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Fernfahrt Paris-Nizza
Corona-Angst im Radsport

Keine Umarmungen, keine Küsschen, Sicherheitsabstand: Unsicherheit war bei vielen Fahrern der Fernfahrt Paris-Nizza ein ständiger Begleiter. Dass der traditionsreiche Wettkampf im stark betroffenen Frankreich trotz der Corona-Krise stattfand, verwunderte auch viele Teilnehmer.

Von Tom Mustroph |
Maximilian Schachmann (Team Bora) ist Gesamtsieger der Fernfahrt Paris-Nizza.
Die Ansteckungsgefahr sollte bei der Fernfahrt Paris-Nizza so weit wie möglich reduziert werden (dpa/ picture alliance/ Augenklick/Roth)
Erschöpft liegt Maximilian Schachmann am Boden. Ihm hat nicht das Coronavirus zugesetzt. Er hat auf dem 16 km langen Anstieg zur Skistation von Valdeblore La Colmiane das gelbe Trikot verteidigt und die Fernfahrt Paris – Nizza gewonnen.
"Es ist ein super Gefühl, das Maillot Jaune, das typische gelbe Trikot mit nach Hause zu nehmen. Da geht ein kleiner Traum in Erfüllung", sagt Schachmann, nachdem er wieder zu Atem gekommen ist. Paris – Nizza gewonnen zu haben, ist der bislang größte Erfolg in seiner vielversprechenden Karriere. Es war aber auch ein ganz besonderes Rennen. Das hat natürlich auch Schachmann mitbekommen.
"Das war schon ein bisschen speziell, die ganze Welt steht still, und wir fahren weiter Radrennen."
Viele Teams nicht am Start
Verwundert darüber waren viele. Sieben World-Tour-Teams hatten von sich aus verzichtet, am Rennen teilzunehmen. Zwei weitere, Bahrain Merida und Israel Start Up Nation, stiegen unterwegs aus. Der Teammanager von Israel Start-Up Nation, Kjell Carlström, über die Gründe: "Es war nicht ein bestimmter Grund. Jeder hat die Angst, das Virus selbst zu bekommen. Größer noch ist die Angst, jemand anderen anzustecken. Und dann wäre es auch nicht schön, irgendwo zu stranden. Am Ende war das der wichtigste Grund, um nach Hause zu gehen."
Die, die bis zum Ende blieben, erlebten wohl die merkwürdigste Ausgabe von Paris – Nizza in der Geschichte. Nico Denz, Profi beim deutschen Rennstall Sunweb, schildert das so: "Ich muss sagen, die Atmosphäre am Start ist sehr schwach. Ich kann nicht wirklich nachvollziehen, warum wir noch eine Teampräsentation machen, weil eh keiner da ist. Aber an der Strecke kann man die Zuschauer nicht aufhalten. Die sind da, Gott sei Dank, muss man sagen. Denn ohne die Zuschauer ist es schon etwas trist."
Kaum Zuschauer im Ziel
Ein World-Tour-Rennen fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit. An Start und Ziel waren kaum Menschen. Bei der Siegerzeremonie wurde auf Sicherheitsabstand geachtet. Keine Umarmungen, keine Küsschen. Auch bei Interviews achteten die Teams auf Abstand. Barrieren hielten Journalisten und Fahrer an den Bussen auf etwa einen Meter Abstand.
Während des Rennens allerdings waren solche Distanzen nicht einzuhalten. Besondere Vorkehrungen trafen die Teams aber doch.
Nico Denz: "Es wird schon verstärkt Wert auf Hygiene gelegt. Wir hatten sowieso schon Handdesinfektionsgel am Tisch. Was sich geändert hat, ist, dass wir die Flaschen nicht mehr in die Natur schmeißen. Wir geben auch keine Flaschen mehr an die Zuschauer heraus. Da geht immer alles zurück ins Auto."
Nicht mehr als zwei Teams in einem Hotel - das war eine der Sicherheitsvorkehrungen des Rennveranstalters ASO. Die Ansteckungsgefahr sollte so weit wie möglich reduziert werden. Aber: Unsicherheit war ein ständiger Begleiter im Peloton. Vor allem deshalb, weil immer wieder Teams ausstiegen, Fahrer nach Hause wollten.
"Eine sehr harte Woche"
Das führte dann auch zu einem besonders harten Wettkampf, meint Maximilian Schachmann: "Mental war es besonders, weil wir halt immer nicht wussten, was passiert jetzt. Wird es weitergehen, wird es nicht weitergehen. Was man aber in den Rennen gemerkt hat, es gab immer ein Team, das dachte, morgen ist es vorbei. Und so wurde auch gefahren, jeden Tag Vollgas, weil jedes Team dachte, wer weiß, wie lange wir noch Radrennen fahren. Wir haben Sponsoren, wir müssen uns noch mal zeigen, Vollgas. Oh das Rennen geht weiter, und das nächste Team: Aber heute, das ist unsere Chance, Vollgas. Von daher war es eine sehr harte Woche."
Jetzt scheinen alle froh, dass der Radsport keine Extrawurst mehr brät. Der Wunsch nach Normalität ist groß, das ist auch bei Fahrer Nico Denz zu hören: "Und dann ist für mich erst einmal wichtig, dass ich gut nach Hause komme. Weil man weiß ja auch nicht so genau, wie die Flugsituation ist. Wir fahren alle mit dem Auto nach Hause. Das Team bringt uns bis an die Haustür. Das ist eine gute Sache. Und dann müssen wir weitersehen."
Klassikersaison droht ins Wasser zu fallen
Wie es weiter geht, weiß niemand. Maximilian Schachmann war eigentlich für den Giro d’Italia vorgemerkt. Der wird auf jeden Fall verschoben. Vielleicht fällt er sogar ganz aus.
Und auch die Klassikersaison droht ins Wasser zu fallen. John Degenkolb, früherer Gewinner von Paris – Roubaix, fragt sich gegenwärtig nicht, ob er das Rennen in diesem Jahr erneut gewinnen kann. Sondern eher, ob es überhaupt stattfindet.
"Ich habe keine Ahnung. Ich kann dazu nichts sagen. Ich bin kein Doktor, ich bin kein Virologe. Ich bin nur Radfahrer. Und ich denke, wir müssen, egal was für eine Entscheidung rauskommt, die müssen wir akzeptieren."
Bis dahin heißt es für die Fahrer, die in Ländern wohnen, in denen man noch auf die Straße darf, möglichst allein auf einsamen Wegen zu trainieren. Italienische Profis müssen komplett zu Hause bleiben. Und ob es eine Tour de France in diesem Jahr gibt, weiß in Nizza gerade niemand zu sagen.