Frederik Rother: In Großbritannien wird gestritten über den Brexit, die Regierung von Theresa May ist fragil und macht der EU Vorwürfe. Ist Brüssel der Sündenbock für alles, was in Großbritannien schiefläuft?
Guntram Wolff: Ja, definitiv ist die Debatte in Großbritannien immer schon sehr durchwachsen gewesen gegenüber Europa, die Presse in Großbritannien ist ja sehr euroskeptisch – und das hat sich sicherlich jetzt noch mal bei vielen Blättern verschärft. Aus meiner Perspektive wird sehr einseitig über die Initiativen aus Brüssel berichtet. Die positiven Sachen werden weggelassen, die negativen Sachen werden extrem nach oben gepusht. Also insofern denke ich, ist es insgesamt eine sehr, in der Tat, euroskeptische Presse, die die Schuld meistens in der EU 27 sucht.
Rother: Helfen denn harsche Reaktionen von EU-Vertretern weiter wie jetzt beispielsweise beim informellen Gipfel letzte Woche von Emmanuel Macron oder Donald Tusk?
Wolff: Alle Chefs haben natürlich sehr negativ auf das Papier von Theresa May reagiert und haben sehr dezidiert geantwortet, dass es so nicht ginge und man nicht einfach Chequers unterschreiben könne, also den Vorschlag der Briten. Das ist in der Tat wesentlich heftiger ausgefallen die Reaktion, als das ursprünglich geplant war, weil eben die britische Premierministerin sehr forsch aufgetreten ist und insofern hat sich dann tatsächlich die Lage dann dramatisch verschärft. Und die Presse in Großbritannien hat das natürlich als gefundenes Fressen gesehen und gesagt, okay, die wollen ja überhaupt keinen Deal in Europa.
Die EU muss kompromissbereit sein
Rother: Was kann die EU denn machen, um diese Erzählung von, ich sag jetzt mal, Gangstern und Ganoven, die ja da auf den Titelseiten zu sehen waren in Großbritannien, um diese Erzählung zu stoppen?
Wolff: Na ja, also insgesamt, glaube ich, kann man von außen relativ wenig machen. Man muss, glaube ich, konsistent bei seiner Meinung bleiben und auch seine Linien klar erklären. Ich denke, dass macht die EU insgesamt, aber das eine ist natürlich auch klar, wir müssen natürlich schon versuchen, auf allen Seiten einen Deal zu finden, nur kann das eben nicht ein Kompromiss sein, der gerade mal exakt die Linie der britischen Regierung ist, sondern der Kompromiss wird so sein müssen, dass Großbritannien einen Riesenschritt noch auf Europa zugehen wird, und umgekehrt müssen wir aber auch an der einen oder anderen Stelle uns kompromissbereit zeigen.
Rother: An welchen Stellen müsste die EU sich denn kompromissbereiter zeigen Ihrer Meinung nach?
Wolff: Ja, sehen Sie, das Hauptthema bei Brexit ist ja inzwischen die Frage, wie geht man mit Irland um, wie geht man mit Nordirland um? Da gibt es zwei vollkommen unversöhnliche Positionen, die Briten sagen, sie können nicht zulassen, dass es Kontrollen im irischen Meer gibt. Und die Europäer sagen, wir können nicht zulassen, dass es eine Grenze in Irland selber gibt. Da wird letztendlich der Kompromiss zu finden sein. Chequers hat versucht, eine Linie vorzuschlagen, wie man da das vermeiden kann, Grenzen zu machen, ist aber auch auf wenig Gegenliebe gestoßen in Brüssel, weil es eben sehr schwer ist, die Elemente von Chequers alle umzusetzen.
Also insofern glaube ich, müssen wir am Ende einen Kompromiss finden bei den Grenzkontrollen zwischen Nordirland und Großbritannien, die dürfen vielleicht nur von britischen Grenzpolizisten durchgeführt werden, sie müssen vielleicht nicht wahnsinnig stark sein, aber ich denke, man kann nicht zulassen, dass es eine Grenze auf der Insel von Irland gibt. Also insofern der Kompromiss, meiner Meinung nach, muss sein, dass die Briten akzeptieren, Grenzkontrollen zwischen Nordirland und Großbritannien in irgendeiner Weise, zumindest in einer Übergangsphase, durchzuführen.
Kompromissvorschläge gibt es
Rother: Welche Fehler werden denn oder wurden darüber hinaus von der EU gemacht, etwa mit Blick auf die Brexit-Verhandlungen, die dieses Anti-EU-Klima, von dem wir anfangs gesprochen haben, vielleicht weiter befeuert haben.
Wolff: Na ja, ich glaube, die EU hat natürlich von Anfang an eine sehr harte Position gehabt und eingenommen. Ich denke, aus Sicht der EU war das auch erst mal vernünftig, weil es eben in Großbritannien so ein politisches Chaos war. Aber ich glaube schon, dass die EU doch inzwischen aktiv darüber nachdenken muss, was könnte eine Lösung sein und könnte man nicht doch eine enge Handelsbeziehung definieren, die uns die Zollkontrollen an die britische Außengrenze legt.
Könnte man das irgendwie mit bestimmten Kontrollen kombinieren, sodass das Vertrauen da ist, aber dass man letztendlich akzeptiert, dass die Zollaußenkontrollen an den britischen Grenzen stattfinden und nicht an den EU-Grenzen. Das wäre eine Kompromisslösung, aber klar, da muss man wirklich beinharte und klare Garantien kriegen. Und meine Hoffnung wäre, dass wir da es doch schaffen, zumindest den Weg hin zu einem Kompromiss in irgendeiner Weise zu definieren.
Traumvorstellung Norwegen-Modell
Rother: Wie sollte sich Brüssel denn auf das zweite Referendum verhalten, was ja zurzeit breit diskutiert wird und eine mögliche Lösung sein könnte. Welche Position sollte Brüssel bei dem Thema einnehmen?
Wolff: Ich denke, überhaupt keine Position, das ist eine rein innerstaatliche Diskussion in Großbritannien. Falls es natürlich zu einem Referendum kommen sollte, dann denke ich, ist sicherlich eine Mehrzahl der Europäer gerne der Meinung, falls das Ergebnis umgedreht werden würde, dass Großbritannien in der EU bleiben sollte, das kann man vielleicht dann irgendwann signalisieren, wenn entschieden wird, dass ein Referendum gemacht wird. Aber davor würde ich überhaupt nichts machen.
Rother: Zum Ende würde ich gerne noch mal nach Ihrer persönlichen Einschätzung fragen: Wie kann denn eine gute Beziehung zwischen London und Brüssel in Zukunft aussehen?
Wolff: Auf jeden Fall müssen wir eine sehr enge Handelsbeziehung haben und eine Sicherheitszusammenarbeit. Die Frage ist, wie eng kann die Handelsbeziehung sein, wie groß ist die Bereitschaft in Großbritannien letztendlich Regulierung aus Europa möglichst umfangreich zu übernehmen. Wenn da die Bereitschaft groß ist, wäre es schon eine Traumvorstellung, dass Großbritannien in einer Art Norwegen-Modell drin bliebe, das heißt vollkommen im Binnenmarkt und auch, zumindest in Teilen, in der Zollunion. Aber ich glaube nicht, dass das politisch tragfähig ist auf der britischen Seite, insofern wird es wahrscheinlich doch eher in Richtung eines Handelsdeals wie mit Kanada hinauslaufen plus einem Special Arrangement für Irland, aber das ist eben nicht leicht zu finden.
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