtungen. Rund ein Drittel des deutschen Gas- und Ölbedarfs wird aus russischen Lieferungen gedeckt. Fast die Hälfte aller Exporte aus der EU nach Russland kommt aus Deutschland. Es geht also auch um handfeste wirtschaftliche Interessen, sagt Schockenhoff:
"Wenn wir unsere Abhängigkeit vom Export auf das Prokopf der Bevölkerung runterrechnen, dann gibt es kein Land auf der Welt, das seinen Lebensstandard so stark der internationalen Verflechtung, der internationalen Stabilität verdankt wie wir das tun. Und deswegen ist es zunächst unser Eigeninteresse, auch ein Interesse der sozialen und wirtschaftlichen Stabilität im eigenen Land, dass wir uns mitverantwortlich fühlen, Krisen, die regional nicht mehr einzugrenzen sind, auch in anderen Teilen der Welt zu bewältigen."
Doch es stellt sich die Frage: Aufgrund welcher Kenntnisse und Erfahrungen werden diese politischen Entscheidungen getroffen? Und wie steht es um die Kompetenz im Bundestag? Stefan Meister sieht die deutsche Russlandpolitik in der Krise:
"Sie ist sehr provinziell geworden in den letzten 15 Jahren, weil sie weder aus den Medien, noch aus den Hochschulen, aus dem wissenschaftlichen Bereich noch aus dem Think-Tank-Bereich wirklich die geballte Kompetenz hat, die sie bräuchte, um Entwicklungen im postsowjetischen Raum einzuschätzen. Und ich glaube, auch da kommt die Krise der deutschen Russlandpolitik insgesamt mit her, dass man über Jahre letztlich auch den Wandel in dieser Region verschlafen hat, weil man systematisch Expertise abgebaut hat, in all diesen Bereichen gespart hat."
Diese mangelnde Expertise hat auch Gemma Pörzgen beobachtet – sie ist Journalistin mit Osteuropa-Schwerpunkt.
"Was ich vor allem bedauere ist, dass es im Bundestag eigentlich nur eine Handvoll Leute gibt, die so etwas sind wie Russlandexperten. Wenn man sich sehr lange mit Russland beschäftigt, würde man sich natürlich eigentlich wünschen, dass das Leute sind, die die Sprache kennen, die öfter im Land waren – und das nicht nur zu politischen Visiten. Ich fürchte, wenn wir dieses Kriterium anlegen würden, dann schrumpft die Zahl vermutlich nur noch auf zwei, drei."
Deutsche Medien schließen Redaktionen in Russland
Zu ihnen zählen Marieluise Beck, Wolfgang Gehrke oder Gernot Erler. Sie alle beschäftigen sich zum Teil seit Jahrzehnten mit der Region. Doch Nachwuchs ist kaum in Sicht. Wie kann man erklären, dass der Bundestag und der beratende Wissenschaftsbetrieb bei dem Thema so dürftig aufgestellt sind? Stefan Meister glaubt, dass die Politik den Zusammenbruch der Sowjetunion mit einem Bedeutungsverlust Russlands gleichgesetzt hat. Gleichzeitig sei man davon ausgegangen, dass mit einer wirtschaftlichen Modernisierung auch automatisch eine politische kommen werde.
"Das sind gravierende Fehlentscheidung im deutschen Bundestag aber auch im Kanzleramt in Fragen von: Wo liegen eigentlich die Kernregionen auch deutscher Interessen sowohl wirtschaftspolitisch als auch energiepolitisch als auch sicherheitspolitisch? Und das sehen wir jetzt an der Krise. Also diese Strukturprobleme sind schon in den 90er bereits angelegt worden. Auch die Russlandpolitik der letzten Jahre basierte auf völlig falschen Annahmen. Da konnte man als Politikberater im Grunde sagen, was man wollte, das System Putin ist nicht bereit, sich zu modernisieren, die Modernisierungspolitik macht keinen Sinn mit Putin und trotzdem hat man diese Politik betrieben, weil man sie in den letzten zwanzig Jahren betrieben hat."
Eine Fehleinschätzung, die auch Andreas Schockenhoff einräumt. Er war von 2006 bis 2013 Russland-Beauftragter der Bundesregierung und hatte mit seiner Putin-Kritik für so manchen Streit gesorgt, auch innerhalb der Union. Viele deutsche Politiker gingen in den vergangenen Jahren davon aus, dass die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland auch zur endgültigen Überwindung einer aggressiven Machtpolitik führt. Auch Schockenhoff wurde von der Ukrainekrise überrascht:
"Ich habe es zu Beginn dieses Jahres für ausgeschlossen gehalten, dass es in Europa im Jahre 2014 noch militärische Eroberungen, Annexionen als Mittel der Durchsetzung von Interessen gibt und dass dann Außenpolitik auch oft reagiert und nicht Entwicklungen vorausnimmt, das muss uns klar sein, aber dann müssen wir uns auch darauf einstellen und Expertise entsprechend wieder aufbauen, wo wir sie nicht mehr haben."
