![Der Grabstein eines Sternenkindergrabes auf einem Friedhof in Reinickendorf. In einem Kreis liegt ein Fötus aus Bronze. Der Grabstein eines Sternenkindergrabes auf einem Friedhof in Reinickendorf. In einem Kreis liegt ein Fötus aus Bronze.](https://bilder.deutschlandfunk.de/69/ba/72/64/69ba7264-6c69-4f4c-b6eb-6e4b1e13726a/sternenkinder-108-1920x1080.jpg)
Berufstätige Frauen, die in Deutschland ein Baby bekommen, haben das Recht auf Mutterschutz. Dieser beinhaltet unter anderem die sogenannte Mutterschutzfrist, die besagt, dass eine schwangere Frau sechs Wochen vor dem errechneten Geburtstermin nicht mehr arbeiten muss. Ebenso wenig acht Wochen nach der Geburt.
Frauen, die eine frühe Fehlgeburt erleiden, hatten dieses Recht bislang in der Regel nicht. Auch gab es keinen Anspruch auf eine Krankschreibung nach der Fehlgeburt. Das soll sich nun ändern. Der Bundestag hat am 31. Januar einstimmig das sogenannte Mutterschutzanpassungsgesetz beschlossen.
Inhalt
- Wie sieht die neue Mutterschutzregelung aus?
- Wie definiert der Gesetzgeber Fehlgeburten und was ergibt sich daraus bislang?
- Wie viele Fehlgeburten gibt es in Deutschland?
- Was brachte den Stein ins Rollen?
- Warum sollten Betroffene von Fehlgeburten einen früheren Mutterschutz erhalten?
- Ist das neue gestaffelte Modell ausreichend?
Wie soll die neue Mutterschutzregelung aussehen?
Das Gesetz sieht vor, dass Frauen bereits bei einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche Mutterschutz zusteht. Bislang haben Frauen, die vor der 24. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt erleiden und deren Ungeborene weniger als 500 Gramm wiegen, keinen Anspruch auf Regeneration.
Vorgesehen ist nun eine gestaffelte Regelung: Ab der 13. Schwangerschaftswoche dürfen betroffene Frauen zwei Wochen lang nicht arbeiten – es sei denn, sie möchten dies ausdrücklich. Ab der 17. Schwangerschaftswoche dauert der Mutterschutz sechs Wochen, ab der 20. Schwangerschaftswoche sind es acht Wochen. Das entspricht der standardmäßigen Mutterschutz-Dauer nach der Geburt eines lebenden Kindes. Die neuen Regelungen gelten ab Juni.
Für die Reform hatten zunächst zwei konkurrierende, aber inhaltlich ähnliche Gesetzentwürfe vorgelegen: einer von SPD und Grüne sowie einer von der Unionsfraktion. Nach längeren Verhandlungen gab es eine Verständigung auf den Unions-Entwurf, der auch von FDP und AfD unterstützt und beschlossen wurde.
Wie definiert der Gesetzgeber Fehlgeburten und was ergibt sich daraus bislang für Betroffene?
Eine Fehlgeburt liegt vor, wenn sich außerhalb des Mutterleibs keine Lebensmerkmale gezeigt haben, das Gewicht des Ungeborenen weniger als 500 Gramm beträgt und die Geburt vor der 24. Schwangerschaftswoche erfolgt - so steht es auf der Seite des Bundesfamilienministeriums. Im rechtlichen Sinne ist eine Fehlgeburt keine Entbindung und löst normalerweise bislang keine mutterschutzrechtlichen Folgen aus, insbesondere die Schutzfrist nach der Entbindung gilt nicht. Für Frauen, die eine Fehlgeburt nach der 12. Schwangerschaftswoche erleiden, gilt aber der besondere Kündigungsschutz.
