Untergang des Hauses Habsburg, Ende des Osmanischen Reiches, Aufstieg der USA zur Weltmacht, Keimzelle oder Katalysator des deutschen Nationalismus – der Erste Weltkrieg kostete nicht nur Millionen Menschen das Leben, sondern veränderte weltweit das Gefüge der Staaten und Nationen. Die Australier beispielsweise betrachten bis heute ihre Teilnahme am Great War als entscheidenden Schritt zur Ausbildung eines eigenen Nationalbewusstseins. Oliver Janz, Professor für neuere Geschichte an der FU Berlin, stellt in seinem Buch sogar die These auf, dass der Erste Weltkrieg 1918 noch lange nicht zu Ende gewesen sei – vor allem nicht in Ost- und Südosteuropa und schon gar nicht im Nahen und Mittleren Osten.
"Es schließen sich in diesen Regionen unmittelbar an den Ersten Weltkrieg große Nachfolgekonflikte an, die direkt aus ihm hervor gehen. Die russische Revolution geht unmittelbar in den russischen Bürgerkrieg über, der bis 1922 anhält und der im Übrigen in sich selbst ein globaler Krieg ist, denn Japaner und Amerikaner und andere intervenieren in ihn und im Nahen und Mittleren Osten kommt es unmittelbar im Anschluss zu einem nationaltürkischen Befreiungskrieg gegen die westlichen Alliierten, aber auch zu einem Krieg gegen Griechenland, der mit einem großen Bevölkerungsaustausch dann bekanntlich endet, der dazu führt, dass in Kleinasien die Geschichte der Griechen nach Tausenden von Jahren zu einem Ende kommt."
Wer in Deutschland heute den Begriff Erster Weltkrieg hört, der sieht vor allem Bilder von Schützengräben der Westfront vor sich, denkt vermutlich an die "Todesmühle von Verdun", durch die innerhalb weniger Monate 2,5 Millionen deutsche und französische Soldaten geschickt wurden. Doch wie Oliver Janz darlegt, waren die Verluste von Menschenleben im Osten viel höher, vor allem wenn man die Zivilbevölkerung mit einbezieht:
"Der Krieg war hier viel stärker Bewegungskrieg. Das heißt, die Fronten verschoben sich mehrmals bedeutend während des Krieges, etwa in Galizien oder im Kaukasus. Beim Vormarsch des Gegners flohen oft große Teile der Bevölkerung, beim Rückzug der Truppen wurde dem Gegner oft verbrannte Erde hinterlassen. So wurden allein während des großen Rückzugs der Russen 1915 mehr als drei Millionen Zivilisten dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und mit den Truppen nach Osten zu ziehen. Und bei diesen forcierten Umsiedlungen kam es wegen der schlechten Versorgungslage zu enormen Opfern."
Und noch mit einem weiteren Vorurteil, das sich hartnäckig hält, räumt Oliver Janz auf: nämlich dem der angeblichen Kriegsbegeisterung von 1914. Diese habe sich in allen Ländern auf wenige Schichten beschränkt: das national eingestellte Bürgertum, Teile des Militärs und der akademischen Jugend. Die Landbevölkerung beispielsweise stand, so Janz, unter Schock, denn zu Kriegsbeginn im August fehlten nun die jungen Männer, um die Ernte einzubringen. Auch die nach Zahlen stärkste politische Kraft, die SPD, stand dem Krieg ablehnend gegenüber. Die bürgerliche Presse berichtete jedoch nur einseitig und prägte so ein fehlerhaftes Geschichtsbild mit. Janz schreibt:
"In keinem Land sind im Juli 1914 mehr Menschen gegen den Krieg auf die Straße gegangen als in Deutschland. Der Massenandrang bei diesen Kundgebungen war weit größer als bei früheren Antikriegsveranstaltungen der Sozialdemokratie, obwohl sie meist an Werktagen stattfanden und ihnen keine langen Kampagnen vorausgingen. In der deutschen Arbeiterschaft stieß der Krieg also auf breite Ablehnung, doch die größte sozialistische Partei der Welt hat dieses Potenzial nicht dazu genutzt, massiven Druck auf die Reichsleitung auszuüben. Vielmehr fügte sich die Führung der Partei in das Ende Juli verhängte landesweite Demonstrationsverbot. Somit konnten ihre Anhänger das öffentliche Bild nicht mehr in dem Maße bestimmen, wie es ihrer Stärke entsprochen hätte."
