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Fehlende Prävention in Nepal
"Man kann sich bei Betroffenen nur entschuldigen"

Nach dem Erdbeben in Nepal habe man in Bezug auf Prävention erkannt, "dass dort gehandelt werden muss", sagte Christoph Strässer, Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, im DLF. Besonders in armen Gebieten müssten Vorsorgemaßnahmen für Erdbeben getroffen werden.

Christoph Strässer im Gespräch mit Bettina Klein |
    Christoph Strässer, Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe.
    Christoph Strässer, Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, fordert eine Diskussion über Präventionsmaßnahmen in Erdbebenregionen. (imago/epd)
    Die Prävention in Erdbebenregionen sei auch eine Frage der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, betonte der SPD-Politiker. Es müssten Evakuierungsräume geschaffen und Siedlungen gebaut werden, die Erdbeben standhalten können, forderte Strässer im Interview mit dem Deutschlandfunk.
    "Gezielte Förderung mit einer Million Euro"
    Die Geschehnisse in Nepal seien "ausgesprochen bedauerlich", so Strässer. Die Arbeit der Hilfsorganisationen werde zurzeit auch durch die zerstörte Kommunikationseinrichtungen erschwert. Deutschland stelle deshalb 2,5 Millionen Euro Soforthilfen bereit, eine Million davon für die Reparatur der Telefon- und Mobilfunknetze, erklärte der Bundesbeauftragte für humanitäre Hilfe.
    Bei dem Beben waren am Samstag mindestens 4.800 Menschen ums Leben gekommen. Es wird befürchtet, dass die Zahl deutlich steigt, wenn abgelegene Gegenden erreicht werden. Tausende Menschen versuchen inzwischen, die Hauptstadt Kathmandu zu verlassen, um in ihre Heimatorte zurückzukehren.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Mitgehört hat Christoph Strässer (SPD). Er ist der Koordinator der Bundesregierung für die humanitäre Hilfe. Guten Morgen, Herr Strässer.
    Christoph Strässer: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Jetzt sagen Sie uns zunächst: Was ist im Augenblick Ihre Aufgabe, was die Situation in Nepal angeht?
    Strässer: Unsere Aufgabe hier in Berlin ist es - da ist ja ein ganzer Arbeitsstab und der Krisenstab beschäftigt -, zunächst einmal zu schauen, was ist vor Ort eigentlich dringend erforderlich. Dafür gibt es ja Organisationen, auch deutsche Organisationen. Und wir haben gerade gehört: Eine der wichtigsten Maßnahmen ist die Wiederherstellung der Kommunikation. Dazu ist eine deutsche Organisation vor Ort und dazu wird auch ganz gezielt gefördert mit einer Million Euro, um diese Mindestvoraussetzung herbeizuführen. Darüber hinaus ist natürlich unsere Aufgabe hier in Deutschland, uns zu koordinieren mit unseren Hilfsorganisationen, auch mit dem Technischen Hilfswerk und dem Deutschen Roten Kreuz, die unterwegs sind nach Kathmandu und wohl jetzt auch die Landeerlaubnis haben. Das ist jetzt das Allerwichtigste, zu koordinieren, zu schauen, was wird benötigt, und das Dringendste, Zelte, Gesundheitsversorgung, Nahrungsmittelversorgung zu organisieren und so schnell wie möglich vor Ort zu bringen.
    Klein: Genau das, was gerade angesprochen wurde, nämlich dass man zum Beispiel mobile Einheiten, Mobilfunkeinheiten dort hintransportiert. Das passiert im Augenblick von deutscher Seite?
    Strässer: Das passiert im Augenblick. Wir haben im Moment aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes 2,5 Millionen Euro eingeplant und dafür ist ein ganz großer Teil, zirka eine Million, gerade für die Wiederherstellung des Kommunikationsnetzes geplant. Und ich glaube, das was wir gehört haben, da ist das genau richtig und wichtig.
    Hauptproblem: Desolate Infrastruktur insbesondere um den Flughafen
    Klein: Wir haben - ich habe es auch gerade noch mal angedeutet - immer wieder gehört von Koordinationsproblemen, die nicht nur begründet liegen in der nicht vorhandenen Mobilfunkverbindung, sondern dass es Abstimmungsschwierigkeiten gibt, dass es auch unterschiedliche Auffassungen davon gibt, wie man jetzt am besten vorgehen kann, was die einzelnen Hilfsorganisationen auch angeht. Wie ist Ihr Eindruck?
