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Feridun Zaimoglu über die Muttersprache
"Ich kann nicht anders, als es auf Deutsch zu machen"

Der in der Türkei geborene Schriftsteller Feridun Zaimoglu ist in Deutschland aufgewachsen und wurde zweisprachig erzogen. Deutsch empfinde er als seine Muttersprache, sagte er im DLF. Geprägt habe ihn vor allem Martin Luther, so Zaimoglu am heutigen Tag der Muttersprache.

Feridun Zaimoglu im Gespräch mit Anja Reinhardt |
    Schriftsteller Feridun Zaimoglu am Schreibtisch
    Mit zwölf Jahren las er die Luther-Bibel, verstand aber nur ein Drittel: Dennoch habe ihn das Luther-Deutsch geprägt, sagte Feridun Zaimoglu im DLF. (Deutschlandradio - Nicolas Hansen)
    Anja Reinhardt: Seit dem Jahr 2000 gibt es ihn, den Internationalen Tag der Muttersprache: In Zeiten von Millionen von Flüchtlingen, die ihre Heimat verlassen, und auch in Zeiten, in denen immer häufiger auf Nationalismus gepocht wird, hat die Muttersprache, über die wir uns die Welt erschließen und mit der wir anfangen zu kommunizieren, ihren eigenen Tag ganz sicher verdient.
    Wir haben mit dem Schriftsteller Feridun Zaimoglu über die Muttersprache gesprochen – geboren wurde er in der Türkei, mit einem Jahr kam er nach Deutschland, er ist also zweisprachig aufgewachsen. Da könnte man vermuten, dass die Frage nach der Muttersprache für Zaimoglu nicht so einfach zu beantworten ist, aber da lag ich falsch, als ich kurz vor der Sendung mit ihm gesprochen habe:
    Feridun Zaimoglu: Ich kann es nicht nur jetzt sagen, sondern ich konnte sehr bald sagen, auch als Kind, dass Deutsch mir zur Muttersprache geworden ist. Ich muss etwas grinsen, wenn ich immer höre, derjenige habe einen Migrantenhintergrund, und da mich mein Hintergrund herzlich wenig interessiert hat, aber mein spannender deutscher Vordergrund, habe ich mich natürlich vermengt und habe ich das Leben, das spannende deutsche Leben draußen, daran teilnehmen wollen und Deutsch, diese Sprache ist jetzt nicht einfach eine Möglichkeit der Verständigung gewesen, sondern sehr schnell auch mir als Muttersprache zugewachsen. Deutsch ist auch die Sprache meiner Seele. Ich kann nicht anders, wenn ich wirklich intensiv sein will und wenn ich ehrlich sein will und wenn ich dann an einem Buch schreibe, tief hineingehe in den Stoff, ich kann nicht anders, als es auf Deutsch zu machen, und auch darüber freue ich mich.
    "Dieser Jargon war und ist ein deutsches Sprachphänomen"
    Reinhardt: Wenn ich das richtig gelesen habe, dann kommen Sie aus dem Arbeitermilieu. Das heißt, Sie sind wahrscheinlich auch mit anderen Migranten aufgewachsen, die – und das haben Sie ja in Ihrem ersten Roman "Kanak Sprak" auch irgendwie zu Papier gebracht – eine ganz bestimmte Sprache benutzen. Sie haben das, was viele Leute vielleicht eher abfällig sehen, umgedeutet in etwas Positives.
    Zaimoglu: Das hatte es ja in den USA gegeben, das hatte es in Frankreich gegeben: Dieser Jargon der Eigentlichkeit, dieses Stilett-Staccato, wie ich es bezeichnet habe, mit deutschen Worten, zuweilen verdreht und beschleunigt und hinausgeworfen, hinausgeschleudert. Dieser Jargon war und ist ein deutsches Sprachphänomen. Ich wurde eingeladen in Literaturhäuser und Buchhandlungen und wurde da eigentlich vorgestellt als ein Indianer aus dem Reservat, aber ich war ja einer, der mittels dieses recht rüden Jargons ja über deutsche Verhältnisse sprach. Aber später sollte es so sein, dass "Kanak Sprak" dann zum hohlen Rap-Gesang geworden ist von Männern, von jungen Männern, die sich dann mit Statussymbolen wichtigmachen wollten.
    "Das Wort ist auch Ausdruck der Heiligkeit"
    Reinhardt: Luther, mit dem Sie sich in Ihrem neuen Buch "Evangelio" beschäftigen, hat ja eigentlich was ganz Ähnliches gemacht. Er hat in der Bibel-Übersetzung Worte erfunden, die es so noch nicht gab. Ist das etwas, was Sie fasziniert hat, als Sie dieses Projekt, dieses Buch gestartet haben?
    Zaimoglu: Ich habe ja schon mit zwölf Jahren das erste Mal Luthers Bibel gelesen, verstand natürlich weniger als ein Drittel, was ich da las, aber ich dachte, "Donnerwetter, hier braust es, hier spüre ich den Geist, von dem die Rede ist, hier wird nicht etwas beschrieben, sondern das Wort ist auch Ausdruck der Heiligkeit des Heilands." Und er hat sich eingelesen, er war ja schriftkundig und stellte fest: Wenn davon die Rede ist, dass das Gotteswort den armen und beladenen, den einfachen Menschen gilt, dann sagte er sich, dann höre ich mich um beim Volk, beim deutschen Volk, und er hat im Grunde wirklich die Heilige Schrift in das rechte deutsche Maß übersetzt.
    "Es kann für mich nur eine Heimat geben und das ist Deutschland"
    Reinhardt: Ich möchte noch einmal auf das Türkische zurückkommen. Spüren Sie da auch, dass Sie da vielleicht auch eine gewisse zweite Heimat verlieren?
    Zaimoglu: Ich hatte immer nur eine Heimat. Es kann für mich nur eine Heimat geben, und das ist Deutschland. Das muss jeder selber sehen. Für mich war die Türkei immer das Land meiner geliebten Eltern, das schöne Land. Ich bin da hingefahren - darauf habe ich immer wieder hingewiesen – als gut unterrichteter Tourist. Aber sobald ich den Mund aufmachte und Türkisch sprach, lachten dann die zehnjährigen Kinder auf, denn mit meinem Türkisch ist es nicht sehr weit.
    Eins darf man natürlich nicht vergessen: Das gilt für die meisten der hier lebenden Türkisch- und Kurdischstämmigen, so denn die Kurdisch stämmigen Türkisch sprechen. Es ist kein wirkliches Türkisch, was hier gesprochen wird, sondern ein recht dialektales Dorftürkisch mit einem sehr begrenzten Sprachschatz und mit einer völlig anderen Melodie. Das sage ich wertfrei, um zu bedeuten, wie anmutig mir das Türkisch der wahren Türken aus der Türkei dann klingt.
    Reinhardt: Sprache als Erkenntnisinstrument - der Schriftsteller Feridun Zaimoglu zum Thema Muttersprache.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.