Einige Menschen sitzen hinter einem breit ausladenden Tisch, auf dem Boden davor spielen zwei Kinder. Hinter dem Tisch warten zwei Bedienstete auf den nächsten Einsatz. Mit einem Fingerschnipsen holt man sie herbei. Man redet über dies und das, streitet über die Frage, ob das Shoppen in London oder in Paris netter ist und ob Amerika ein Vorbild ist oder nicht. Der Vater kennt die Umsätze von Firmen wie Harley Davidson, man kennt von vielem den Preis, aber hat zu nichts eine ernstzunehmende politische Haltung. In der Mitte sitzt ein Freund der Familie, ein General mit starrem, ein wenig leerem Blick ins Publikum. Wann immer von modernen Dingen wie Facebook oder Instagram die Rede ist, sieht er ägyptische Werte bedroht, seine Grundhaltung ist paranoides Misstrauen.
"The last Supper" ist eine Satire über ein ägyptisches Bürgertum, das sich die Welt und ihre Veränderungen mit frivoler Plauderei vom Leib hält und keine Scheu hat, seine Privilegien knallhart zu verteidigen: So muss der vom kleinen Sohn gepiesackte Diener, nachdem er sich einen kurzen Moment lang wehrt, dem dicken, dummen Jungen die Hand küssen und ihn um Verzeihung bitten. Der ägyptische Autor und Regisseur Ahmet Al-Attar will auf die politischen Veränderungen in seinem Heimatland reagieren, zeigt aber einen kleinen Mikrokosmos, in dem diese völlig ausgespart scheinen.
"Um die ägyptische Gesellschaft zu verstehen, braucht man sich nur eine Familie anzuschauen: Die Verhältnisse zwischen Männern und Frauen, dem Vater, der Mutter mit ihren Söhnen, und das Verhältnis zu den Dienern. In all dem zeigt sich die ägyptische Gesellschaft, ihre Klassenkämpfe, Machtkämpfe, Emanzipationsversuche, das Funktionieren der Herrschaft." Ahmad Al-Attar fragt sich nach der letztlich gescheiterten ägyptischen Revolution, warum die gesellschaftliche Elite, das im Westen ausgebildete Bürgertum der gesamten arabischen Welt, eskapistisch und desinteressiert auf politische Veränderungen reagiert. Seine Satire, die nach 50 kurzen Minuten schon wieder endet, ist eine etwas eindimensionale Parabel auf ein Dolce Vita, das sich Lebensqualität mit Ignoranz und Gedankenleere erkauft, und leider deutet nichts darauf hin, dass Al-Attars ironischer Bezug auf das letzte Abendmahl das Ende dieser Klasse andeutet.
Multiperspektivische Erzählung schildert den Zerfall einer Welt
Avignon ist ein Festival der Kontraste, ästhetisch und gedanklich. So hätten die letzten Abende nicht unterschiedlicher sein können beim Wechsel vom leicht abstrakten Innenraum zur gewaltigen, rußgeschwärzten Nachkriegswelt, in der Starchoreograph Angelin Preljocaj im Ehrenhof des Papstpalastes einen Text von Laurent Mauvignier uraufgeführt hat. In "Retour à Berratham" kehrt ein junger Mann an den Ort seiner Kindheit zurück und sucht vergeblich nach Orientierungspunkten. Vor allem sucht er nach Katja, einer jungen Frau. Mauvigniers Text kennt zwar Personen, überträgt ihnen aber kaum Dialoge, sondern eher Anteile am Prosatext. Eine multiperspektivische Erzählung schildert den Zerfall einer Welt, in Szenen der Grausamkeit.
Schauspieler und Tänzer teilen sich den von Gitterkonstruktionen unterteilten Raum, die einen sprechen die Texte, die anderen illustrieren die Geschichte in tänzerischen Gruppenbildern. Angelin Preljocaj arbeitete bereits zuvor mit einem Text des Autors und hatte diesen bei Mauvignier in Auftrag gegeben.
"Das ist kein Ballett-Theater, und es ist kein getanztes Theater. Ich kann nicht genau sagen, was es ist. Ich glaube, der Tanz gibt dem Text eine eigenartige, schöne Resonanz. Tanz passt gut zum epischen Charakter des Textes, er funktioniert wie dessen Unbewusstes. "
In einem kurzen, schönen Moment überlagern sich Tanz und Text kunstvoll, dann etwa, wenn eine Hochzeit gezeigt wird, von einem gewaltigen Reifrock der dunkelgraue Stoff in zeremonieller Langsamkeit von den sich nach und nach einreihenden Tänzern abgerollt wird und sich dann in Teile zerlegt, die sich ein jeder als Jackett überzieht. Die weibliche Protagonistin, die mannigfaltiger männlicher Gewalt ausgesetzt ist, wird hier zur emblematischen Figur, zur Muttergottheit und Schutzheiligen. In der Regel aber bleibt der Tanz ein Gefangener des literarischen Diskurses, schafft es nicht, selbst eine Bildsprache mit eigener Logik und Poesie zu werden und verharrt in einer dienenden, illustrierenden Funktion. Das Experiment von choreographierter Literatur im Grenzgang zwischen Theater und Tanz konnte nicht überzeugen.