Die Führung der deutschen Sozialdemokraten schloss bald ihre Reihen hinter dem von oben verordneten "Burgfrieden" und stellte sich hinter die offizielle These vom Verteidigungskrieg. Die Militärs aller Staaten jedoch orientierten sich an Offensivstrategien – obwohl diese durch die technische Verbesserung der Schusswaffen nur zu einem sinnlosen und langwierigen gegenseitigen Abschlachten führen mussten, wie Oliver Janz schreibt:
"Einer der Ersten, der die Folgen der veränderten Waffentechnik erkannte, war der polnische Eisenbahnunternehmer, Bankier und Pazifist Jan Bloch. Sein 1899 auf Russisch veröffentlichtes und bald in alle wichtigen europäischen Sprachen übersetztes Buch "Die Zukunft des Krieges" argumentierte, dass die neuen Waffensysteme, weil sie dem Verteidiger eine vielfache Überlegenheit über den Angreifer sicherten, klassische Infanterie- oder Kavallerie-Attacken obsolet und siegreiche Entscheidungsschlachten unwahrscheinlich gemacht hätten. In künftigen Kriegen würden die Infanteristen sich in Schützengräben verschanzen, zwischen denen sich eine Feuerzone erstrecken werde, die nur mit hohen Verlusten zu überwinden sein werde. Ein künftiger Krieg zwischen Industriestaaten, so Bloch weiter, werde ein langer Abnutzungskrieg zwischen Millionenheeren sein, der zu wirtschaftlichem Ruin, Hungersnöten und Revolutionen führen würde."
Und so kam es dann auch. Oliver Janz hat mit seinem Buch "14 - Der große Krieg" ein umfassendes Standardwerk über den Ersten Weltkrieg, seine Vorgeschichte und seine Auswirkungen vorgelegt. Und obwohl er dabei auf emotionale Bewertungen verzichtet, erschrickt man auch noch 100 Jahre nach den Ereignissen - über das grenzüberschreitende Versagen von Politikern, Medien und Intellektuellen, die in ihrer großen Mehrheit den Krieg in diesem Ausmaß, in dem er stattfand, nicht gewollt, aber auch nicht verhindert haben.
Oliver Janz: 14 - Der große Krieg.
Campus Verlag, 415 Seiten, 24,99 Euro, ISBN: 978-3593395890
"Es schließen sich in diesen Regionen unmittelbar an den Ersten Weltkrieg große Nachfolgekonflikte an, die direkt aus ihm hervor gehen. Die russische Revolution geht unmittelbar in den russischen Bürgerkrieg über, der bis 1922 anhält und der im Übrigen in sich selbst ein globaler Krieg ist, denn Japaner und Amerikaner und andere intervenieren in ihn und im Nahen und Mittleren Osten kommt es unmittelbar im Anschluss zu einem nationaltürkischen Befreiungskrieg gegen die westlichen Alliierten, aber auch zu einem Krieg gegen Griechenland, der mit einem großen Bevölkerungsaustausch dann bekanntlich endet, der dazu führt, dass in Kleinasien die Geschichte der Griechen nach Tausenden von Jahren zu einem Ende kommt."
Wer in Deutschland heute den Begriff Erster Weltkrieg hört, der sieht vor allem Bilder von Schützengräben der Westfront vor sich, denkt vermutlich an die "Todesmühle von Verdun", durch die innerhalb weniger Monate 2,5 Millionen deutsche und französische Soldaten geschickt wurden. Doch wie Oliver Janz darlegt, waren die Verluste von Menschenleben im Osten viel höher, vor allem wenn man die Zivilbevölkerung mit einbezieht:
"Der Krieg war hier viel stärker Bewegungskrieg. Das heißt, die Fronten verschoben sich mehrmals bedeutend während des Krieges, etwa in Galizien oder im Kaukasus. Beim Vormarsch des Gegners flohen oft große Teile der Bevölkerung, beim Rückzug der Truppen wurde dem Gegner oft verbrannte Erde hinterlassen. So wurden allein während des großen Rückzugs der Russen 1915 mehr als drei Millionen Zivilisten dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und mit den Truppen nach Osten zu ziehen. Und bei diesen forcierten Umsiedlungen kam es wegen der schlechten Versorgungslage zu enormen Opfern."
