Ein ganzer Shakespeare in 50 Minuten. Coriolanus, diese feinsinnige Analyse politischer Prozesse im Spiel um die Macht, mit seinen zahlreichen Figuren kondensiert Tim Etchells Forced Entertainment zu einem kleinen Solo. Hinter einem Tisch sitzt Jerry Killick, neben ihm stehen zwei Ablagen, denen er zunächst Plastik- und Pappschächtelchen entnimmt mit Schrauben verschiedener Größe, und zwei Batterien. Sie stehen für das Volk von Rom und die beiden Volkstribunen, die sie vertreten. Später kommen kitschige versilberte Becher dazu und als höchstes Objekt ein alter Silberpokal, es ist die Titelfigur Coriolanus. Der Performer stellt seine Objekte immer wieder neu zu Gruppenbildern zusammen und erzählt derweil, was zwischen ihnen geschieht.
"He says to Coriolanus: You're very hard and tough on the enemies of Rome, and that is good. But you're also very tough on the people of Rome, and that is bad, because we, the common people, the plebeians, we are Rome."
Insgesamt sechs Performerinnen und Performer werden in den nächsten Tagen dem Coriolanus alle weiteren Stücke des englischen Klassikers folgen lassen, in vergleichbaren kurzen Interventionen mit banalen Objekten des Haushalts. In Stahlregalen, nach Stücken sortiert, stehen sie links und rechts bereit. Scharfe Gewürze sind auch dabei, für "Romeo und Julia" zum Beispiel Coriolanus jedenfalls war eine nette, charmante, eine niedliche Kleinigkeit.
Zeit, oder das klingt chicker, "Temporality" soll das Thema des diesjährigen International Performing Arts Festival sein und eine veränderte Form der Zeitwahrnehmung ermöglichen. Aber bevor dies mit einer 24-stündigen Aufführung eingelöst wird, geht's zunächst weiter durch die performativen Untiefen des Eröffnungsabends: Also müssen wir mit ansehen, wie sich in "Gonzo - The making of", dramatisiert durch ganz viel Bühnennebel, Leiber aus schwarzen Plastiktüten winden, wie sie begleitet von einem Kameramann auf einem bunten Sofa Platz nehmen, wie sie dann Zuschauer auf die Bühne bitten, ihnen Texte in die Hand drücken und sie zu aggressiven Äußerungen anstacheln.
"So do it again, a bit more aggressive.
You are stupid, fuck you!"
Florentina Holzinger und Vincent Riebeek wollen sich in ihrem "Gonzo - The making-of" mit einem Pornofilmgenre beschäftigen und deshalb muss der Zuschauer dann auch noch sehen, wie eine nackte Frau in ein Geflecht von Seilen gehängt wird und wie ein Performer sie bepinkelt. Das Publikum darf seine Ideen einbringen, das Format soll sich in den nächsten Tagen verändern, ein Making-of mit offenem Ausgang. Im besten Fall wäre das eine wütend-gedankenlose Austreibung eines großen Problems: Da ist eine junge Generation mit Pornografie groß geworden und schlägt jetzt mit Bildern wild um sich.
"Ich habe eine Radiosendung gehört ..."
In geradezu milder, belangloser Plauderei kann sich der Besucher bei Tino Sehgals "This Progress" erholen. Vier Gesprächspartner, vom kleinen Mädchen bis zur reiferen Dame reden nacheinander bei einem kleinen Spaziergang mit dem Zuschauer über den Fortschritt. Das Format ist nicht neu, der Erkenntnisgewinn gering.
Auf der großen Bühne wartet dagegen eine gähnende Leere: Jan Lauwers Needcompany hat sich Peter Brooks berühmtes Buch "Der leere Raum" vorgenommen und bezichtigt es, ironisch maliziös zwei grundlegender Denkfehler: "The time between two mistakes" wäre so gesehen, die Leerstelle zwischen zwei notwendigen Irrtümern, ein schwarzes Loch, das die tanzenden, singenden, musizierenden, performenden Akteure der Needcompany mit allerlei Mummenschanz füllen wollen.
"The only task an artist has
Is the question: Beauty and Truth"
Wie ein Indianerstamm um ein Lagerfeuer stampfen sie über die Bühne und singen zu einem berüchtigten Ausbildungsmarsch der Marines von "Beauty and Truth", den etwas weit gefassten Zielpunkten eines bis zur Zertrümmerung dekomponierten Theaters. Was aber so schön und bedeutsam begann, zerfasert ganz schnell in geschwätzigen Monologen und großspurig hingeworfenen Bildern: Eine Armada von diversen Scheinwerfern, die von den Performern vor sich hergeschoben im Raum umhergeistern, zum Beispiel. Am Schluss steht ein kleines Konzert mit einer wunderschönen Version eines Velvet Underground Songs: "And what costume shall the poor girl wear? To all tomorrow's parties", lautet der oft wiederholte Refrain. Was soll das arme Mädchen für ein Kleid tragen bei den künftigen Partys? Das ist melancholisch und selbstkritisch. Und es ist ein bisschen wie bei "Des Kaisers neue Kleider". Man muss schon fest an die hochgejazzten Diskurse der Macher von Foreign Affairs glauben, wenn man bei den internationalen Performance-Stars des Eröffnungsabends keine Blöße entdecken will. Das alles ist doch sehr dünn-gewebt und einfach gestrickt.