    Strässer: Ich habe schon den Eindruck, dass die Koordination recht gut läuft. Ich habe schon gesagt, es sind hier einige deutsche, internationale Organisationen schon seit vielen Jahren vor Ort, die uns auch ständig berichten, wie läuft das und wo müssen wir besser werden. Es gibt vor Ort jetzt mittlerweile auch Einrichtungen, die koordinieren auf der Ebene der Vereinten Nationen. Das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Hilfe wird auch unterstützt. Es gibt immer Anlaufschwierigkeiten, aber ich glaube, auch gerade nachdem die Dringlichkeit erkannt ist, sind wir doch jetzt in der Lage, sehr, sehr schnell und ich hoffe auch sehr punktgenau zu helfen. Das Problem, was auch angesprochen worden ist in dem Bericht, ist in der Tat die desolate Infrastruktur, insbesondere um den Flughafen.
    Klein: Sie sind in der Funktion eines Koordinators. Wie können Sie denn beim Koordinieren helfen zum Beispiel?
    Strässer: Ich habe selbst keine oder fast keine operative Funktion. Ich werde ständig unterrichtet über die Lage, wie sie ist, was im Moment unterwegs ist, was wir tun können, und dann wird intern darüber gesprochen, wie die Situation zu verbessern ist. Wie gesagt, keine operative, sondern nur eine koordinierende Funktion. Der Rest, die große Arbeit läuft im Arbeitsstab des Auswärtigen Amtes in der Fachabteilung und im Krisenstab. Die sind alle rund um die Uhr mittlerweile beschäftigt und versuchen, so gut wie möglich dort einzugreifen.
    Klein: Herr Strässer, ein wichtiger Aspekt bei der ganzen Katastrophe war und ist ja auch, dass Armut offenbar auch in diesem Fall ein hohes Todesrisiko bedeutet hat. Das heißt, dass bei solchen Erdbeben viel mehr Menschen umkommen als zum Beispiel in Industrieländern, wenn vergleichbare Ereignisse dort zu verzeichnen sind. Muss man auch konstatieren, dass die internationale Gemeinschaft auch mit Blick auf Nepal im Vorfeld versagt hat?
    Strässer: Ja, es ist ja erkannt worden. Wir haben ja in den letzten Jahren auch durch die Tsunami-Katastrophen immer wieder dieses Thema auf der Tagesordnung gehabt. Und ich denke, es ist auch erkannt, dass dort gehandelt werden muss. Ich bin selbst vor wenigen Wochen in Japan gewesen, in Sendai. Da hat eine große internationale Konferenz zur Reduzierung von Risiken aus solchen Naturkatastrophen stattgefunden, gerade auch vor dem Hintergrund, dass ja auch Japan vom Tsunami betroffen war, und da sind internationale Maßnahmen besprochen worden, beschlossen worden, wie man diese Risiken reduzieren kann, und dazu gehört natürlich auch, dass gerade in den Bereichen, in denen große Armut herrscht, Vorsorge getroffen wird, Vorsorge zum einen, was die baulichen Voraussetzungen angeht, dass auch die Wohnungen, die Städte einem Erdbeben widerstehen können, aber auch, dass man schnell evakuieren kann. Aber das ist auch in Nepal sehr, sehr schwierig, auch aufgrund der geographischen Situation. Aber das ist erkannt und ich glaube, das wird auch behandelt.
    "In Nepal dürfen nicht dieselben Fehler gemacht werden beim Wiederaufbau"
    Klein: Es ist erkannt worden und besprochen worden, aber nur leider nicht rechtzeitig genug, um diese Katastrophe jetzt zu verhindern.
    Strässer: Nein, das kann man so sagen. Die Menschen, die in Nepal jetzt betroffen sind, haben von diesen Entwicklungen natürlich im Moment nichts. Deshalb ist es im Moment jedenfalls ganz, ganz dringlich, dass diese humanitäre Hilfe geleistet wird, und da bin ich optimistisch, dass man das tun kann, was wirklich erforderlich ist.
    Klein: Auf welcher Ebene passiert das denn? Nepal ist ja auch nicht das einzige bitterarme Land, das in einer solchen Erdbebenregion angesiedelt ist. Ist das auch eine Frage der Entwicklungspolitik, wo Projekte gefördert werden müssen?
    Strässer: Ja. Ich denke, es ist ein ganz, ganz vielfältiges Projekt. Zum einen, ich sage das noch einmal: Das war nicht selbstverständlich, dass es in Japan gelungen ist, eine Erklärung zu verabschieden, in der diese ganzen Probleme benannt werden zunächst einmal, und das ist ja die Voraussetzung dafür, dass man sie auch lösen kann. Ich denke, es ist natürlich auch eine Frage der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, denn das, was jetzt zum Beispiel in Nepal passieren muss, der Wiederaufbau, da dürfen natürlich nicht dieselben Fehler gemacht werden, wie sie aufgrund der Armutssituation die nepalesische Regierung, die ja ihr Versagen auch eingestanden hat, geleistet hat. Dort müssen dann Siedlungen gebaut werden in einer Erdbebenregion, die letztendlich auch dem Erdbeben standhalten können durch andere bauliche Voraussetzungen. Das sind sicherlich auch Entwicklungsprojekte, ja.