Hat eine Fehlgeburt für Frauen körperliche oder seelische Folgen, die eine Arbeitsunfähigkeit nach sich ziehen, müssen sie sich dies von einer Ärztin oder einem Arzt bescheinigen lassen. Dann gelten auch nicht die Regelungen über die mutterschutzrechtlichen Entgeltfortzahlungen, sondern jene, für den Krankheitsfall beziehungsweise die Regelungen zum Krankengeld der gesetzlichen Krankenversicherung.
Allgemeine Schutzfrist nach Totgeburten
Fehlgeburten nach der 24. Schwangerschaftswoche und von verstorbenen Säuglingen, die mehr als 500 Gramm wiegen, bezeichnet man als Totgeburten. Bei einer Totgeburt gilt auch jetzt schon die allgemeine Schutzfrist nach der Entbindung. Arbeitgeber dürfen Frauen in dieser Zeit normalerweise nicht beschäftigen. Während der Schutzfrist haben Frauen Anspruch auf Mutterschaftsgeld und Arbeitgeberzuschuss.
Das bedeutete bisher, dass eine Frau, die in der 24. Schwangerschaftswoche ein schwereres totes Baby auf die Welt bringt, einen Anspruch auf Mutterschutz hat - im Gegensatz zu einer Frau, deren totes Baby in der 24. Woche 490 Gramm wiegt. „Das ist eine wirklich absurde und unmenschliche Regel und es ist gut, dass wir davon jetzt wegkommen“, sagt Natascha Sagorski, Initiatorin der Petition „Gestaffelter Mutterschutz“.
Wie viele Fehlgeburten gibt es in Deutschland?
Exakte Daten zur Anzahl von Fehlgeburten in Deutschland gibt es nicht. Das liegt laut den Wissenschaftlichen Diensten des Bundestags insbesondere daran, dass Fehlgeburten zu einem großen Teil in den ersten Schwangerschaftswochen ohne Symptome verlaufen und teilweise als Menstruationszyklus gedeutet werden.
Des Weiteren unterliegen Fehlgeburten – im Gegensatz zu Totgeburten – nicht der standesamtlichen Meldepflicht. Daher können weder konkrete Angaben zur Anzahl von Fehlgeburten noch zu ihrem Verhältnis zur Anzahl aller Geburten gemacht werden. Es liegen darüber hinaus auch keine Daten vor, wie viele Betroffene in welcher Schwangerschaftswoche ihr Kind verloren haben.
Laut Natascha Sagorski, Initiatorin der Petition „Gestaffelter Mutterschutz“, wird davon ausgegangen, dass jede dritte Frau betroffen ist. „Das heißt: Es ist zwar ein Tabuthema, aber definitiv kein Randthema“, so Sagorski.
Beschwerde vor Bundesverfassungsgericht: Was brachte den Stein ins Rollen?
Zusammen mit drei weiteren Frauen hatte die Aktivistin Natascha Sagorski 2022 in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. Die Frauen hatten zwischen der 12. und 24. Schwangerschaftswoche Fehlgeburten erlitten. Sie argumentierten, auch Fehlgeburten seien als Geburt im Sinne des Mutterschutzgesetzes zu werten. Im September 2024 erklärte das Bundesverfassungsgericht, es nehme die Klage nicht zur Entscheidung an. Wie das Gericht mitteilte, hätten sie zuerst bei den Krankenkassen, bei den jeweils zuständigen Sozialgerichten oder Arbeitsgerichten Klage einreichen müssen.
Remo Klinger, Anwalt von Natascha Sagorski, wertete die Erklärung des Bundesverfassungsgerichts damals trotzdem als Erfolg. Denn laut der Erklärung des Bundesverfassungsgerichts vom September sei der Begriff der Entbindung im Gesetz nicht klar geregelt und könne daher vor Gericht eventuell neu interpretiert werden. Frauen mit frühen Fehlgeburten könnten somit ihre Krankenkassen beziehungsweise ihren Arbeitgeber auf Mutterschaftsgeld verklagen. Sollte sich der Bundestag noch in dieser Legislaturperiode einigen, wird das aber nicht mehr nötig sein.
