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Feministische Fantasy
Schluss mit den Geschlechterklischees

Männer schreiben ernste Fantasy-Romane über Machtspiele, Krieg und Ehre - Frauen schreiben romantische Fantasy für Mädchen. Dieses Klischee ist weit verbreitet. Ein Kölner Verlag will die Geschichten und Rollenbilder nun verändern und startet die neue Reihe "Wicked Queen Editions".

Von Benedikt Schulz |
Auf der Leipziger Buchmesse steht das Buch von I.R.R.Tolkien "Herr der Ringe"
Vorbild für viele Fantasy-Autor*innen, aber doch in Klischees verhaftet: Tolkiens Klassiker "Der Herr der Ringe" - hier auf der Leipziger Buchmesse 2019 (dpa/ZB (Waltraud Grubitzsch))
Was hat "Der Herr der Ringe" mit einer sexy Wohnzimmerlampe zu tun? Mehr als man denkt.
Textauszug aus "Der Herr der Ringe": "Ihre weißen Arme und ihr klares Gesicht waren makellos und glatt und das Licht von Sternen war in ihren leuchtenden Augen."
"Der Herr der Ringe", John Ronald Reuel Tolkiens klassisches Fantasy-Werk, gilt bis heute als der Maßstab für Fantasy-Literatur. Immer noch geht vieles von dem, was man bis heute unter Fantasy versteht, auf Tolkien und seine Schöpfung Mittelerde zurück. Eines aber sucht man bei Tolkien so gut wie vergebens ...
Textauszug: "So kam es, dass Frodo sie erblickte, die wenige Sterbliche je gesehen hatten: Arwen, Elronds Tochter."
... nämlich Frauenfiguren, die wesentliches zur Handlung beitragen können. Zumindest die Figur der Arwen besteht kaum den so genannten Sexy-Lamp-Test, eine vereinfachte Version des Bechdel-Tests. Kann man einen weiblichen Charakter problemlos durch eine sexy Wohnzimmerlampe ersetzen, ohne, dass die eigentliche Handlung dadurch gestört wird?
Schön doppeldeutig
Kathrin Dodenhoeft: "Schon beim ersten Mal lesen fand ich es unglaublich unverständlich, warum Arwen nie was macht."
Kathrin Dodenhoeft ist Verlagsleiterin beim kleinen Kölner Fantasy- und Rollenspielverlag Feder & Schwert. Und sie hat sich dort ein neues Label ausgedacht: "Wicked Queen Editions", eine Reihe für feministische Fantasy-Bücher.
"Der Name war so eine spontane Idee, angelehnt an Märchen und böse Stiefmütter, deswegen Wicked Queen ... und der Name sollte gegen Klischees und für Frauenfiguren mit einer eigenen Agenda, die aber nicht unbedingt nett sein müssen. Und deswegen auch der englische Name, weil Wicked im Englischen halt so schön doppeldeutig ist, also das bedeutet sowohl bösartig als auch cool oder außergewöhnlich."
Warum feministische Fantasy? Irgendwann konnte und wollte Dodenhoeft die üblichen Klischees über Frauen in Fantasy nicht mehr, auch nicht zähneknirschend, überlesen.
"Eins der Klischees ist, dass eine Frau, eine weibliche Protagonistin, so lange stark und kompetent ist, bis sie sich in einen Mann verliebt, der natürlich total toll ist."
Die Frau in Fantasybüchern ist fast immer auf romantische Verwicklungen abonniert. Entweder weil sie sowieso nur als Liebesobjekt für den männlichen Helden herhalten muss Oder weil sie wegen eines gutaussehenden Mannes alles über den Haufen wirft.
"Auf einmal, sobald sie mit ihm gemeinsam rumzieht, verliert sie plötzlich scheinbar alle ihre Fähigkeiten und ist total hilflos und muss ständig von ihm gerettet werden. So was hab ich neulich noch in einem aktuellen Roman gelesen und dachte so: nein!"
Mehr als nur intelligente Frauenrollen
Auch wenn immer mehr weibliche Helden die fiktiven Welten bevölkern, auch wenn Pionier*innen wie Ursula K. Le Guin seit den 60er-Jahren feministische Perspektiven in die phantastische Literatur eingebracht haben: Die Fantasyliteratur ist und bleibt männlich dominiert. Nicht zuletzt, weil viele Verlage klassische Erwartungshaltungen bedienen, um ihre Bücher zu verkaufen. Eine dieser Erwartungshaltungen: Frauen schreiben romantische Fantasy für junge Leserinnen.
Judith Vogt: "Es ist noch nach wie vor so, dass Frauen in dieses Young-Adult-Genre reingepresst werden, oder halt in dieses Romantasy-Genre. Und ernstzunehmende Fantasy hat besser einen Mann vorne draufstehen, weil sich das dann angeblich besser verkauft."
Judith Vogt ist eine deutsche Fantasy_Schriftstellerin. Sie hat bislang Glück mit ihren Verlagen gehabt. Andere dagegen weniger, meint sie. Ihre aktuelle Fantasyreihe, "Die dreizehn Gezeichneten", hat keine dominierende weibliche Rolle - trotzdem bezeichnet sich Vogt als feministische Autorin. Bei feministischer Fantasy geht es eben nicht nur darum, mehr intelligente Frauenrollen zu entwerfen:
"Intersektionaler Feminismus heißt ja, dass auch non-binäre Menschen da ihren Platz drin haben, andere Hautfarben als weiß. Wir hatten ja jetzt ganz lange immer weiße able-bodied Cismänner als Helden mit denen wir uns alle identifizieren mussten, egal welches Geschlecht, egal welche Hautfarbe, egal welche Herkunft, und ich glaube, dass feministische Fantasy die Möglichkeit ist, darzustellen, dass die Welt sehr viel mehr umfasst als nur das."
Fantasy wird oft – anders als Science-Fiction – als Eskapismus begriffen, als Möglichkeit zur Weltflucht, zumindest als Unterhaltung - und nicht als politisches Programm. Und doch sollte sich Fantasy mit Feminismus, mit gesellschaftlichem Wandel und Diversität beschäftigen, meinen die Verleger*innen von Feder & Schwert. Sie haben die Reihe "Wicked Queen Editions" auf den Weg gebracht …
Kathrin Dodenhoeft: "... weil ich eine Anhängerin der Theorie bin: Alles ist politisch. Wenn man Bücher von Autorinnen nicht lesen will, ist man politisch. Wenn man Bücher mit weiblichen Protagonistinnen nicht mag genauso."
Um bei den "Wicked Queens" aufgenommen zu werden, muss man allerdings ein paar Mindestbedingungen erfüllen, sagt die Verlagschefin: Die Geschichte einer Frau muss entscheidender Teil der Handlung sein. Es müssen noch viele weitere intelligente Frauen die Welt bevölkern, die eigene Geschichten mitbringen. Wenn die Frauen sich verlieben, sollen sie nicht automatisch ihre Zurechnungsfähigkeit verlieren. Und: Auf keinen Fall sollen sie perfekt sein müssen – sie dürfen sogar extrem unsympathisch sein. Denn schließlich, meint Dodenhoeft, gebe es eh viel zu wenige weibliche Bösewichte in der Fantasy.
Das erste Buch der "Wicked Queens" ist "An Easy Death", der erste Teil einer Fantasy-Trilogie der US-Amerikanerin Charlaine Harris über die Revolverheldin Gunnie Rose – die ist Heldin in einer alternativen Version eines 1930er-Südstaaten-Amerikas, also eine typisch männliche Rolle, in einem typisch männlich dominierten Setting.