Kurz nach 21 Uhr gestern Abend. Feine Sahne Fischfilet auf der großer Bühne im einstigen Kesselhaus der Brauerei. Die Punkrocker von der Ostseeküste, sie sind zurück in Dessau, nur jetzt ist die Party größer als für die historische Bauhausbühne geplant, der Punk ist noch lauter, der Konzertrausch mit 90 Minuten noch länger. Jan "Monchi" Gorkow
"Ich glaub im Bauhaus hätten wir so 45 min gespielt… und da haben wir gedachten, erhöhen wir das ganze jetzt mal. Das heißt, ab jetzt ist hier 90 Minuten lang Rock’n Roll. Ihr dürft jetzt offiziell alle mit den Ärschen wackeln, Alter. Alles auf Rausch!!!"
Die Menge tobt als Jan "Monchi" Gorkow nach vier Liedern eine Handvoll Teenies mit auf die Bühne holt, spontan eingeladen am späten Nachmittag von der Kundgebung vorm Dessauer Theater. Demos, offener Widerstand, damit tut sich die Zivilbürgerschaft schwer in der statistisch ältesten Stadt Deutschlands. Für die Punkrocker aus Meck-Pomm ist das Alltag.
Jan "Monchi" Gorkow: "Manchmal sagen Taten mehr als Worte, und genau deswegen haben wir auch innerhalb von 7-8 Tagen das Ding hier mit den ganzen Leuten auch hier hoch gezogen. Wir hätten uns auch die Eier schaukeln können und wir hätten auch sagen können, hier, es gibt einen kleinen Skandal. Alle drehen hier irgendwie durch und wir sind die armen Opfer, ist uns auch zu blöd. Wir machen unser Ding. Das wird hier heute ein megageiler Abend."
Mehr Statement als normales Konzert
Für einige Kids von CDU- oder AfD-afinen Eltern gab‘s deshalb Freikarten von der Band. Die Mehrheit im Publikum, geschätztes Durchschnittsalter Ende 20, hat sichtbar "Kein Bock auf Nazis". Doch textsicher brüllen im Brauhaus nicht nur die Jüngsten von "Dessau Nazifrei".
"Ich fahr seit zwei Jahren immer regelmäßig zu deren Konzerten nach Jarmen, in das Dorf in Meck-Pomm, mit meinem Sohn, und dann machen wir immer ein schönes Wochenende … "
André aus einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt, Ende 40 und gar nicht laut, steht mit 5 Freunden in der Vorhalle und erzählt, dass ihm die rauen Texte wirklich an die Seele gehen. Er mag die klare, ehrliche Sprache der Jungs.
"… ich bin da, weil ich die Musik gut finde. Das kann immer keiner verstehen."
Auch gestern in Dessau wird die Musik fast zur Nebensache,
"Eigentlich hätten wir jetzt zwei, drei Wochen Urlaub gehabt, wir waren das ganze Jahr jetzt unterwegs, haben ein neues Album rausgebracht, Tour gespielt, Festivalsommer, ein Kinofilm kam raus…."
Schon mittags geben die sechs Jungs von Feine Sahne Fischfilet im Viertelstundentakt Interviews, es geht ums Durchboxen, um den Verfassungsschutz, um Hilfsaktionen für Kobane oder Flüchtlingscamps auf Lesbos, um die Idee einer Bauhaus-Konzert-Tour, um Mut, aber nicht um ihre Musik.
"Das hier ist eigentlich mehr Statement als normales Konzert, dass man hier klar Kante zeigt und sagt: nee, noch nicht komplett im Arsch, sie bringen es auf den Punkt."
Nancy aus Roßlau, eine Frau Ende 40. Dass ein Fackelumzug der Neonazis direkt vor dem Brauhaus angemeldet war, hat sie nicht wirklich abgeschreckt.
Politikum par excellence mit Jürgen Trittin als Konzertbesucher
"Das habe ich vorhin erst auf Instagram gesehen, dass die abgesagt haben, ja, ich hätte auch mit mehr Polizeipräsenz gerechnet und ich hatte auch bedenken, dass das eskaliert, weil das durch die Medien so hochgepusht wurde, das war in den Tagesthemen, alle Zeitungen waren voll, das wurde ja innerhalb kürzester Zeit zu einem Politikum par excellence."
Ein Politikum nicht nur für Dessau, sichtbar auch an der Politprominenz unter den bunten Iros und dem tanzfreudigen Publikum. Linke und Grüne, Stadträte und Bundestagsabgeordnete, Dessauer und Angereiste, darunter auch Jürgen Trittin.
"Also erstens, ich wollte gerne zum Feine Sahne Fischfilet-Konzert. Zweitens bin ich lange auch mit dieser Stadt verbunden, kenn‘ so ein bisschen die Geschichte, und ich war ziemlich erschüttert, dass die Leiterin des Bauhauses vor dem Druck der Rechten so eingeknickt ist, das ist eigentlich mit der Tradition des Bauhauses nicht zu vereinbaren."
In diesem Punkt sind sich wohl alle einig, gestern Abend beim Brauhaus-Konzert von Feine Sahne Fischfilet in Dessau, auch Nancy.
"Eigentlich sollte es im Bauhaus stattfinden, da hätte es auch hingehört. Also gerade ins Bauhaus… HALLO??!! 100 Jahre nächstes Jahr."
Konzertabsage von Dessau- ein Eigentor
Auch Philipp Oswalt nimmt ein Bad in der Menge und outet sich als einstiger Punkrockfan. Er war bis 2014 Bauhausdirektor und wohl zu unbequem. Bitter stößt ihm das Konzertverbot seiner Nachfolgerin Claudia Perren schon auf, und doch …
"Für mich war toll, dass die Stadt und die Stadtgesellschaft sich doch sehr deutlich positioniert hat, dass sie das möglich gemacht hat, dass das Konzert stattfindet, und sehr engagiert, auch ganz unterschiedlich: die Designstudenten, das Theater, das Brauhaus, auch ganz andere Gruppen, dass die gesagt haben nein, diese Vorgabe aus Magdeburg, der folgen wir nicht, wir finden richtig, dass diese Band auftritt."
Eine Stadt lässt sich nicht einschüchtern. Das erinnert an Chemnitz und dieses Gefühl von #wir sind mehr. Die Konzertabsage von Dessau – ein Eigentor. Die Konzertkassen klingeln, die PR-Welle rollt, auch für die Bauhauskonzerte von ZDF und 3sat.