Die Bekanntschaft der beiden streitbaren Herausgeber begann 1909 gerade zu dem Zeitpunkt, als Waiden verstimmt die Redaktion der Zeitschrift "Das Theater" verließ. Nun war Kraus dem neuen Freund, der mit Eise Lasker-Schüler verheiratet war, behilflich bei der Gründung einer eigenen Zeitschrift "Der Sturm", die Waiden bis 1932 leiten sollte. Die Zeitschrift wurde zum wichtigsten Organ des Expressionismus - und zum eigentlichen Stein des Anstoßes für Karl Kraus. Die frische Bekanntschaft allerdings beflügelte zunächst auch Kraus, der auf den Vorschlag Waldens einging, ein Berliner Büro der "Fackel" einzurichten, von dem aus die Schriften Kraus' in Deutschland bekannt gemacht werden sollten. Aber selbst diese Einrichtung wurde ihm schließlich zum Ärgernis. 1911 erfährt Waiden, und zwar nicht einmal von Kraus selbst, sondern "von einem Menschen Ihres Verlags" 392, von der Absicht einer Auflösung des Berliner Büros. Der Eindruck, Waiden, der Herausgeber des "Sturm", verteidige seine, Kraus', Sache, reizt seinen Stolz.
Die dreijährige Korrespondenz, die nun vollständig und mit philologischer Akribie ediert vorliegt, stellt sich dem Leser als Bündnis dar, in dem um nichts als um die Verteidigung der eigenen Interessen gegen Feinde gekämpft wird. Vor allem Herwarth Waiden führt Prozesse noch und noch und ergötzt sich an der Vorstellung, wie er im nächsten Heft des "Sturm" wieder einmal gegen einen seiner oder Kraus' Gegner zu Felde ziehen könne, wie er ihn "köpfen", wie er ihn "züchtigen" werde. Anfänglich springt Kraus dem Freund, der sich gern angegriffen fühlt, bei, bis auch er ihn als Feind seiner eigenen "Kunstpolitik" erkennt und attackiert.
Kraus unterscheidet zwischen einer Kunstpolitik, die ihre Aufgabe aus aktuellen Themen bezieht und politisch-moralisch wirken will, und dem guten Feuilleton, das der hohen Kunst zuzurechnen sei, obgleich es seine Sujets aus dem Tagesgeschehen nimmt. Nur scheinbar finde in seinen Glossen und Essays die Verteidigung einer politischen oder kunstpolitischen Position statt, sein erstes Anliegen sei es vielmehr, Kunst zu schaffen und durchzusetzen:
Da lasse ich vom ersten Federstrich bis zum Imprimatur, ja bis zum Erscheinen keine Relativität gelten. Hier ist das, was menschlich begreiflich, möglich, ja lobenswert ist, ein künstlerisches Minus". Die Hypochondrie, mit der Kraus reagiert, bleibt immer im Recht, selbst wenn er sich nur über Druckfehler aufregt, die der Berliner Herausgeber der "Fackel in einem seiner Artikel hatte stehen lassen: "Ich sage Ihnen, daß die ganze deutsche Literatur Druckfehler vertragen kann - ich nicht. Ich halte es für das Problem der Probleme. Ich sage, wenn in einem Satz ein Druckfehler steht und er gibt doch einen Sinn, so war der Satz kein Gedanke.
Schriftstellerische Qualität ist für Kraus ein Politikum. Autoren wie Kurt Hiller, einen Freund Alfred Kerrs, tut er ab als "Notizler, der Artikel" schreibt. Auch Waldens "Sturm" nimmt er immer seltener von seinem kunstrichterlichen Urteil aus. In einem Briefentwurf von 1912 lässt er einen Sturm von Beschimpfungen gegen den "Sturm" los: "Der >Sturm< [...] fordert den Philister heraus und setzt den Ärger über einen, der>über alles schimpft <, in seine Rechte." Eine Ähnlichkeit allerdings zwischen sich und diesem vielgescholtenen Philister, der "über alles schimpft" , fühlt Kraus selbst: "aber ich bin dazu beglaubigt, ich lebe in meinem Element, bei mir ist es wirklich gleichgiltig, ob mein Hass der Menschheit Engel frisst oder Teufel." Im Vorhinein erteilt er sich die Absolution für seinen Rundumschlag: "Denn hier ist mein Kunstwerk" .
Der Titel der Edition - "Feinde in Scharen" - charakterisiert nicht nur die beiden Kampfhähne, sondern die intellektuelle Szene der Epoche überhaupt, in der die Autoren von ihrem Schreiben zu leben versuchen, ohne jegliche staatliche oder mäzenatische Hilfe erwarten zu können, weshalb sie miteinander um die kleinste Marktlücke kämpfen. Geldknappheit ist denn auch neben dem Ernst, mit dem die Kunst verteidigt wird, das wichtigste Thema des Briefwechsels: "Kann man nicht in Wien", bettelt Waldein, "eine Tellersammlung für mich veranstalten? Ich gehe direkt wegen der paar Mark zu Grunde." Wenig später klagt er, keinen Brief absenden zu können:
Hoffentlich kommen mir 10 Pfennig zu einer Mark in meinen Besitz. [...] würden Sie so gut sein, eventuell bei wichtigen Vorfällen einen unfrankierten Brief von mir annehmen, solange diese Zustände mich beherrschen?" Aber auch Kraus hilft lieber mit Weisheiten aus, um seine ökonomische Verlegenheit zu verbergen: "Mein Rath ist besser als meine Hilfe".
Anders als der politische Imperialismus dieser Epoche, der Reichtum schöpft, führt der geistige in die Armut. Aber gerade sie beflügelte auch diesmal, wie so oft schon, den Geist - er schwebt eben doch über den Dingen.