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Felicitas Korn: "Drei Leben lang"
Strauchelnde Macker

Teenager Michi, Drogendealer King und Alkoholiker Loosi mögen Autos, Mofas und sind auf der Suche nach einem Platz in der Welt. In ihrem Debütroman gibt Autorin und Filmemacherin Felicitas Korn den Strauchelnden eine Stimme und verbindet die drei Biografien dabei so unterhaltsam wie überraschend.

Von Shirin Sojitrawalla |
Die Schriftstellerin Felicitas Korn und ihr Roman "Drei Leben lang"
Die 1974 in Offenbach geborene und heute in Berlin lebende Felicitas Korn hat sich als Filmemacherin und Drehbuchautorin einen Namen gemacht. (Cover Matthes & Seitz Verlag / Autorenportrait © Barbara Rohm)
Die zentrale Frage des Romans steht auf Seite 139 und lautet: "Wie konnte es überhaupt so weit kommen?" Alle drei Hauptfiguren müssen sich diese Frage stellen: Der Teenager Michi, dessen Eltern bei einem Autounfall ums Leben kommen, was ihn und seine Schwester in eine unsichere Existenz katapultiert. Der King genannte Drogendealer, der ohne unzählige Lines Kokain keinen Tag und schon gar keine Nacht übersteht. Und schließlich auch Loosi, der so heißt, weil er ein Loser ist, ein Ex-Knacki und ein vom Saufdruck gepeinigter Alkoholiker, der sich in eine viel zu junge Frau verknallt oder richtiger: sie sich in ihn. Michi, der King und Loosi – drei prekäre Existenzen, deren Leben aus den Gleisen springen wie wacklige Züge.
Brenzlige Situationen und Ohnmachtsgefühle
Schauplatz des Romans ist das Rhein-Main-Gebiet mit seinen besseren und schlechteren Wohngebieten. Dort kennt sich die in Offenbach geborene Autorin Felicitas Korn aus. Fixpunkt ist eine Autowerkstatt, die alle drei Protagonisten kennen, mofa- und autoverrückt wie sie sind. Michi nutzt sein Mofa, um aus brenzligen Situationen zu fliehen und um seinen Ohnmachtsgefühlen angesichts des Todes seiner Eltern davon zu fahren.
"Rasch rennt er zurück zu seinem Mofa und rast davon. Er fährt, so schnell er kann, gibt Gas, brüllt alles, was ihm noch einfällt, in den Fahrtwind und klammert sich am Lenker fest, dem Einzigen, was er noch unter Kontrolle zu haben scheint. Tränen schießen ihm in die Augen. Sie wollen nicht mehr aufhören, und das warme Nass auf seinen Wangen ist seit Wochen das erste erträgliche Gefühl. Zum Glück geht sein Schluchzen im Knattern des Motors unter."
Drei Mal Leben
Ihren ersten Roman erzählt Felicitas Korn aus drei Perspektiven und während andere Bücher dieser Machart daran kranken, das jede Stimme gleich klingt, stattet sie jede Figur mit einem eigenen Sound, einer eigenen Aura aus. Der pubertierende Michi, der mit seiner Schwester in einem Heim landet, spricht von der Freiheit wie von der großen weiten Welt. Der King geht auch sprachlich breitbeinig durchs Leben, schubst die Worte vor sich her wie seine Laufburschen. Und Loosi versetzt der Kampf gegen die Sucht und die Ungerechtigkeit der Welt in wahlweise zarte oder brutale Stimmungen. Alle drei machen sie nicht viele Worte, verbergen mehr als sie offenbaren. Felicitas Korn packt ihre Geschichten in kurze, klare Sätze. So erfahren ihre Anti-Helden erste, wahre und käufliche Liebe, betäuben sich mit Hasch, Kokain oder Alkohol und leben weniger ein Leben, als dass sie einen beständigen Kampf gegen sich selbst führen.
"Er hat sich verdammt noch mal arrangiert. Er hat den ganzen beschissenen Scheiß abgehakt. Vor der Auslage zählt er die Schnapsflaschen und sein Geld. Immer und immer wieder. Sein Gaumen schmeckt den Glückstropfen bereits. Das Herz pumpt, nur einen Kauf entfernt von Friede und Untergang. Eine Flasche Wodka oder vier Tetra Wein? Zwanzig Minuten steht er vor den Alkoholika. Als ein Kind den Kiosk betritt, entscheidet er sich zu rennen. So schnell er kann."
Faustdicke Überraschung am Schluss
Felicitas Korn erzählt kurzweilig von Männern, die auf der Flucht sind und folgt ihnen in der Gegenwartsform, was dringlicher tönt, schneller, wacher. Dabei montiert sie ihre Leben parallel, arbeitet immer wieder mit spannungssteigernden Cliffhangern und wartet am Ende mit einer faustdicken Überraschung auf. Ein erzählerischer Knalleffekt, über den man nicht das mindeste verraten darf. Ihre Protagonisten bringt sie in Situationen, in denen sie weder vor noch zurück können. Eine gute Ausgangslage für spannende Geschichten. Dabei führt sie ihre Figuren nicht vor, sondern gibt ihnen die Chance, die Klischees, die sie unwillkürlich hervorrufen, mit Vielschichtigkeit zu kontern. Alle drei haben sie ein Faible für den Geschwindigkeitsrausch. Felicitas Korn schließt sich ihnen an, erzählt temporeich, mit dem nötigen Drive, beschleunigter Figurenrede und satirischer Anteilnahme.
Empathie für sperrige Lebensläufe
So blickt sie auch auf den triebgesteuerten King, der das ganz große Ding dreht und dafür die Frau seines Gegenspielers, Jana, auf seiner Seite wissen will:
"Sein Schwanz legt sich wieder schlafen, und endlich, endlich, endlich, strömt wieder Blut durch sein Hirn, und er kann wieder denken: Yes. Yes! Er hat die letzte Hürde genommen. Jana ist so was von tausendpro on his side. Niemals hat sie ihn verraten. Der Rest ist nun aber wirklich Kinderkacke."
Der Roman präsentiert die drei aber nicht nur in ihrem Mackertum und ihrer toxischen Männlichkeit, sondern hegt merklich Sympathie für ihre sperrigen Lebensläufe, ihre üppigen Sehnsüchte und ihre Versuche, aus der eigenen Haut zu fliehen. Ihren rauen Umgangston hat Felicitas Korn ebenso drauf wie sie Klassenunterschiede genau in den Blick zu nehmen versteht. Darüber hinaus beweist sie ein gutes Gespür für die trostlose Suche nach einem Zuhause. Ihr Roman mag nicht viel über das Offensichtliche hinaus erzählen, doch wie er das macht, ist durchaus bemerkenswert.
Felicitas Korn: "Drei Leben lang"
Kampa Verlag, Zürich, 298 Seiten, 22 Euro