Fehlgeburt "aus der Tabuecke" rausholen
Das Thema „Frauen nach Fehlgeburt“ habe bislang einfach keine Lobby gehabt, sagt Natascha Sagorski. Dementsprechend habe man da sehr theoretische Regelungen getroffen, „ohne an das praktische Leben zu denken“. Sie selbst habe nach ihrer Fehlgeburt um eine Krankschreibung gebeten. Dies sei aber von der Ärztin abgelehnt worden und habe ihr suggeriert, „sie stelle sich irgendwie an“ und übertreibe. Sie habe die Hoffnung, dass die Einführung eines gestaffelten Mutterschutzes nach Fehlgeburten einen Paradigmenwechsel einläute und das Thema Fehlgeburten „aus der Tabuecke“ herausgeholt werde.
Warum sollten Betroffene von Fehlgeburten einen früheren Mutterschutz erhalten?
Fehlgeburten gehen für betroffene Frauen oft mit einer tiefgreifenden emotionalen und körperlichen Belastung einher.
Die Psychotherapeutin Kathryn Eichhorn leitet an der Universität der Bundeswehr München eine Arbeitsgruppe, die zu den psychischen Auswirkungen von Fehl- und Totgeburten forscht und sagt: Die Frauen kämen mit vielen Emotionen, wie Schuld und Scham zu ihr in die Praxis - und weil sie die damit verbundene Trauer bewältigen wollen.
Eine Fehlgeburt bedeute für eine Frau innerhalb von kurzer Zeit eine erneute hormonelle Umstellung, die körperlich belastend sein kann, betont Eichhorn. Außerdem brauche es „Zeit und Raum, sich mit dem Geschehen auseinanderzusetzen, sowohl auf der symptomatisch als auch auf einer psychischen Ebene“, so die Psychotherapeutin.
Ist das neue gestaffelte Modell ausreichend?
Der Vorschlag der Bundestagsfraktionen, den Mutterschutz im Falle einer Fehlgeburt bereits ab der 13. Woche einsetzen zu lassen, beruht auf Freiwilligkeit. Das heißt, Betroffene können sich im Fall der Fälle auf den neu geregelten gesetzlich vorgegebenen Mutterschutz berufen; sie haben aber auch die Möglichkeit, sich krankschreiben zu lassen.
Aus der Sicht der Psychotherapeutin Eichhorn ist es wichtig, dass die Frauen sich freiwillig entscheiden können. Denn Frauen erlebten in einer Schwangerschaft Emotionen wie Ohnmacht und Hilflosigkeit, sagt Eichhorn. Da sei das beste Gegenmittel, selbst über die Frage zu bestimmen, ob sie schnell arbeiten gehen wollen, also in bekannte Strukturen zurückkehren, oder zu Hause bleiben wollen. Ein automatischer Mutterschutz könnte problematisch auch sein, weil manche Frauen sich ihrem Umfeld nicht unbedingt offenbaren wollen.
Kritisch betrachtet Eichhorn allerdings, dass die Diskussion über den gestaffelten Mutterschutz sich hauptsächlich um die Länge der Schwangerschaft gedreht hatte. „Es gibt andere Variablen, die vermutlich eine viel größere Rolle spielen als die Länge der Schwangerschaft, wie beispielsweise, ob die Betroffene psychische Vorerkrankungen hatte oder die Frage, wie stark der Kinderwunsch der Frau war“, sagt die Therapeutin.
Außerdem ist anzuzweifeln, ob eine Regelung für einen gestaffelten Mutterschutz ab der 13. Woche überhaupt ausreichend ist: Studien zufolge passieren 80 Prozent der Fehlgeburten in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft. Die geplante Regelung könnte also letztlich einem großen Teil der betroffenen Frauen gar nicht nützen.
nsh, tan, tmk