Die Politik habe die Entwicklungen in Russland auch deshalb nicht sensibler verfolgt, weil der Russland-Diskurs in Deutschland stark polarisiert sei, meint Stefan Meister. Die "Russland-Versteher", die eisern an der Modernisierungspartnerschaft festhielten, lägen im Streit mit den "Russlandgegnern", die ausschließlich auf die negativen Entwicklungen in Russland hinwiesen.
Linke sehen deutsch-russisches Verhältnis historisch bedingt
"Und damit fehlt im Prinzip das Dazwischen. Es ist ja oft auch so, dass diese Personen dann auch historisch geprägt sind – entweder über Abrüstung, Ende des Kalten Krieges, Perestroika mit Gorbatschow, dass man eben glaubt, mit Russland kann man jetzt alles oder eben aus so einer Menschenrechtsschiene kommt, und Russland nur mit diesem engen Gesichtsfeld Menschenrechte anschaut."
Seit der Ukraine-Krise und dem offenkundigen Scheitern der Modernisierungspartnerschaft dreht sich der Streit vor allem um die Frage: Soll sich die deutsche Politik als Vermittlerin zwischen Russland und den Interessen von EU und NATO bemühen oder soll sie dem Kreml auf diplomatische oder sogar militärische Art die rote Karte zeigen? Eine, die als profunde Russlandkennerin im Bundestag gilt, ist Marieluise Beck von den Grünen. Schon seit den 90er Jahren pflegt sie enge Kontakte mit der Menschenrechtsbewegung in Russland. Schon früh hat sie Putin und die Modernisierungspartnerschaft kritisiert. Ihren eigenen Einsatz in der Osteuropapolitik begründet sie historisch:
"Ich gehöre noch zu der Generation, für die der deutsche Faschismus und die Verbrechen im Osten noch sehr präsent sind."
Auch für Wolfgang Gehrke sind die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg maßgeblicher Antrieb für sein Engagement in der Osteuropapolitik. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Linken und blickt auf eine lange Laufbahn als Abgeordneter mit außenpolitischem Russland-Profil zurück.
"Ganz Europa und gerade die Jüdinnen und Juden verdanken ihr Überleben auch der roten Armee und das will ich einfach nicht vergessen."
Nur ziehen die beiden völlig unterschiedliche Schlussfolgerungen aus der Vergangenheitsbetrachtung. Für Beck steht fest, dass Russland in der Ukraine-Krise einseitig die Spielregeln der Weltgemeinschaft verletzt. Gehrke hingegen glaubt, dass die deutsch-russische Kriegsvergangenheit Folgen hätte, die bis in die Gegenwart hineinreichen. Die Interessen Russlands seien durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Krieges geprägt und müssten im deutschen und internationalen Umgang mit Russland berücksichtigt werden, fordert er:
"Die Kultur der Zurückhaltung, das hat ja was mit der deutschen Geschichte zu tun, ist für mich genau der Ausdruck, Verantwortung zu übernehmen."
Doch auch Gehrke problematisiert die starke Polarisierung der innerdeutschen Debatte:
"Die jungen Generationen werden vielleicht viel besser als wir es konnten, miteinander umgehen können, weil es eben keine Kriegsgenerationen mehr sind."
Mit Außenpolitik gewinnt man weniger Wählerstimmen
Stimmen dieser jungen Generation sind in der aktuellen Russlanddiskussion tatsächlich selten zu hören. In den Parteien gibt es wenig Nachwuchs mit Osteuropa-Schwerpunkt. Das habe weniger mit mangelndem Interesse an der Region zu tun als vielmehr damit, dass man mit Außenpolitik keine Wählerstimmen holt, sagt die Grünenabgeordnete Marieluise Beck.
"Also das ist eine ganz ganz beängstigende Entwicklung, die wir hier bei uns haben, dass Außenpolitiker in den Wahlkreisen nicht gern gesehen werden und das führt sicherlich dazu, dass die Außenpolitik von jüngeren Kollegen von vornherein betrachtet wird als ein möglicher Karriereknick oder Karrierebruch sogar, also es ist ein Risiko, wenn man an das eigene Fortkommen denkt, sich in die Außenpolitik zu begeben."
Andreas Schockenhoff berichtet zwar von einer Handvoll Nachwuchsabgeordneter innerhalb der Union, die sich in dieser, ihrer ersten Legislaturperiode für den Auswärtigen Ausschuss des Bundestags und damit für einen außenpolitischen Schwerpunkt entschieden haben. Trotzdem weist auch er daraufhin, dass Wähler regionales Engagement sehr viel mehr honorieren als außenpolitisches:
"Also auf der einen Seite wird eine hohe Mobilität verlangt, dann kann man nicht auf der anderen Seite genau diese Mobilität den jungen Leuten zum Vorwurf machen. Ich glaube, das ganz Entscheidende ist, dass sich junge, qualifizierte Menschen auch beruflich entwickeln können, indem sie bereit sind, auch in schwierigen Situationen in irgendwelche Länder zu gehen."
