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Feridun Zaimoglu: "Evangelio. Ein Luther-Roman"
Der Reformator als Romanheld

Feridun Zaimoglu gilt als wortgewaltiger Schriftsteller. Er hat sich für seinen neuen Roman ein eben solches Vorbild ausgewählt: Martin Luther, den er als "Meister" bezeichnet. Schon als Kind habe er Luthers Bibelübersetzung gelesen. Der bekennende Muslim sieht in Luther einen Mann, der den Kopf hinhält, aber auch übers Ziel hinausschießt.

Von Christian Röther |
    Feridun Zaimoglu bei einer Lesung in Berlin am 17.2.2017
    "Evangelio" von Feridun Zaimoglu wirkt wie ein Korrektiv im Luther-Hype, der im Reformationsjubiläum um sich greift (dpa / picture alliance / Gregor Fischer)
    "In unseren politisch korrekten Zeiten ist es doch recht erfrischend, wenn man mal auf einen stößt, der Widerwärtiges sagt - darauf kann man hinweisen - der sich aber erhitzt, der über das Ziel hinausschießt - ja. Nur dabei auch immer wieder Mut beweist und den Kopf hinhält. Ich weiß nicht - dafür habe ich große Achtung übrig."
    Wenn Feridun Zaimoglu über Martin Luther spricht, dann gerät er ein bisschen ins Schwärmen. Der Schriftsteller aus Kiel kam als Kleinkind mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland - und befasste sich schon früh mit Luther.
    "Martin Luther war für mich schon immer ein Held der deutschen Sprache. Ich habe ja schon mit elf, zwölf Jahren die Lutherübersetzung der Bibel gelesen und war hin und weg."
    "Papst, Jud und Türck sind Teufels Kotbröckchen"
    Feridun Zaimoglu stammt aus einer muslimischen Familie. Er wünscht sich, dass man seinen Nachnamen deutsch ausspricht, das klinge "zackiger und schöner". Fast 40 Jahre lang habe er sich mit Luther und dem Christentum auseinandergesetzt, sagt Zaimoglu. Er habe die Bibel dutzendfach gelesen - immer wieder. Dann fing er an, seinen Luther-Roman "Evangelio" zu schreiben - pünktlich zum Reformationsjubiläum.
    "Dafür habe ich dann eine eigene Kunstsprache erfunden. Nicht etwa in Nachahmung der Sprache von damals, sondern im Sinne einer Nachdichtung."
    "Es vermorscht hier meine Tüchtigkeit, ich schlaf auf durchgefaulter Strohschütte, ich werd mich nicht verbittern. Papst, Jud und Türck sind Teufels Kotbröckchen, gespeichelt und gebacken", heißt es zum Beispiel im Buch.
    Luther war "wuchtig und nicht zimperlich"
    Zaimoglu zelebriert eine derbe Sprache. Sein Roman spielt auf der Wartburg. Luther versteckt sich dort und übersetzt die Bibel ins Deutsche. Zaimoglu behandelt dabei ausführlich das, was man heute Luthers Schattenseiten nennt. Etwa seinen Hass auf Juden und den Papst, seine Verachtung für die aufständischen Bauern.
    "Sterben den Junkern die Rosse, wär's gefällig, dass sie die Bauern mit Sporen reiten."
    Feridun Zaimoglus Roman "Evangelio" neben Lutherbibeln
    In Feridun Zaimoglus Roman ist Martin Luther vom Teufel getrieben (Deutschlandradio/Christian Röther)
    Hatte Martin Luther einfach nur einen schlechten Charakter? Zaimoglu bestreitet das, findet das zu simpel. Vielmehr sei seine Frömmigkeit Spiegel des Zeitgeists:
    "Einen Martin Luther ohne seine Frömmigkeit zu verstehen, ist schier unmöglich. Ich bin angetan von ihm, weil er wuchtig war, weil er nicht zimperlich war, weil er mit Übertreibungen nicht geizte. Hier haben wir es mit einem zu tun, der hinausging aus der Gelehrtenkammer und sich unter das Volk mischte, um die kräftigen und deftigen Worte zu erlauschen für die Übersetzung der Bibel."
    "Satan ist der Vater meiner Theologie"
    Dem Roman-Luther sitzt dabei der Teufel im Nacken. Er erkennt ihn in Hunden, Schatten und Geräuschen. Luthers Handeln wirkt, als wäre es vor allem motiviert durch sein Ringen mit dem Satan.
    "Ich stieß bei der Recherche immer wieder auf den Hinweis von Meister Luther, dass er auf der Wartburg wie nirgendwo sonst vom 'alten Feind' - sprich dem Teufel - angefochten und versucht worden ist", sagt Zaimoglu.
    "Satan ist der Vater meiner Theologie, ohne die Anfechtung hätt ich nicht können finden zum Heil", so Luther im Buch.
    "Die Hexe soll brennen"
    "Evangelio" von Feridun Zaimoglu wirkt wie ein Korrektiv im Luther-Hype, der im Reformationsjubiläum um sich greift. Luther begegnet uns im Roman als ein Mensch, der ein halbes Jahrtausend von uns entfernt ist - auch mental.
    Zaimoglu beschreibt eine Zeit, die uns in vielem ungeheuer fremd ist. Leichenteile von Gehenkten werden verkauft - zum Schutz vor Schadenszauber. Auch Luther glaubt im Roman an solchen Zauber, an Hexenwerke - verachtet sie jedoch. Luther führt persönlich einen Mob an, der eine Hexe zur Strecke bringen will, und hält sich dabei ein Holzkreuz über den Kopf:
    "Die Hütte soll brennen. Die Hexe soll brennen. Dass ihre Seele in den Höllenpfuhl stürzt."
    "Mir ging es darum, die Geschichte zu erzählen von einem, der heute etwas verharmlosend als Reformator bezeichnet wird, der aber viele Kämpfe ausgestanden hat, ein mutiger Mann war, um eben zu diesem erlösenden Gotteswort zu gelangen", sagt Zaimoglu.
    "Je schlechter es mir geht, desto besser für das Buch"
    Zaimoglu spricht im Interview deutlich freundlicher von Luther, als seine Romanfigur erscheint. Sein Verlag scheut derweil nicht den Vergleich der beiden und nennt Luther und Zaimoglu "die zwei Wortgewaltigen". Und tatsächlich hat sich Feridun Zaimoglu seinem "Meister Luther" nicht nur sprachlich angenähert:
    "Ich las, der Meister hat gefastet. Also fastete ich. Ich las, er ist um drei Uhr aufgestanden für das Morgengebet und also stand ich um drei Uhr morgens auf. Ich bin an die Schauplätze gegangen, habe an einigen Burgen Zeit verbracht, auch nachts. Ich habe mir also fast - mit Verlaub - ins Hemd gemacht vor Angst. Ich habe schlecht geschlafen, ich habe schlecht geträumt und habe mich gefreut, weil es gilt die Regel: Je schlechter es mir geht in der Zeit, da ich ein Buch fertigstelle, desto besser für das Buch."
    Feridun Zaimoglu: Evangelio. Ein Luther-Roman. Kiepenheuer & Witsch. 345 Seiten. 22 Euro.