Wie es die Tradition verlangt, wurde der Baubeginn für den ersten Streckenabschnitt der U-Bergbahn mit Blaskapelle, Musikverein, Politikern und vielen Schaulustigen begangen. Freilich war dies eine Inszenierung. Aber auch ein Plakat kündet von der U-Bergbahn – ganz real auf einem Autohaus in Wiener Neustadt, 60 km südlich von Wien. "Es war eine provokante Aktion – also, wir gehen mit der Ausstellung auf die Straße und wollten zeigen, dass die Zukunft nicht im Automobil liegt, sondern im organisierten öffentlichen Verkehr."
Vision für das Jahr 2115
Der Designer Wolfgang Hartl denkt an ein System von Transportzellen, das die Grenzen von Individual- und Massenverkehr auflöst. Solche Konzepte werden tatsächlich schon entwickelt, und mit seinem Team hat Wolfgang Hartl derartige Visionen als Plakate umgesetzt. Jedes Motiv erscheint als Verdichtung einer Vision für das Jahr 2115, in einer Region namens "Hohes Land", die sich zwischen Wien und dem Ostende der Alpen erstreckt. Bis dorthin, knappe 100 Kilometer nach Süden, wird der Ballungsraum Wien in hundert Jahren reichen - so die Annahme, die dem Projekt zugrunde liegt. Der Stil der Plakate des Kunstprojekts orientiert sich an historischer Tourismus-Reklame.
"Wir haben da eine sehr simple Sprache gewählt, wir knüpfen an die österreichische Plakatkultur an, die auch etwa 100 Jahre alt ist, und wir blicken 100 Jahre nach vorn. Joseph Binder hat diesen reduzierten Stil geprägt, beispielsweise für die Rax-Seilbahn: Da steht der Berg, und ein roter Pfeil zeigt einfach hinauf, man sieht keine Seilbahn, man sieht nur, wo geht's hin – und so ist es auch mit der U-Bergbahn, man sieht oben eine Bergkette, und nach unten geht wie ein Pfeil die U-Bahn hinunter."
Reisen in die Alpen standen einst für Modernität und Fortschritt – was der Stil Joseph Binders nach wie vor kommuniziert, ebenso wie die neuen Plakate, die Wolfgang Hartl mit Erika Friedl designt hat. Sie mussten "Hohes Land" dabei nicht völlig neu erfinden: Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Semmering Region ein Außenposten der Metropole Wien. Auf der Suche nach Natur und Bergen keimte erster Tourismus auf, ermöglicht durch die neue Eisenbahnlinie von Wien nach Süden. Die urbane Elite baute sich Villen und weilte am Wochenende in den Bergen. In diesem Sinne erinnert Wolfgang Hartl daran, dass Innovationen nicht nur in Metropolen entstehen, sondern im Austausch von Stadt und Land. "100 Jahre zurückgedacht war es eigentlich ziemlich spannend in der Region, da gibt's berühmte Leute, die da unterwegs waren – bis zum Freud, oder Wittgenstein, der später da draußen gearbeitet hat, die haben den Raum genutzt, um ihre Ideen zu entwickeln, die heute noch spannend sind."
Denkanstöße für die Zukunft
Da sich das Projekt in der Grauzone von Kunst, Kultur, Zukunftsforschung und schenke Fiction bewegt, müssen die Designer sich nicht mit technischen Details belasten. Die Plakate erzählen von Musikern, die verbrauchtes Wasser durch positive Schwingungen regenerieren, von Bäumen, die zu Häusern wachsen, und von Autobahnen, die Orte nicht nur überbrücken, sondern zugleich einbinden. Vieles davon spiegelt bestehende Ansätze. Wie solche Visionen einzuschätzen sind, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. "Vor 100 Jahren war es insofern spannend, es hat da diese Semmering Rennen gegeben, die haben in der Region stattgefunden. Und damals haben Hybrid Wagen gegen Elektrowagen und dieselbetriebene Fahrzeugen ein Wettrennen über den Semmering gemacht - vor 100 Jahren war das möglich!"
Bergrennen mit Hybridautos, Intellektuelle verlassen die Stadt, um am Land ihre Innovationen zu entwickeln: Tatsächlich waren viele Technologien und Systeme, die uns heute als bestimmend erscheinen, vor 100 Jahren noch lange nicht etabliert. Solche Denkanstöße will Wolfgang Hartl mit seinem Projekt geben. Immerhin hat sein Atelier seinen Sitz in einem adaptierten Bauernhaus. "Wir haben unser Atelier ganz bewusst ins Land gesetzt. Wir sind ein Designer-Kollektiv, aber wir leben und arbeiten in einem Kuhstall. Wir finden das Land ganz unglaublich inspirierend, es schafft für uns einen großen Freiraum, um zu denken. Da kommen auch Menschen hin, die sind irrsinnig spannend, und wir fragen uns, warum hat man es vor 100 Jahren geschafft, einen Freiraum zu schaffen, und heute schafft man es nicht mehr?