    Klein: Im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, so hörten wir gestern, wird durchaus auch an konkreten Maßnahmen und Ideen gearbeitet. Geben Sie uns ein Beispiel, wie das aussehen könnte.
    Strässer: Da bin ich jetzt, muss ich gestehen, überfordert. Aber man kann natürlich - und das ist eine allgemeine Erkenntnis, die nicht nur für Nepal gilt - Städte so anlegen, dass zum einen, wenn die Erde bebt, was man ja nun nicht verhindern kann, Vorsorge getroffen wird, eine Prävention, dass man das vielleicht doch rechtzeitig erkennt, dass es Evakuierungsräume gibt, aber auch, dass Stadtteile so geplant werden, dass sie nicht beim ersten Erdstoß zusammenbrechen. Ich glaube, das sind die Aufgaben. Die sind bekannt und die werden sicherlich auch im Ergebnis dieser Erfahrungen in Nepal jetzt umgesetzt.
    Klein: Müsste alles wahrscheinlich nur ein bisschen schneller gehen.
    Strässer: Ja, das ist natürlich immer genau das Problem, auch gerade auf der internationalen Ebene. Ich habe das noch nicht so oft erlebt, aber diese Konferenz in Sendai, da haben Hunderte von Leuten tagelang, nächtelang zusammengesessen, um die Staaten mit ins Boot zu holen. Das ist ein ganz, ganz schwieriges Geschäft und ich wünsche mir sehr, dass es Impulse gibt - das klingt jetzt zynisch -, auch jetzt ausgehend von solchen Erdbebenereignissen wie in Nepal, dass das massiv befördert wird auch in unserer gesellschaftlichen Diskussion hier in Deutschland.
    "Verstärkte humanitäre Hilfe ist im Moment das Gebot"
    Klein: Es sind Tausende Menschen ums Leben gekommen. Die Opferzahl wird vermutlich noch weiter steigen. Es sind auch unschätzbare historische Kulturgüter zerstört worden dabei. Auf welcher Ebene muss eigentlich der Schutz dieser Bauten zum Beispiel angesiedelt werden? Gibt es den Schutz? Wer schützt diese Kulturgüter in solchen Regionen?
    Strässer: Nach dem jetzigen Erkenntnisstand in Nepal offensichtlich niemand, und es ist sicherlich ein Erfordernis, das wir ja auch in anderen Bereichen haben. Das betrifft ja jetzt nicht nur Naturkatastrophen. Da sehe ich im Moment Schutzmechanismen, die wirken, auch auf der internationalen Ebene nicht. Wir müssen ja auch konstatieren, dass es immer auch eine Voraussetzung ist, die jetzt diskutiert wird, dass auch die Staaten und die Regierungen in den Regionen selbst eine Verantwortung haben, und wenn eine Regierung wie in Nepal eingesteht, sie schafft es nicht, dann heißt das auch, es braucht auch Unterstützung für den Aufbau von Strukturen, die letztendlich auch wirken können. Das ist ein ganz, ganz vielfältiges Bündel von dem, was jetzt auf uns zukommt, und ich sage es noch mal: Es ist ausgesprochen bedauerlich und man kann sich da im Grunde genommen auch bei den betroffenen Menschen nur für entschuldigen. Das wirkt und das hilft ihnen konkret und jetzt in der Situation nicht. Deshalb noch mal: Verstärkte humanitäre Hilfe ist im Moment das Gebot und das andere muss getan werden so schnell wie möglich.
    Klein: Das Land Nepal hatte auch vor diesem Erdbeben genug andere Sorgen aufgrund der Armut und der schlechten wirtschaftlichen Lage. Jetzt sehen wir diese Vorher-Nachher-Bilder, auch was die Kulturgüter und diese historischen Schätze angeht. An wen hätte sich denn eine solche Regierung wenden können, oder können sich andere Regierungen wenden, wenn sie zum Ergebnis kommen, sie können den Schutz selber nicht unterstützen?
    Strässer: Es gibt ja auch regionale Bündnisse, in denen Nepal vertreten ist. Die haben große Nachbarländer, die große Kapazitäten haben. Aber es ist letztendlich so: Auch gerade der Schutz von Kulturgütern ist natürlich eine Aufgabe, die im Rahmen zum Beispiel der UNESCO besprochen werden muss. Das ist ja jetzt nicht eine Angelegenheit, die nur den Staat Nepal angeht, sondern Sie haben zurecht gesagt, das ist eine Menschheitsgeschichte, die dort jetzt vernichtet worden ist, und das, meine ich, müsste auch unter den Schutz der internationalen Gemeinschaft, in dem Fall der UNESCO fallen.
    Klein: Christoph Strässer, der Koordinator der Bundesregierung für humanitäre Hilfe, zu den notwendigen Konsequenzen im Zusammenhang mit der Erdbebenkatastrophe jetzt im Himalaya. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Strässer.
    Strässer: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.