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Fenster in die Vergangenheit

Medizin. - Bei bestimmten Auslösern wie Bildern oder Gerüchen springt oft das Gedächtnis an und liefert Erinnerungen an damit verbundene Situationen. Jetzt schauen US-Forscher dem Gehirn bei seinen mentalen Zeitreisen über die Schulter.

Von Kristin Raabe | 23.12.2005
    Die Erinnerung an das letzte Weihnachtsfest ist eine Art mentale Zeitreise: Plötzlich tauchen die Bilder in unserem Kopf wieder auf: Der Weihnachtsbaum leuchtet in Gold und Lila. Die Enkelkinder spielen mit den teuren Krippenfiguren und zum ungefähr hundertsten Mal spielt die kleine Schwester die CD mit "Last Christmas" von der Gruppe Wham. Was bei so einer mentalen Zeitreise im Gehirn geschieht, wollten amerikanische Forscher von der Universität von Pennylvania in Philadelphia herausfinden. Dazu zeigten die Forscher ihren Versuchspersonen Bilder von prominenten Schauspielern, von bekannten Bauwerken wie dem Taj Mahal und von gewöhnlichen Alltagsobjekten. Gleichzeitig beobachtete der Hirnforscher Sean Polyn mit einem Kernspintomographen die Gehirnaktivität:

    "Wenn jemand ein Bild von Bruce Lee, Brad Pitt oder Jennifer Anniston betrachtet, entsteht dabei ein ganz spezifisches Aktivierungsmuster im Gehirn, das nur bei Gesichtern auftritt, nicht bei anderen Objekten. Bei Bauwerken taucht hingegen ein anderes Aktivierungsmuster auf. So ein Muster ist beinah wie ein neuronaler Finderabdruck. Wir wollten wissen, was mit diesen Aktivierungsmustern während der Erinnerungsphase in unserem Experiment geschieht. Und tatsächlich, während die Versuchspersonen sich an die verschiedenen Bilder erinnerten, tauchte das Aktivierungsmuster wieder auf. Das Kommen und Gehen der verschiedenen Aktivierungsmuster hat uns gezeigt, an welche Kategorie sich die Versuchsperson als nächstes erinnern würde."

    Für jede Kategorie – Gesichter, Bauwerke, Alltagsobjekte – konnten die Forscher also ein spezifisches Aktivierungsmuster identifizieren. Ihre Analyse war so genau, dass sie bis zu einem gewissen Grad sogar die Gedanken ihrer Versuchspersonen lesen konnten.

    "Das Spannende an dieser Studie ist, dass wir zeigen konnten, dass dieses Aktivierungsmuster bereits Sekunden, bevor die Versuchsperson sagt, woran sie sich erinnert, auftaucht. Es war ungefähr so, als ob wir in der Lage wären, zu sehen, wie diese spezielle Erinnerung wieder hervor kommt. Wenn also jemand in seinem Gedächtnis nach den Bildern sucht, die er zuvor gesehen hat, dann denkt er zunächst an Gesichter im allgemeinen. Das ist wie ein Startprogramm, über das dann die speziellen Informationen geladen werden. Das gesichtstypische Aktivierungsmuster tauchte also immer dann auf, kurz bevor jemand anfing, Prominente aufzuzählen, wie etwa Jack Nicholson, Halle Berry, Bruce Lee."

    Was für die Erinnerung an Jack Nicholson und andere Prominente gilt, das galt im Experiment auch für Bauwerke wie das Taj Mahal. Bleibt allerdings die Frage, ob das Experiment der Forscher der realen mentalen Zeitreise nahe kommt, die wir vollziehen, wenn wir beispielsweise an das letzte Weihnachtsfest denken.

    "Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse sich verallgemeinern lassen. Wir mussten für unser Experiment Bilder von Prominenten, Gegenständen und Bauwerken benutzen. Aber wahrscheinlich sagen die Ergebnisse unserer Studie etwas darüber aus, was im Gehirn jedes Menschen vor sich geht, wenn er sich an etwas Vergangenes erinnert. Wenn wir an das letzte Weihnachtsfest denken, dann fällt uns vielleicht der Weihnachtsbaum ein und dann ein Geschenk, das wir bekommen haben und dann eins, dass wir jemand anderem gegeben haben."

    Bleibt nur zu hoffen, dass die Erinnerung an das letzte Weihnachtsfest erfreulicher ist als in dem Lied "Last Christmas". Da hatte jemand sein Herz verschenkt und wurde zurückgewiesen.