An einem Ort kommen die verstreuten, verwirrten Handlungsfäden des fünfteiligen Romantorsos zusammen: Nach Santa Teresa reisen vier europäische Germanisten auf der Suche nach einem geheimnisumwitterten Autor mit dem Pseudonym Benno von Archimboldi, in Santa Teresa lernen sie den mexikanischen Philosophie-Professor Amalfitano kennen. Nach Santa Teresa reist ein amerikanischer Reporter, um über einen Boxkampf zu berichten.
Das Herz der Finsternis
Vor allem aber werden in der Stadt an der Grenze zwischen Mexiko und den USA zahllose brutale Frauenmorde verübt. Der chilenisch-spanische Autor hatte dies der skandalumwitterten Mordserie in Ciudad Juarez entlehnt, die seit Anfang der 1990 Jahre die Medien beschäftigte: Etwa 400 zum Teil zuvor vergewaltigte und oft verstümmelte Frauen, viel von ihnen Wanderarbeiterinnen, deren Leichen man in Brachen und auf Müllplätzen fand. Ciudad Juarez, alias Santa Teresa, ist der blutige, stinkende, zynische, gewalttätige Abgrund, das Herz der Finsternis, das auf alle Figuren einen Sog auszuüben scheint, egal wo sich gerade aufhalten.
Ein Versuch dem Schrecken Herr zu werden
Auf dem Bühnenboden wälzt sich Regine Zimmermann blutüberströmt; ihre Stöhnlaute werden sich, begleitet von einem Dröhnen, das den Zuschauerraum erzittern lässt, zu einem apokalyptischen Soundscape steigern. Währenddessen bringen Bühnenarbeiter und Schauspieler viele rosa Holzkreuze auf die breite Bühnenfläche und postieren sie zwischen das Wüstengras. Mit diesem deutlichen Zeichen will Regisseur Àlex Rigola dem Schrecken Herr werden, das der Roman beim Leser auslöst. Dann stellen sich ein paar coole Typen mit Sonnenbrille hinter die Leiche. Es sind Ermittler, denen an der Aufklärung weniger gelegen ist, als an dem eher gelangweilten Austausch von blöden Männerwitzen.
"Woran liegt das, dass eine Frau nicht so gut aus der Küche rauskommt? ... an der Herdanziehungskraft."
"Ja, ich hab auch noch einen: Wie lange dauert es, bis eine Frau an einem Kopfschuss stirbt? Kommt drauf an, wie lang sie Kugel braucht, um das Gehirn zu finden."
Überbordende Figurenfülle des Romans lässt sich nicht darstellen
So ganz will sich der apokalyptische, zynische Teil nicht in die szenische Bilderfolge einfügen. Der vierte "Teil von den Verbrechen" setzt sich mit seinem emblematischen Kommentarcharakter ab vom epischen Rest des viereinhalbstündigen Theaterabends, der aus der überbordenden Figurenfülle des Romans einige herausgreift. Die vier Germanisten tauschen sich in entspanntem Parlando über ihre Archimboldi-Recherchen aus. Eine Schultafel steht links und nimmt ein paar Stichworte auf. In den Streit über literarische Deutungen mischt sich schnell eine erotische Verwicklung zwischen der Londoner Liz Norton, dem Franzosen Pelletier, dem Spanier Espinoza aber auch dem Italiener Morini. Regine Zimmermann, Christoph Gawenda, Sebastian Schwarz und Ingo Hülsmann wechseln zwischen skizzenhafter Verkörperung ihrer Figuren und lockerer Erzählung der Chronik eines Erotikons, das in dem Bericht von einer ersten Gewaltszene gipfelt. Espinoza und Pelletier verprügeln einen pakistanischen Taxifahrer.
So als wäre hier eine Schicht nach der anderen eines frei zwischen Künstler- Historien und Abenteurromans changierenden Text-Konvoluts freizulegen, öffnet sich nach dem ersten "Teil der Kritiker" ein Vorhang vor einem zweiten, ebenfalls schmalen und breiten Spielfeld. Eva Meckbach zupft vor einem weiß getünchten Lattenzaun auf einer Gitarre. Die Tochter des Philosophieprofessors Amalfitano wird später, im "Teil von Fate" als Partygöre Teil einer reichen Jugend inmitten des wachsenden globalen Elends. In einem engen Bühnenkasten räkeln sich ein paar halbseidene Gestalten zu "End of the Night" von den Doors bevor die obere Abdeckung des Miniaturclubs von einer großen Hydraulik nach unten geschoben wird und die Partygäste buchstäblich unter sich erdrückt.
Ein "Zwitter", der nicht richtig überzeugt
Erst im letzten Teil wird von dem kuriosen Schriftsteller erzählt, dem Ex-Nazi, der unter dem Pseudonym Archimboldi eine wechselvolle Biografie erlebt, ein unstetes Leben mit diversen Romanen, deren Texte aus diversen Orten eintrudeln, ein literarisches Gerücht, das lediglich die Verlegersgattin Anna Bubis zu kennen scheint. Jule Böwe spielt sie an der Seite von Sebastian Schwarz auf nunmehr leerer schwarzer Bühne mit stiller Nachdenklichkeit. Von den Bildern ist nichts mehr geblieben, nichts mehr von Gewalt und ihrer Faszination, nur noch die große Frage nach dem Gehalt der Wahrnehmung und ihrem Niederschlag in den Worten. Eine auf die Bühne projizierte Textpassage legt nahe, es könne sich handeln um die Wahrnehmung "hinter einem toten oder ungeborenen Augenlid, dem wässrigen Rest eines Auges, das etwas vergessen möchte und alles vergessen hat."
Vieles von dem literarischen Verwirrspiel Bolaños hat die Theateradaption weggeglättet. Herausgekommen ist ein Zwitter, der nicht so recht überzeugen kann.