Ann-Kathrin Büüsker: Bald vier Wochen nach dem Anschlag von Berlin geraten die möglichen Fehler der Behörden in den Blick der Debatte. Darüber möchte ich nun mit Joachim Krause sprechen. Er ist Professor für Sicherheitspolitik an der Uni in Kiel. Guten Tag, Herr Krause!
Joachim Krause: Guten Tag.
Büüsker: Herr Krause, Justizminister Maas räumt jetzt Fehler der Behörden ein. Warum diskutieren wir dann seit fast vier Wochen über Gesetzesverschärfungen im Bereich der inneren Sicherheit?
Krause: Das kann ich nicht ganz so nachvollziehen. Ich habe Herrn Maas nicht so verstanden, als dass er hier von Behördenversagen gesprochen hat, sondern er hat gesagt, hier sind sehr viele Fehler geschehen und es läge auch an der gesetzlichen Lage, die insgesamt so ist, dass eine Menge von unklaren Zuständigkeiten beziehungsweise überschneidenden Zuständigkeiten besteht. Vor allem ist es sehr schwierig, was die Abschiebehaft betrifft für abgelehnte Asylbewerber, dass man hier angewiesen ist auf die Zustimmung von Justizbehörden, die eine ganz eigene Behörde sind. Man muss das sehr differenziert sehen. Diese ganze Debatte, ob nur die Gesetzeslage falsch ist, oder Behördenversagen vorliegt, halte ich für eine Debatte in dieser Art und Weise, die nicht angebracht ist.
Büüsker: Warum nicht?
Krause: Weil es ist beides. Das was als Behördenversagen gekennzeichnet wird, ist häufig die Tatsache, dass Behörden nicht das machen können, was sie gerne machen wollten oder sollten, weil sie durch gesetzliche Vorgaben daran gehindert werden. Denn die Gesetze sollen ja einerseits den Bürger vor Gefahren schützen; sie sollen den Bürger auch vor dem Staat schützen. Und das ist oftmals für Behörden eine ganz schwierige Lage.
"Tunesien weigerte sich, zu kooperieren"
Büüsker: Herr Krause, können wir das vielleicht ein bisschen plastischer machen? Haben Sie da vielleicht ein konkretes Beispiel für uns?
Krause: Wir haben die Abschiebehaft. Es gibt zwar die Möglichkeit bis 18 Monate, aber diese Möglichkeit ist real nicht existent, weil eine Haft kann nur durch einen Richter ausgesprochen werden und die kann auch nur dann ausgesprochen werden, wenn die Aussicht besteht, dass dieser Kandidat in den nächsten Wochen oder Monaten von seinem Heimatland angenommen wird. Wenn, wie in diesem Fall es war, der Kandidat nicht von Tunesien angenommen werden konnte, weil Tunesien sich weigerte zu kooperieren, dann konnte man ihn auch nicht länger inhaftieren. Da liegt das Problem und dieses Problem haben die beiden Minister meines Erachtens völlig richtig erkannt und das kann man nicht den Behörden zum Vorwurf machen, sondern hier ist eine Gesetzeslage, die gehört korrigiert.
Büüsker: Und die Minister haben einen Plan vorgelegt, wie sie es korrigieren wollen. Halten Sie den für ausreichend?
Krause: Das wird man sehen, ob das ausreichend ist. Es sind immer nur kleine Schritte, die man dann machen kann, wenn man festgestellt hat, wie in diesem Falle, dass hier die Gesetzeslage so ist, dass sie effektives Handeln der Behörden verhindert oder erschwert. Und dann muss man daraus die Konsequenzen ziehen und das ist, glaube ich, jetzt im Einvernehmen mit den beiden Ministern geschehen. Und ich halte die Debatte, ob jetzt ein Behördenversagen dahinter stünde oder nicht, für nicht besonders hilfreich. Behördenversagen, das hört sich für mich so an, als ob die Schulaufsichtsbehörde nicht richtig eine bestimmte Schule beaufsichtigt hat oder so. Aber das ist hier doch ein etwas sehr viel komplexeres Gebiet.
"Das System effektiver machen"
Büüsker: Aber das ist ja schon ein Eindruck, der sich auch vielen Beobachtern aufdrängt, wenn da so viele unterschiedliche Behörden in dieser Sache beteiligt sind, aber niemand eine Konsequenz gezogen hat.
