Nur die Autoren zweier Sprachräume verteidigen in diesem Buch das europäische Erbe gesellschaftspolitisch anregender Spekulation, die sich nicht ins Märchenhafte flüchtet, sondern maximal zwei Generationen vorausgeht, sich mithin die Flanke potentieller Widerlegbarkeit leistet: die Spanier und die Deutschen. Ein Deutscher, Michael Marrak, glaubt sich sogar von der Wirklichkeit eingeholt, denn kurz nach Fertigstellung seiner Erzählung verglühte die Raumfähre Columbia, was dem Autor wie ein unziemlicher Realitätseinbruch vorkam, weswegen er am Ende seines Textes akribisch dokumentieren muss, dass er auf jeden Fall schneller gedacht hat als die NASA scheiterte. Ein symptomatischer Fall, denn die Geschichte von Oneway-Raumflügen als Möglichkeit des Luxussuizids wird – wenn überhaupt – nur oberflächlich vom Columbia-Unglück berührt, nicht aber in ihrem erzählerischen Kern. Literatur schafft eigene Wirklichkeiten, das ist ja ihre Stärke, und doch scheint es diese Angst vorm Eingeholtwerden zu sein, die die meisten Science-Fiction-Autoren in sehr ferne und sehr unwahrscheinliche Zukünfte enteilen lässt. Ein implizites Misstrauensvotum gegen die eigene literarische Fähigkeit.
Auf die Spanierin Elia Barceló und ihren Landsmann César Mallorquí trifft das freilich nicht zu. Beider Stories sind von beklemmender Dichte, gerade weil sie sich auf jeweils einen Geistesblitz beschränken, im übrigen aber die Welt so aussehen lassen, wie sie vermutlich wirklich in dreißig, vierzig Jahren aussehen wird: nicht anders als heute. Bei beiden geht es um die Frage individueller Lebenszeitverlängerung für diejenigen, die sich das leisten können – und was das für Implikationen nach sich zieht. Da es in der Natur des Genres liegt, über Grundeinfälle nicht reden zu können, ohne die Spannung aufzulösen, sei hier nicht mehr verraten. Ob es sich jedoch für drei, vier luzide Geschichten lohnt, alle unerfreulichen Begleiterscheinungen zeitgenössischer Phantastik mit einzukaufen, muss der Interessierte selbst entscheiden. Eine geographisch orientierte Anthologie jedenfalls scheint wenig geeignet, neue Leserschichten zu erschließen. Den Skeptikern und Verächtern des Genres würde man lieber ein Bändchen in klassischer Manier in die Hände drücken: Was passiert, wenn ... man die Optionen der Gegenwart in alle Richtungen auslotet. Manch einem der alten Science-Fiction-Autoren ist dabei schon ein philosophischer Wurf gelungen.
Andreas Eschbach (Hg.)
Eine Trillion Euro
Bastei Lübbe, 463 S., EUR 8,90