Archiv

Feiern trotz Corona
Die Hasenheide in Berlin wird zum Party-Hotspot

Feiern und tanzen, Abstandsregeln werden da leicht zur Nebensache: Seit im März die Clubs und Bars in Berlin Corona-bedingt schließen mussten, ist die Hasenheide zwischen Kreuzberg und Neukölln zum Epizentrum der Partyszene geworden - und zum Inbegriff der Corona-Sorglosigkeit.

Von Manfred Götzke |
"DJ Himself" legt im Volkspark Hasenheide bei einer Party auf.
Feiern unter freiem Himmel - Sind Parks die neuen Clubs? (dpa / Christoph Soeder )
Es ist nicht besonders schwer, den Club ohne Tür zu finden. Immer der Musik nach: Es ist Samstag elf Uhr abends, ich schlendere durch die Hasenheide. Überall auf den Wiesen des riesigen Parks zwischen Kreuzberg und Neukölln sitzen Leute in kleinen Gruppen zusammen, auf ihren Decken Kerzen, Lichterketten, Bier. Doch Party und Rave finden an dieser Stelle des Parks nicht statt, erzählt mir eine junge Frau, die hier mit ein paar Leuten zusammensitzt.
"Wir haben hier Geburtstag gefeiert."
Wenig Einsicht bei den Feiernden
Ich flaniere weiter durch die Nacht – nach ein paar Minuten ist das erste Bummbumm zu hören, auf einer kleinen Wiese hinter einer Baumgruppe tanzen etwa 15 Leute um eine Akkubox. Alle sind um die 20, alle nicht mehr ganz nüchtern.
"Ballern – jetzt komm!" – Reporter: "Darf ich euch eine Frage stellen? Warum habt ihr euch entschieden, in die Hasenheide zu kommen?" – "Ach, geil! Interview! Ja, weil es schön ist. Viel Platz, man kann gut Abstand halten – und kann gut feiern."
Der junge Mann in weißem T-Shirt und schwarzen Shorts – nennen wir ihn Michael, ist nicht zum ersten Mal hier. Er wohnt in der Nähe, für ihn ist die Hasenheide seit ein paar Wochen sein Lieblingsclub, erzählt er und wippt dabei mit dem Oberköper zu den Beats.
"Es ist ja auch bewiesen, dass unterm freien Himmel die Infektionsrate gleich null ist. Der Berliner Senat hat jetzt ein Gesetz auf dem Tisch, ob die Clubs Open Airs machen können. Ich fände das auch geil, aber bis dahin haben wir die Hasenheide."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Nach und nach füllt sich die kleine versteckte Wiese mit immer mehr Leuten, überall tanzen jetzt kleine Grüppchen zu ihrer Musik. Vor einer größeren Box bewegen sich vielleicht 50, 60 Raver, der DJ, ein hoch gewachsener Brasilianer mit nacktem Oberkörper, scrollt durch die Playlist auf seinem Handy. Er winkt ab, als ich mit ihm reden will. Ich spreche eine Gruppe junger Frauen an, die auf den gerade entstandenen Dancefloor zusteuert.
"Wir kennen das aus den letzten Wochen, dass hier viele Leute sind und sich treffen, um zu feiern. Es sind ja viele Berliner, die die Location kennen und eigentlich weiß jeder Bescheid, wo irgendwas los ist."
Party statt Vernunft
Die drei sind Lehrerinnen aus NRW – für ein langes Wochenende in Berlin. Und wie in Corona-freien Zeiten – gehört für sie Tanzen auch jetzt dazu.
"Wir versuchen uns immer an die Abstandsregelungen zu halten. Natürlich ist es nicht immer so einfach." - Reporter: "Könnt ihr die Kritik daran verstehen, dass hier gefeiert wird?" - "Ja, komplett. Aber ich finde, es ist auch viel so das eigene Abwägen. Bei der Frage gibt es wenig richtig oder falsch. Es ist so emotional aufgeladen. Ich zum Beispiel arbeite von Zuhause und habe auch keine Risikopatienten, um mich rum. Bei anderen ist das anders. Die Gruppen sind auch überschaubar hier. Aber ja: Es ist auch schwer zu verteidigen. Es ist schwierig, das zu verteidigen. Es ist halt so ein Zwiespalt. Und ich glaube, das geht jedem hier so – hoffe ich jedenfalls."
