Endlich, sie ist da. Die langersehnte, europäische Antwort auf das US-amerikanische Quality-TV: Gomorrah.
Ciro ist aufgewachsen in einer neapolitanischen Brennpunktsiedlung. Er wird Mitglied eines Camorra-Clans. Seine angeborene Loyalität wird auf die Probe gestellt, als sein Clanpate eigene Mitglieder opfert – Bauernopfer im Kampf mit einem konkurrierenden Clan.
Der Pate wandert bald in den Knast, ein Machtvakuum entsteht und die Bedrohung von außen wächst. Gomorrah, die Serie, bietet eine Innensicht auf die neapolitanische Mafia und ihre perverse Logik, basierend auf tradierten Mechanismen, Gewalt und Rache.
Machenschaften der italienischen Mafia im Blick
Grundlage für die zwölfteilige Serie sind die umfangreichen Recherchen des italienischen Journalisten Roberto Saviano, der seit Jahren im Umfeld der Mafia, speziell der neapolitanischen Camorra, recherchiert. 2006 brachte Saviano "Gomorrha" heraus, eine Art fiktionalisiertes Sachbuch über die Machenschaften der italienischen Mafia. Der internationale Bestseller brachte ihm einige Morddrohungen ranghoher Mafiosi ein. Saviano wird seitdem 24 Stunden am Tag von Leibwächtern bewacht, wechselt ständig seinen Aufenthaltsort. Im Deutschlandfunk sagte Saviano vor sechs Jahren:
"Mein Buch wurde gefährlich, je mehr es gelesen wurde. Die Angst der organisierten Kriminalität gilt nicht mir, sondern meinem Leser. Hätte ich 10.000 Exemplare verkauft anstelle der zwei Millionen, hätte ich kein Problem bekommen. Die große Verbreitung der Botschaft durch das literarische Instrument hat diese Leute gestört."
Aus dem Buch entstand 2008 ein gleichnamiger Film, in dem der Alltag der Camorra beschrieben wird - in fünf parallel montierten Episoden.
Im Stil hyperrealistisch
Die zwölfteilige Serie ist nun keine Fortsetzung des Films, sondern eine Neuerzählung – jetzt mit anderen Protagonisten; aber der Stil ist ähnlich hyperrealistisch. Saviano hat als Berater die Produktion begleitet. Der Vergleich mit dem Mafia-Epos The Sopranos bietet sich an.
"Die Sopranos werden in der ganzen Welt gesehen. Es geht um italo-amerikanische Mafiosi, die aus Kampanien, also aus Neapel stammen."
Roberto Saviano im Deutschlandfunk:
"Sehr viele Leser meines Buches wollen die Geschichte der echten Sopranos lesen - nicht mehr die Fiktion, sondern die Wirklichkeit."
Die Serie unterscheidet sich allerdings von der HBO-Serie: The Sopranos basierte zum Teil auf Schilderungen echter italo-amerikanischer Gangster, war aber mehr die völlig frei erfundene Geschichte über den Mafiaboss Tony Soprano. Der Zuschauer entwickelt eine Hassliebe zu ihm, seiner Familie und den Figuren drumherum. Gomorrah hingegen erzählt fast schon dokumentarisch aus dem Inneren der neapolitanischen Camorra heraus - jedoch mit großer Distanz zu den Figuren.
Laienschauspieler aus dem Milieu
Gomorrah wurde an Originalschauplätzen gedreht, auch mit Laienschauspielern aus dem Milieu. Deshalb und weil hier Recherchen eines Journalisten in eine serielle Fiktion gegossen wurden, erinnert es eher an The Wire. Ähnlich wie David Simons HBO-Drama zeichnet auch Gomorrah ein Gesellschaftsbild, dokumentiert ohne direkte Wertung. Hier wird mit Tempo erzählt, aber ganz ohne Eile. Relevanter Inhalt, spannungsgeladen und überzeugend, mit Protagonisten, die allesamt unseren moralischen Vorstellungen widersprechen, für die wir als Zuschauer aber doch bereit sind, Zeit und Aufmerksamkeit zu investieren.
Der künstlerische Leiter Stefano Sollima trifft dabei immer die Intention der Buchvorlage: Wie The Wire auch ist Gomorrah dokumentarische Fiktion. Sollimas Stil: Als würde die Kamera zufällig beobachten, Dialog wird nicht abgefilmt, sondern belauscht.
Und so bietet Gomorrah nicht nur serielle Unterhaltung auf höchsten Niveau – die Serie klärt realitätsnah über die Methoden der italienischen Mafia auf. Diese Kombination funktioniert und bietet einen Mehrwert, der dem Projekt hoch anzurechnen ist. Roberto Saviano im Deutschlandfunk:
"Ich wollte den Blick auf das organisierte Verbrechen verändern. Das ist keine Bande von heruntergekommenen Lümmeln, die mit der Schrotflinte um sich schießen. Es sind Geschäftsleute, das ist die ökonomische Avantgarde, die in der halben Welt investiert und die Wirtschaft verändert. Ich glaube, ich habe gezeigt, dass erzählen nicht bedeutet, etwas zu beschmutzen, sondern dass es heißt, Widerstand zu leisten."