Krause: Ja. Das ist aber nicht Schuld der Behörden, sondern das ist Schuld des Gesetzgebers, der aus guten Gründen im Übrigen ja ein, ich sage mal, System aufgebaut hat der Strafverfolgung, welches erst mal föderal organisiert ist, welches in viele verschiedenen Einheiten aufgeteilt ist. Damit sollen ja Freiheitsspielräume der Bürger gerettet werden. Das ist ja auch vernünftig und nachvollziehbar. Nur in diesem Fall merken wir, dass dieses System, welches ja den Bürger vor dem Staat auch schützen soll, durchaus dazu führen kann, dass Bürger durch Terroristen umgebracht werden können, und da muss man sich einfach mal über dieses grundlegende Problem austauschen, inwieweit kann man dieses System effektiver machen, ohne dass man die Freiheitsrechte der Bürger einschränken kann. Das ist eigentlich die Grundfrage. Die wird meines Erachtens in der Politik und in den Medien viel zu wenig aufgeführt.
"Gesamtkontrolle des Bundesverfassungsschutzes"
Büüsker: Innenminister Thomas de Maizière hat ja erste Vorschläge vorgelegt, die zu einer Zentralisierung bei zahlreichen Behörden führen würden, unter anderem beim Verfassungsschutz, und die Reaktionen aus den Ländern, die waren heftig. Die haben eigentlich im Prinzip direkt sofort alles abgelehnt. Wie ist das dann zu erklären?
Krause: Ja, das finde ich unverantwortlich. Ich meine, die Länder müssen auch mal überlegen, ob das Sinn macht, auf Landesebene noch Verfassungsschutz zu betreiben, und zwar nur auf Landesebene. Es geht ja nicht darum, dass die Landesverfassungsschutzämter aufgelöst werden, sondern sie sollen unter die Gesamtkontrolle des Bundesverfassungsschutzes gestellt werden. Sie sollen praktisch diesem angegliedert werden. Das hat meines Erachtens schon eine Menge an Vorteilen, weil es führt auch dazu, dass diese Ämter das, was sie produzieren, besser untereinander austauschen würden. Es würde auch dazu führen, dass sie effektiver arbeiten können. Aber es ist dann natürlich immer wieder der jeweilige landespolitische Egoismus, der dazu führt, dass dann Politiker, egal, aus welcher politischen Partei sie kommen, erst mal diese Vorschläge in zum Teil rüder Sprache abkanzeln.
Büüsker: Aber würde eine solche Zusammenlegung nicht unter Umständen auch dazu führen, dass Arbeitswege länger werden und mehr Bürokratie entsteht?
"Eine klarere Gesamtantwort auf den islamistischen Fundamentalismus"
Krause: Ich glaube nicht. Im Gegenteil! Es würde eher dazu führen, dass Arbeitswege abgekürzt werden. Und ich meine, so groß sind diese Ämter ja alle nicht. Das sind ja zum Teil nur zwei, drei Dutzend Leute, die da arbeiten. Die können viel effektiver arbeiten, wenn sie klarer geführt würden.
Büüsker: Für wie wahrscheinlich halten Sie es denn, dass es hier zu einer Änderung kommen kann?
Krause: In dieser Republik ist alles möglich, entweder zum Guten oder zum Schlechten. Deswegen kann ich diese Frage im Augenblick nicht beantworten. Im Augenblick sieht es nicht gut dafür aus. Aber wer weiß, was alles noch kommen kann. Es würde auch nicht die Dinge grundsätzlich wenden, aber es würde zumindest ein erster Impuls sein in Richtung einer klareren Gesamtantwort dieses Staates auf die terroristische Herausforderung des islamistischen Fundamentalismus.
Büüsker: Aber wenn ich Sie eben richtig verstanden habe, dann stehen dem vor allem die Interessen der Länder entgegen?
Krause: Ja. Es ist leider immer so in der Politik - das ist mehr in der Politik als jetzt in der Verwaltung -, dass es dann Interessen gibt, dass man seine bestimmten Bereiche nicht aufgeben will. Dann muss man als Politiker auch mal über den eigenen Zaun springen. Es geht ja letztendlich um die Sicherheit dieses Landes und um die Sicherheit der Bürger und die muss eigentlich im Vordergrund stehen und nicht immer diese Kurzschüsse, diese argumentativen Kurzargumente, die im Grunde genommen uns nicht viel bringen, sondern dazu führen, dass man eine hektische und aufgeheizte politische Diskussion hat, aber keine Diskussion, die sich um die Lösung der Probleme kümmert.