Wer allzu oft im Ausland unterwegs ist, gerät schnell in den Verdacht, sich nicht für die lokalen Probleme und den eigenen Wahlkreis zu interessieren. Diese Erfahrung hat auch die Grünen-Abgeordnete Marieluise Beck gemacht. Sie hat ihren Wahlbezirk in Bremen, pflegt aber seit Jahren enge Kontakte in die russische Zivilgesellschaft. Dementsprechend ist sie immer wieder auf Reise:
"Was macht sie eigentlich, wird auch bei mir in der lokalen Presse gesagt und das tut weh, weil das sich natürlich fortsetzt bei den eigenen Parteikollegen, weil die dann sagen, mit der können wir keinen Blumentopf gewinnen bei den nächsten Wahlen."
Einfluss haben die Medien aber nicht nur auf unser Bild von deutschen Außenpolitikern, sie prägen auch unser Verständnis von den Geschehnissen im Ausland. Die Entwicklungen der deutschen, seriösen Auslandsberichterstattung aus Russland und Osteuropa verfolgt Stefan Meister von der DGAP mit Besorgnis:
"Es gibt eben auch kaum mehr Auslandskorrespondenten mehr in Osteuropa. 'Die Zeit' zum Beispiel hat ihr Büro in Moskau einfach geschlossen. Sie haben maximal noch eine oder anderthalb Personen in einer Großregion postsowjetischer Staaten. Da sitzt der Redakteur oder die Redakteurin in Moskau und macht dann Ukraine, macht dann Kaukasus, macht dann zum Teil noch Zentralasien, also sie haben auch sehr wenig Wissen in den Medien letztlich, die dann auch nur Stereotypen wiedergeben, weil sie überhaupt nicht die Regionalkenntnisse haben."
Osteuropa-Debatten ohne Detailkenntnisse
Der Rückbau von Osteuropakompetenz in Medien, Hochschulen und Think Tanks stellt die Politik zunehmend vor das Problem einseitiger Wissens-Quellen. Das Niveau, auf dem im Bundestag über Osteuropa-Politik gestritten und beraten wird, hängt auch von der Qualität und der Vielfalt des Wissens-Flusses in die Politik ab. Wenn die Politik nur noch von wenigen Wissensquellen gespeist wird, leidet auch die Pluralität im Bundestag. Und damit auch eine wohldurchdachte Außenpolitik. Wie also weiter? Welche Konsequenzen sollten aus dieser Situation außenpolitischer Überforderung gezogen, welche Weichen für die Zukunft deutscher Russlandpolitik gestellt werden? Einer der derzeitigen außenpolitischen Entscheidungsträger ist Gernot Erler von der SPD. Er ist der aktuelle Koordinator der Bundesregierung für Russland, Zentralasien und die Länder der östlichen Partnerschaft. Er sorgte für erhitzte Diskussionen, als er vor einigen Monaten ein Ende des Russland-Bashings forderte und um mehr Verständnis für das Misstrauen Moskaus gegenüber dem Westen warb. Auch Erler bringt eine langjährige Expertise mit, er studierte slawische Sprachen und osteuropäische Geschichte. Damit ist er einer der wenigen im Bundestag. Doch an der mangelnden Russlandkompetenz dort lässt sich kurzfristig auch nicht viel ändern, glaubt er:
"Also jetzt zu sagen, ja jetzt ist ja wohl die Partnerschaft mit Russland vorbei, also müssen wir jetzt Potentiale aufbauen, die geeignet sind, einen Kalten Krieg zu überstehen, das ist glaube ich eine Fehlleitung. Im Zweifelsfall müssen das die gleichen Gruppierungen von Leuten, die über Expertise verfügen machen, die wir heute schon haben, das sind langfristige Prozesse des personellen Austauschs."
Ein Generationswechsel, der sich langsam vollzieht, der aber aus der Sicht von Journalistin Gema Pörzgen dringend notwendig ist:
"Mich erschreckt, dass es im Moment in dieser Krise sehr viele vor allem ältere Politiker gibt, die den Anschein erwecken, als bewegten wir uns zurück in eine Phase des Kalten Krieges. Das ist aus meiner Sicht eine völlige Fehleinschätzung der tatsächlichen Entwicklung. Es ist eine ganz neue Phase und ich glaube, es braucht dafür ganz neue Außenpolitiker mit ganzen neuen Ansätzen, mit einem frischen Verständnis für das, was in dieser Welt passiert und ich wünsche mir, dass es da einfach einen Generationswechsel gibt."
Auch die Regierung scheint dieses Problem zumindest erkannt zu haben. Gernot Erler deutet an, dass es derzeit eine Diskussion um einen eigenen Osteuropa-Think-Tank gibt. Der soll mit über zehn Expertenstellen ausgestattet werden:
"Es gibt den Bedarf nach Expertise und wenn wir uns das leisten können, wenn das also möglich ist, dafür Mittel einzustellen, das wären natürlich nicht unerhebliche Mittel, wenn man also ein ganzes neues Institut vielleicht aufbaut, dann würde ich das persönlich begrüßen."
Und so könnte die Ukraine-Krise zumindest ein Gutes nach sich ziehen: Dass die deutsche Russlandpolitik in Zukunft wieder auf mehr Expertise wird bauen können.