Und noch mit einem weiteren Vorurteil, das sich hartnäckig hält, räumt Oliver Janz auf: nämlich dem der angeblichen Kriegsbegeisterung von 1914. Diese habe sich in allen Ländern auf wenige Schichten beschränkt: das national eingestellte Bürgertum, Teile des Militärs und der akademischen Jugend. Die Landbevölkerung beispielsweise stand, so Janz, unter Schock, denn zu Kriegsbeginn im August fehlten nun die jungen Männer, um die Ernte einzubringen. Auch die nach Zahlen stärkste politische Kraft, die SPD, stand dem Krieg ablehnend gegenüber. Die bürgerliche Presse berichtete jedoch nur einseitig und prägte so ein fehlerhaftes Geschichtsbild mit. Janz schreibt:
"In keinem Land sind im Juli 1914 mehr Menschen gegen den Krieg auf die Straße gegangen als in Deutschland. Der Massenandrang bei diesen Kundgebungen war weit größer als bei früheren Antikriegsveranstaltungen der Sozialdemokratie, obwohl sie meist an Werktagen stattfanden und ihnen keine langen Kampagnen vorausgingen. In der deutschen Arbeiterschaft stieß der Krieg also auf breite Ablehnung, doch die größte sozialistische Partei der Welt hat dieses Potenzial nicht dazu genutzt, massiven Druck auf die Reichsleitung auszuüben. Vielmehr fügte sich die Führung der Partei in das Ende Juli verhängte landesweite Demonstrationsverbot. Somit konnten ihre Anhänger das öffentliche Bild nicht mehr in dem Maße bestimmen, wie es ihrer Stärke entsprochen hätte."
Die Führung der deutschen Sozialdemokraten schloss bald ihre Reihen hinter dem von oben verordneten "Burgfrieden" und stellte sich hinter die offizielle These vom Verteidigungskrieg. Die Militärs aller Staaten jedoch orientierten sich an Offensivstrategien – obwohl diese durch die technische Verbesserung der Schusswaffen nur zu einem sinnlosen und langwierigen gegenseitigen Abschlachten führen mussten, wie Oliver Janz schreibt:
"Einer der Ersten, der die Folgen der veränderten Waffentechnik erkannte, war der polnische Eisenbahnunternehmer, Bankier und Pazifist Jan Bloch. Sein 1899 auf Russisch veröffentlichtes und bald in alle wichtigen europäischen Sprachen übersetztes Buch "Die Zukunft des Krieges" argumentierte, dass die neuen Waffensysteme, weil sie dem Verteidiger eine vielfache Überlegenheit über den Angreifer sicherten, klassische Infanterie- oder Kavallerie-Attacken obsolet und siegreiche Entscheidungsschlachten unwahrscheinlich gemacht hätten. In künftigen Kriegen würden die Infanteristen sich in Schützengräben verschanzen, zwischen denen sich eine Feuerzone erstrecken werde, die nur mit hohen Verlusten zu überwinden sein werde. Ein künftiger Krieg zwischen Industriestaaten, so Bloch weiter, werde ein langer Abnutzungskrieg zwischen Millionenheeren sein, der zu wirtschaftlichem Ruin, Hungersnöten und Revolutionen führen würde."
Und so kam es dann auch. Oliver Janz hat mit seinem Buch "14 - Der große Krieg" ein umfassendes Standardwerk über den Ersten Weltkrieg, seine Vorgeschichte und seine Auswirkungen vorgelegt. Und obwohl er dabei auf emotionale Bewertungen verzichtet, erschrickt man auch noch 100 Jahre nach den Ereignissen - über das grenzüberschreitende Versagen von Politikern, Medien und Intellektuellen, die in ihrer großen Mehrheit den Krieg in diesem Ausmaß, in dem er stattfand, nicht gewollt, aber auch nicht verhindert haben.
Oliver Janz: 14 - Der große Krieg.
Campus Verlag, 415 Seiten, 24,99 Euro, ISBN: 978-3593395890