30 Gefährder zuzeiten der RAF, 250 bis 500 Gefährder heute
Büüsker: In dieser Diskussion sind ja viele Einzelvorschläge aufgekommen, unter anderem auch die Fußfessel für Gefährder, die öfter eingesetzt werden soll. Besteht bei solchen Maßnahmen nicht die Gefahr, dass wir uns in so einer Art vorbeugende Verbrechensbekämpfung begeben, die alleine auf Verdacht beruht und gar nicht mehr an die Straftat gekoppelt ist?
Krause: Ja, das ist angesichts der Gefährdung leider nicht ganz zu vermeiden. Ich meine, wir haben ungefähr 500 Gefährder in Deutschland, von denen im Augenblick sich die Hälfte im Ausland befindet. Aber es sind hier ungefähr 250 Gefährder in Deutschland. Das ist eine Größenordnung, die wir noch nie gehabt haben in der Geschichte. Wenn ich mal zurückdenke an die Zeiten der Roten Armee Fraktion, da waren nicht mehr als 30 Gefährder auf einmal auf dem Radarschirm der Polizei. Das ist eigentlich eine Herausforderung, wie wir sie in dieser Größenordnung nicht hatten und wo man etwas machen muss, und da muss man sich stärker als es bisher notwendig war, mit präventiven Maßnahmen beschäftigen. Die Fußfessel ist eine Hilfe, würde ich mal sagen, zur Beobachtung dieser Leute, aber sie kann natürlich niemand daran hindern, einen Anschlag zu machen. Aber sie gibt den Polizeibehörden und Verfassungsschutzämtern zumindest eine gewisse Möglichkeit, jemand im Visier zu behalten.
Büüsker: Aber wie ist das denn mit dem deutschen Strafrecht vereinbar, wo ja ein Gericht erst mal die Schuld einer Person feststellen muss?
Krause: Ja, da gibt es ja auch schon Ausnahmen. Ich meine, die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ist auch schon eine Sache, die sehr stark ins Präventive hineingeht, und es gibt auch natürlich Bestimmungen im Strafgesetz. Wenn sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine Straftat begangen wird, dann kann man was präventiv machen. Aber das ist alles noch sehr begrenzt und es ist auch die Frage nach deutschem Strafrecht, ob es hier noch einen Revisionsbedarf gibt. Das ist eine Sache, die sollte man auch nicht nur, ich sage mal, im Hin- und Herwerfen von politischen Ausdrücken oder Parolen lösen, sondern die muss man sehr gründlich angehen und muss man mit Juristen sehr genau prüfen, was dort möglich ist, um dieser spezifischen Gefährdung zu begegnen.
"Eine Herausforderung, die weit über das Strafrecht hinausgeht"
Büüsker: Das ist ja nun wirklich eine sehr heikle Sache, die Sie da ansprechen und auch fordern.
Krause: Ja.
Büüsker: Wie schafft man es, das so zu lösen, dass nicht gegen bestimmte Gruppen ein Generalverdacht entsteht?
Krause: Ja, es kommt darauf an, welche bestimmten Gruppen Sie meinen. Es kann durchaus sein, dass gegen bestimmte Gruppen ein Generalverdacht besteht. Der besteht heute zum Beispiel gegen, ich sage mal, dschihadistische Salafisten. Das ist ja eine politische Bewegung, die ihren Ursprung nicht bei uns hat, sondern in der arabischen Welt und die weltweit ein sehr großes transnationales Netz aufgebaut hat, deren Zentrum heute der Islamische Staat ist, der ja immer noch existiert und wohl offensichtlich auch noch länger existieren wird. Und wir müssen uns mit diesem Phänomen, mit dieser politisch-religiösen Bewegung auseinandersetzen.
Das sind nicht nur Straftäter in unserem Sinne, sondern es ist eine Herausforderung, eine politisch-religiöse Herausforderung, die weit über das Strafrecht hinausgeht, wo wir uns auch die Frage stellen müssen, wer kontrolliert eigentlich, wer bei uns Moscheen baut, wer sie finanziert und wer darin predigt, bis hin zu solchen Dingen. Das ist eine sehr viel weitere Herausforderung und das, was Sigmar Gabriel gesagt hat, das ist ein Kulturkampf, das ist durchaus richtig.
Büüsker: So die Einschätzung von Joachim Krause, Professor für Sicherheitspolitik an der Universität in Kiel. Herr Krause, vielen Dank für das Gespräch.
Krause: Ja, gerne geschehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.