Schon seit März, seit die Berliner Clubs Corona-bedingt dichtmachen mussten, wird hier in der Hasenheide gefeiert. Anfangs unter dem Radar, bis im Mai die ersten Journalisten auf die Lichter und die Laute Musik aufmerksam wurden. Seitdem sind die Hasenheide und deren nächtliche Besucher zum Inbegriff der Corona-Sorglosigkeit geworden, viele würden auch sagen, Verantwortungslosigkeit.
"Es geht auch ein bisschen um Respekt vor anderen Personen, dass wir uns nicht gegenseitig anstecken. Wer weiß, ob noch Corona-infizierte Personen da sind. Wenn sich mehr Leute an die Regeln halten könnten, wäre es auch möglich, hier einen Rave zu gestalten, der den Corona-Regelungen entspricht und die Umwelt schont – denn die Leute lassen hier überall ihren Müll liegen."
Die Feiernden kommen immer wieder
Bisheriger Höhepunkt war ein Samstag vor drei Wochen am Christopher Street Day. 3.000 Technofreunde zählte die Polizei, viele kamen von CSD-Partys direkt hierher. Die Beamten waren die ganze Nacht damit beschäftigt, die Tanzenden aus dem Park zu vertreiben. Am nächsten Morgen türmte sich überall der Müll. Raver Michael war auch da.
"Ja – und die Stadt gilt ja als Hochburg der Queere-Szene und den Leuten muss bewusst sein, dass es auch stattfindet trotz Verbot. Was aber nicht passieren darf, ist eine Stigmatisierung von Leuten, die hier sind. Es ärgert mich schon, dass es nicht normal ist, hier einfach zu feiern. Du siehst es ja anhand der Zahlen, hier haben ja viele die Corona-App und das könnte man ja feststellen, dass sich hier keine angsteckt hat – dass es kein Ort der Ansteckung ist."
Vor drei Wochen dachen viele, jetzt ist die Party hier vorbei, doch obwohl die Polizei hier nun deutlich öfter Streife fährt, kommen die Feiernden wieder, wenn auch – wie in dieser Nacht – deutlich weniger.
Es ist inzwischen kurz nach ein Uhr. In normalen Zeiten füllen sich jetzt die Berliner Clubs. Und so ist es auch ein bisschen an diesem Abend. Immer mehr Leute strömen auf die Wiese – und ins Epizentrum des grünen Clubs in Berlin - den Wald. Hinter der Wiese beginnt ein Dickicht aus Büschen und hohen Buchen – Hunderte Meter in den Park hinein.
Ich folge der Menge auf den ausgetretenen Pfaden, überall leuchten sich Feierwillige mit Handylampen ihren Weg. Ich folge einer jungen Frau mit kurzen Haaren und transparentem top, weiter ins Dunkel, nach ein paar Metern kommen wir auf den "Hauptfloor" der Hasenheide, eine Lichtung mitten im Wald, knapp 100 Leute tanzen hier.
Ein Katz- und Mausspiel
Am Rand der Lichtung stehen fast nur Männer, alle muskulös, die Oberkörper nackt, küssen, umarmen sich. Schon vor Corona war hier im Dickicht der Heide ein Treffpunkt für schwule Männer - für Party und unverbindlichen Sex. Jetzt trifft diese Szene auf Grundschullehrerinnen aus NRW, Jugendliche, die nur mal gucken wollen – und Obdachlose, die hier im Park leben. Die Hasenheide ist ein Schmelztiegel – Türsteher gibt es hier nicht.
Plötzlich verstummt die Musik, die Menge verschwindet ins Dickicht. Vier sehr helle Punkte nähern sich der Lichtung. Die Polizei. Die Beamten leuchten ein paar Minuten in den Wald hinein, dann ziehen sie sich wieder zurück. Zehn Minuten später ist die Musik wieder an.
"Die Hasenheide müsste eigentlich Katz-und-Maus-Heide heißen."